Tronien als Demonstrationsstücke künstlerischer Kreativität
349
Serien als Form des Capriccio einführte.100 Explizit
im Titel einer entsprechenden druckgraphischen Se-
rie erwähnt findet sich das Wort >Capriccio< in einer
Folge des Augsburger Künstlers Johann Heinrich
Schönfeld (1606-1684), der im Jahr 1656 13 radierte
Köpfe unterschiedlicher Figurentypen unter dem
Titel Vkrze teste de Capricci zusammenfasste.101 Lie-
vens’ bereits in den dreißiger und vierziger Jahren
edierte Tronie-Serien lassen sich als Ausdruck des-
selben Phänomens verstehen.
Zwar ist die Betitelung von Graphikfolgen als
Capricci stets an den seriellen und variierenden Cha-
rakter der Werkgruppen gebunden, so dass die für
Lievens’ radierte Tronie-Serien aufgrund der beste-
henden Analogien zu Callots Capricci getroffenen
Aussagen sich nicht ohne weiteres auf gemalte Tro-
nien übertragen lassen. Doch zeichnen sich Letztere
durch vergleichbare Eigenschaften wie die entspre-
chenden Radierungen aus: die Unmittelbarkeit und
technische Virtuosität des künstlerischen Vortrags,102
die ikonographische Unverbindlichkeit bzw. Offen-
heit sowie die Phantasieleistung des Malers hinsicht-
lich der künstlerischen Umsetzung und Kostümge-
staltung. Die Rezeptionshaltung, welche die Werke
erforderten, scheint erstaunlich modern. Denn erst
indem der Betrachter den Schaffensprozess des
Künstlers nachvollzog und gegebenenfalls eine indi-
viduelle Deutung an eine Tronie herantrug, gelangte
er zu einer angemessenen Würdigung des Werkes.
100 Busch 1996/97, S. 62. Vgl. z.B. della Bellas Plusiettrs Testes
Coifees ä la Persienne von ca. 1649/50, Kat. Turin 2000,
Kat. Nr. 66. Zu della Bellas Capricci vgl. auch Kanz 2002, S.
293f.
101 Vgl. Hollstein’s German Engravings 1954ff., Bd. 51
(2000), Kat. Nr. 3-12, S. 8-12. Zu der Serie Schönfelds vgl.
Hartmann 1973, S. 83f.; Kanz 2002, S. 295-297.
102 Kanz 2002, S. 222, beschreibt die im 16. Jahrhundert geläufige
»Auffassung, dass mit dem geschwinden und lockeren Pinselvor-
trag eine entsprechend agile Imaginationsleistung einhergeht. Die
prompte Umsetzung von eben in den Sinn gekommenen Bild-
ideen mittels einer ebenso flinken Hand wird als Zeichen genialer
Begabung angesehen.« Vgl. auch Günther 1999, S. 190f.
349
Serien als Form des Capriccio einführte.100 Explizit
im Titel einer entsprechenden druckgraphischen Se-
rie erwähnt findet sich das Wort >Capriccio< in einer
Folge des Augsburger Künstlers Johann Heinrich
Schönfeld (1606-1684), der im Jahr 1656 13 radierte
Köpfe unterschiedlicher Figurentypen unter dem
Titel Vkrze teste de Capricci zusammenfasste.101 Lie-
vens’ bereits in den dreißiger und vierziger Jahren
edierte Tronie-Serien lassen sich als Ausdruck des-
selben Phänomens verstehen.
Zwar ist die Betitelung von Graphikfolgen als
Capricci stets an den seriellen und variierenden Cha-
rakter der Werkgruppen gebunden, so dass die für
Lievens’ radierte Tronie-Serien aufgrund der beste-
henden Analogien zu Callots Capricci getroffenen
Aussagen sich nicht ohne weiteres auf gemalte Tro-
nien übertragen lassen. Doch zeichnen sich Letztere
durch vergleichbare Eigenschaften wie die entspre-
chenden Radierungen aus: die Unmittelbarkeit und
technische Virtuosität des künstlerischen Vortrags,102
die ikonographische Unverbindlichkeit bzw. Offen-
heit sowie die Phantasieleistung des Malers hinsicht-
lich der künstlerischen Umsetzung und Kostümge-
staltung. Die Rezeptionshaltung, welche die Werke
erforderten, scheint erstaunlich modern. Denn erst
indem der Betrachter den Schaffensprozess des
Künstlers nachvollzog und gegebenenfalls eine indi-
viduelle Deutung an eine Tronie herantrug, gelangte
er zu einer angemessenen Würdigung des Werkes.
100 Busch 1996/97, S. 62. Vgl. z.B. della Bellas Plusiettrs Testes
Coifees ä la Persienne von ca. 1649/50, Kat. Turin 2000,
Kat. Nr. 66. Zu della Bellas Capricci vgl. auch Kanz 2002, S.
293f.
101 Vgl. Hollstein’s German Engravings 1954ff., Bd. 51
(2000), Kat. Nr. 3-12, S. 8-12. Zu der Serie Schönfelds vgl.
Hartmann 1973, S. 83f.; Kanz 2002, S. 295-297.
102 Kanz 2002, S. 222, beschreibt die im 16. Jahrhundert geläufige
»Auffassung, dass mit dem geschwinden und lockeren Pinselvor-
trag eine entsprechend agile Imaginationsleistung einhergeht. Die
prompte Umsetzung von eben in den Sinn gekommenen Bild-
ideen mittels einer ebenso flinken Hand wird als Zeichen genialer
Begabung angesehen.« Vgl. auch Günther 1999, S. 190f.