Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 22.1874

DOI Heft:
Heft 17
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62248#0463
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


--^§2 AtntiglM. v.nil Wien.

Merschlungene Wege.
Eine Erzählung
von
PnnUne Schan?.
(Schluß.)
VI.
Theure Elise!
ch sage Dir nur Lebe-
wohl und rufe Dir mei-
nen Glückwunsch zu, ehe
wir abreisen.
So sehen wir uns denn nicht
wieder!
Deine Schwingen sind gebun-
den, armes Vöglein; mögest Du
Dir sie niemals blutig schlagen
in der vergeblichen Sehnsucht,
Deinen Schranken zu entfliehen,
die Dich von nun an umschlie-
ßen werden!
Mögest Du glücklich werden!
Vielleicht wird Deine Ehe
wenigstens ein sicherer und fried-
licher Hafen für Dich; gesichert
vor den Stürmen und Bran-
dungen des Lebens, aber fern
auch von den sonnigen, goldenen
Küsten, wo das Glück wohnt,
welches ich meine und suche.
Die Begriffe von Glück und
die Ansprüche an's Leben sind
ja aber so verschieden.
Liebe ist dieses Gefühl nicht,
welches Du in Deinem geängste-
ten und aufgeregten Herzen da-
für hieltest und in dieser Selbst-
täuschung Deinem Schicksale ver-
fielst.
Nenne es wie Du willst, aber
nenne es nicht Liebe, was Du
für Deinen Vetter empfindest.
Mitleid, Achtung, Dankbarkeit,
Freundschaft! Ich will von all'
diesen Nichts wissen, wenn sie
Surrogate für die Liebe sein
sollen, wenn sie in der Maske
der Liebe lügen.
Ich habe viel Freuden wäh-
rend dieses Winters genossen;
ich bin von Lust zu Lust, von
Blume zu Blume geflogen und
bin fast müde geworden.
Dieser süße Schaum sättigt
schneller, als man es denkt,
wenn er uns zum ersten Mal
die durstige Lippe berührt.
Auf dem goldenen Becher mei-
nes Daseins schwimmt aber die

Die Straße „Tod oder Leben" zu Avila. (S. 486.)


Jllustr. Welt. XXII. 17.

Sorge um Dich wie ein bitterer
Tropfen.
Wüßtest Du, wie ich mich
auf Dein Kommen gefreut habe,
ein Zusammenleben mit Dir er-
sehnt habe, so könntest Du nicht
so kalt und gleichgültig im Be-
wußtsein Deines scheinbaren
Glückes sagen: „Ich komme
nicht!"
Ja, ich will Dir's gestehen,
ich neide diesen Richard und
gönne ihm seine süße Braut
nicht, die er so leichten Kaufs
errungen hat.
Ich neide ihm jeden Blick
aus Deinen Augen, jedes zärt-
liche Wort von Deinen Lippen,
ich neide ihm Deine Liebe!
Und nun: V0ZU6 In Znlöro!
Hinaus in ein neues Leben,
hinaus in die Zukunft, die im
vollen Sonnenschein und Far-
benglanze vor mir liegt. Was
wird sie mir bringen?
Meine Briefe sind kurz; mir
fehlt die beschauliche Ruhe am
Schreibtisch, welche die verron-
nenen Stunden und Tage, die
unwiederbringlich der Vergan-
genheit verfallen sind, jedes mit
seinem eigenthümlich schillernden
Glanze aneinanderreiht und zu
langen, von Dir so lieben Brie-
fen gestaltet.
Aber plaudern möchte ich mit
Dir, plaudern!
Im Grunde bin ich Dir böse,
Du süßes, goldenes, unbegreif-
liches Geschöpf. Im Grunde
möcht' ich. Dich hassen mit Dei-
ner langweiligen Brautschaft,
aber thatsächlich liebe ich Dich
ganz unaussprechlich, ja, die
ganze Licbesfülle, die mein Herz
birgt, gehört Dir, jetzt noch
allein Dir! —
Ich weiß es, Du zürnst mir
nicht, daß ich offen bin, daß
meine Liebe zu Dir mich unzu-
frieden und ungenügsam macht
in meinen Anforderungen an
Dein Glück, daß sie mich sogar
ganz blind macht für die vielen
Tugenden und Vorzüge Deines
Erwählten!
Schreibe Alles für mich nie-
der, was nach und nach in
Deinem stillen Leben an Dir
vorüberzieht und sende es mir.
In meinem Herzen wird immer
und nnter allen Verhältnissen
65
 
Annotationen