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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0385

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Zusammenfassung

357

und vergleichbare Porträts der Künstlergattinnen
den Porträttyp des Auftragsbildnisses in Tronie-Ma-
nier vorbereiteten.
Die Untersuchung ergab, dass vor allem Rem-
brandt-Schüler, aber auch Meister wie Jacob Backer
und Pieter de Grebber Kostümporträts schufen.
Von Tronien lassen sich die Werke aufgrund ver-
schiedener Indizien abgrenzen. Als wichtigstes Un-
terscheidungsmerkmal ist natürlich die Identifizie-
rung der Dargestellten als bestimmte Auftraggeber
zu nennen. Da viele der in Frage stehenden Bilder
anonyme Personen zeigen, mussten jedoch weitere
Zuordnungskriterien ermittelt werden. Die kombi-
nierte Verwendung von Standardformeln der Por-
trätmalerei - z.B. eine porträttypische Pose in Ver-
bindung mit emblematisch-dekorativen Motiven wie
Vorhang und Säule - deutet darauf hin, dass es sich
bei einer Halbfigur in Phantasietracht um em Bild-
nis handelt. Eine besonders sorgfältige Ausführung
des jeweiligen Gemäldes unterstützt diese Annahme.
Als weiteres Indiz ist die Existenz eines Pendants
zu werten, aber auch die Einbettung eines Bildes in
einen bestimmten Entstehungszusammenhang. So
führte die gesonderte Analyse des Werkes von Fer-
dinand Boi zu dem Ergebnis, dass sich der Meister in
der Zeit zwischen 1645-1655 besonders intensiv mit
der Anfertigung von Kostümporträts in Tronietracht
beschäftigte. Somit besteht eine hohe Wahrschein-
lichkeit, dass die porträthaft aufgefassten, phanta-
sievoll kostümierten Halbfiguren, die Boi in dieser
Zeit nach unbekannten Modellen schuf, als Bildnisse
intendiert waren. Schließlich konnten Bilder als Kos-
tümporträts identifiziert werden, die nach einem für
die Porträtmalerei der Zeit typischen Herstellungs-
verfahren angefertigt worden sind: Bei diesem wurde
nur der Kopf des Porträtierten nach dem Leben, der
Körper aber nach einer bereits existierenden Vorlage
gemalt.
Die Tatsache, dass in den Nördlichen Nieder-
landen spätestens gegen Ende der 1630er Jahre Auf-
tragsporträts produziert wurden, die aussehen wie
Tronien, führt in vielen Fällen zu erheblichen Ab-
grenzungsschwierigkeiten. Unsere Untersuchung
lässt den Schluss zu, dass die hierfür verantwortliche
Überschreitung der Gattungsgrenze von den Schöp-
fern der Kostümporträts und ihren Kunden inten-
diert war. Die visuelle Ähnlichkeit der Bildnisse mit
Tronien bot nicht nur den praktischen Vorteil, dass
die Werke im Bedarfsfall leichter verkauft werden
konnten als konventionelle Porträts, auch bestand
em wesentlicher ästhetischer Reiz der Bilder in ih-

rer Nähe zur Tronie. Die Motive der Auftraggeber
bei der Bestellung eines Kostümporträts in Tronie-
Manier erwiesen sich allerdings als noch vielschich-
tiger: Die phantasievolle Ausstaffierung verlieh dem
Dargestellten nicht nur ein >zeitloses< Aussehen.
Auch war ein Kostümporträt unmittelbar als Werk
eines Tronie- und Historienmalers zu erkennen, in
dem sich der Erfindungsreichtum und die künstle-
rische Handschrift seines Schöpfers manifestierten.
Ein Auftraggeber bewies also besonderen Kunstge-
schmack mit der Wahl dieser Form des Bildnisses.
Zudem wurde er in der Rolle einer fiktiven Persön-
lichkeit von hervorgehobener Bedeutung dargestellt.
Deren Identität war nicht genau festgelegt, so dass
der Porträtierte das Bild nach eigenem Belieben in-
terpretieren konnte.
Besonders hervorzuheben ist die Feststellung,
dass Kostümporträts in Trome-Mamer ausschließ-
lich in der bürgerlichen Porträtmalerei vorkamen.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Tatsache, dass
die Dargestellten mittels bestimmter Motive als Per-
sonen von Adel oder hohen Ranges charakterisiert
sind, besondere Aussagekraft: Durch die Aufwer-
tung im Kostümporträt verlieh die bürgerliche Elite
ihren gesellschaftlichen und politischen Ambitionen
und dabei insbesondere dem Anspruch auf Gleich-
rangigkeit gegenüber dem erblichen Adel Ausdruck.
Entscheidend ist, dass zu diesem Zweck nicht etwa
eine höfische Form des Porträts übernommen wur-
de, was als Eingeständnis der machtpolitischen und
kulturellen Vorrangstellung der Aristokratie hätte
interpretiert werden können. Vielmehr ermöglichte
es die Orientierung des bürgerlichen Kostümporträts
am Vorbild der Tronie, Unabhängigkeit zu demons-
trieren und die bürgerliche Identität in Abgrenzung
gegenüber dem Adel zu konsolidieren.
Mit der Entdeckung und Untersuchung des Kos-
tümporträts in Tronie-Manier leistet die vorliegende
Studie einen Beitrag zur Erforschung eines speziellen
Phänomens der Porträtmalerei, das besonderen Aus-
sagewert hinsichtlich des Selbstverständnisses der
bürgerlichen Elite und Auftraggeberschaft nieder-
ländischer Maler besitzt, bisher jedoch keine Beach-
tung in der Forschung fand.
Ein zentrales Erkenntnisinteresse der Arbeit bestand
darin zu klären, welche Funktionen Tronien erfüllten,
mit welchen Bedeutungen sie aus Sicht der Zeitgenos-
sen ausgestattet waren, warum sie von diesen geschätzt
wurden und welche spezifischen Darstellungsabsichten
die Schöpfer der Werke verfolgten (u. a. Teil V).
 
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