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Are Heiden WuLfferrsteirrer.
Eine Kriminalnovelle
von
W. Hildebrandt.
1.
er Schulze Wendel hatte sich in seine besten Festkleider
geworsen. Der lange blaue Rock mit übersponnenen
Knöpfen und rothwollenem Futter,
die scharlachrothe Weste mit silber-
nen Kugelknöpfen, die silbergrauen
Wildledernen, die spiegelblanken
hochschäftigen Stiefeln, das schwer-
seidene Halstuch, welches in Hand-
breite mehrmals um den sehnigen
Hals geschlungen und sodann vorn
in einem schlichten Knoten zusam-
meugezogen war, darüber das lauge
hagere Antlitz, dessen vergilbte
Züge wie aus Holz geschnitzt
erschienen, und welches nur durch
die klaren und klugen Augen Leben
erhielt, das braun und grau melirte
Haar uugescheitelt bis in die Mitte
der Stirn und im Nacken bis
auf den hohen Rockkragen herab-
hängend, dazu die lange, hagere
und knochige Gestalt in ihrer selbst-
bewußten, kerzengeraden Haltung:
in der That, Alles paßte zusammen,
und Alles vereinigte sich, um gleich
auf den ersten Blick den wichtigsten
Mann im Dorfe erkennen zu lassen,
der sich seines eigenen Werthes be-
wußt ist, dessen Wort bei den vor-
gesetzten Behörden etwas gilt, und
dessen Autorität in der Gemeinde
eine fast unbeschränkte ist.
Heute freilich schien die würde-
volle Ruhe des Herrn Schulzen
etwas in's Schwanken gerathen zu
sein.
Mit. langen hastigen Schritten
durchmaß er die Stube und machte
bald mit dem einen, bald mit dem
andern Arme eine demonstrative
Schwenkung durch die Luft, dann
wieder blieb er stehen und krümmte
den steifen Rücken zu einer unge-
schickten Reverenz, während er den
Mund gleichzeitig zu einem breiten
und devoten Lächeln zwang, und
gleich darauf wieder stampfte er mit
eiuem leise gemurmelten Fluche auf
den Boden und kraute sich verdrieß-
lich in den Haaren.
Jetzt ergriff er mit einer energi-
schen Haudbeweguug den langhaari-
gen ländlichen Cylinderhut, welcher
auf der alten Kommode stand, drückte

demselben fest, hielt erst den Hut mit langgestrecktem Arme >
und eiuem langen prüfenden Blick in das geheimnißvolle
Innere des Cylinders vor sich hin und trat darauf vor den
Spiegel. Von den drei tiefen Verbeugungen, die er machte
und im Spiegel mit zurückgebogencm Haupte kontrolirte, schien
die letzte seinem Schönheitssinne nicht vollkommen zu entspre-
chen; er stampfte ärgerlich mit dem Fuße, trat uochmals an
und wiederholte mit dem verbindlichsten Lächeln die Verbeu-
gungen zur besseren eigenen Zufriedenheit. Nachdem er hier-

auf noch, wie er es beim Pastor gesehen hatte, eine halbe
Verbeugung zugegeben und sich nach dem Halstuche gefaßt
hatte, begann er mit lauter eintöniger Stimme: „Hochgebore-
ner Herr! Gnädigster Herr Graf!"-er stockte, streckte
den Hut vor sich hiu und warf einen fragenden Blick in dessen
Inneres. Dann fuhr er in demselben predigenden Tone fort:
„Vielgeliebter Schloßherr! Allgemein verehrter Majoratsherr
und Graf auf, von und zu Wulffenstein!"
, Er hielt inne und holte tief Äthern.
„Ich bin froh, daß ich kein
vornehmer Herr geworden bin!"
murmelte er und schüttelte mißbilli-
gend den Kopf. „Wer merkt sich,
vorzüglich in einer größeren Gesell-
schaft, alle Titel, die jedem Einzelnen
zukommen, und wie leicht kann man
anstoßen, wenn man etwas davon
weglüßt!"
„Sehen Sie rings um sich,"
begann er wieder mit einem Blick
in den Hut, „das freudestrahlende
Gesicht der versammelten, lange ver-
waisten, treu ergebenen, sehnsüchtig
harrenden, liebevoll gedenkenden
und nun durch Ihre höchst erfreu-
liche Heimkehr neu beglückten Ge-
meinde, deren Vertreter und Ver-
künder ihrer aufrichtigen Gefühle
zu sein, mir die ebenso ehrenvolle
als-"
„Das soll der Teufel auswendig
lernen!" rief er ungeduldig. „Noch
drei Zeilen, ehe das erste Punktum
kommt, und dann noch die ganze
Seite herunter so fort. — Und da
sagt auch noch der Kantor, das
wäre noch gar nichts gegen die
Ansprachen, wie sie an regierende
Fürsten und Könige gehalten wür-
den. Recht mag er ja wohl haben,
daß das Feinste an so einer Rede
ist, wenn man nicht gleich merkt,
was damit gesagt sein soll; denn
er versteht es — Keiner seiner
Vorgänger hat der Gemeinde in der
Schenke die Zeitung so schön vorzu-
lesen vermocht, als er; und was er
Schriftliches besorgt, die Gemeinde-
rathsprototolle, Kauf- und Pacht-
kontrakte, Erb- und Loosbriefe,
werden auch stets von den Behör-
den für gut befunden; also müssen
sie doch schön sein. Und die Rede,
die er mir da aufgesetzt hat —
schön ist sie gewiß — aber ich
wollte, er müßte sie selbst auswen-
dig lernen und hersagen. Auf einen
Schinken, oder eine- Seite Speck
sollte es mir gerade nicht ankommen.
Wenn's mir nach ginge, so sagte ich
einfach: ,Grüß Gott, Herr Graf!

ein beschriebenes Blatt Papier in

Friederike. Von W. v. Kaulbach. Kopie der Prämie dieses Jahrgang?. (A. 28.l

Seid herzlich willkommen nach Eurer

Jllilstr. Wclt. XXII. I.
 
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