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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 22.1874

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Heft 10
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10. Heft.

--^§§2 Stuttgart. Hein^ig unö Hien.

In Sturm und Wettern.
Nomcm
von
Emilie Tegtmeyer.
(Fortsetzung.)
II s mar am Vormittage
des folgenden Tages.
Draußen lachte endlich
wieder so recht freundlich die
Sonne und ihr Strahl spielte
warm und glänzend auf den
breiten, gezackten Blättern der
Fächerpalme, welche den Mittel-
punkt von Frau von Secfeld's
Blumentisch cinnahm, unter de-
ren schützendem Dache die süß
duftenden Kinder Flora's, be-
sonders Rosen, Reseda und He-
liotrop gleichsam neugierig her-
vorlugten, als ob sie sich des
heiteren Tages freuen und gerne
den Blick ihrer Besitzerin auf
sich ziehen wollten. Letzteres
schien ihnen jedoch nicht zu ge-
lingen, denn verloren, müde
und achtlos streifte derselbe heute
an ihnen vorüber und richtete
sich dann wieder auf das Blatt
Papier, welches die junge Frau
zwischen ihren zitternden Fingern
hielt und schon unzähligemal
wieder gelesen hatte. Vor einer
Stunde etwa war ihr dasselbe
von Franz überbracht. Es ent-
hielt in kurzen, höflichen Worten
die Anzeige, daß Lindenberg am
ersten November ihre Dienste
zu verlassen wünsche, um eiueu
schon früher von ihm gehegten
Plan auszuführen. Er beabsich-
tige nämlich eine Uebersiedluug
nach Amerika und hoffe, daß die
gnädige Frau sich mit seinem
Entschluß einverstanden erklären
werde, obgleich die gesetzmäßige
Kündigungsfrist bereits seit eini-
«. gen Wochen verstrichen sei. So
stand Alles wirklich da, schwarz
auf weiß.
Frau von Seefeld klemmte
die Zähne auf ihre Unterlippe;
sie schritt über den weichen,
grauen Plüschteppich bis au den
großen, runden Tisch, der in
der Mitte des Zimmers stand,
und warf den Brief mit einer
ungestümen Bewegung darauf.

Eine Horchateria (Erfrischungsstube) iu Madrid. (S. 290.)


O, warum konnte sie es nicht
möglich machen, den Absender
desselben auf der Stelle fortzu-
schicken! Sie würde es gethan
haben nnd wenn im nämlichen
Augenblick der Schmerz sie ge-
tödtet hätte. Aber jetzt, inmitten
der Ernte, ohne Ersatz, ohne
Rath und Hülfe! Es war un-
möglich, und so wunderlich ist
das menschliche Herz; ganz tief
im Hintergründe des ihrigen
regte sich doch eine gewisse Art
von Befriedigung, daß sie es
nicht konnte. Sie fühlte sich
gezwungen, Hugo Lindenberg's
Gegenwart noch ein Vierteljahr
fast zu ertragen, und das be-
ruhigte ein wenig ihr aufgereg-
tes Gemüth, wenn sie es auch
niemals sich selbst oder irgend
Jemand sonst cingcstanden haben
würde.
Sie suchte im Geiste nach den
schärfsten und kältesten Worten,
die sich finden ließen, um ihre
Uebereinstimmung mit seinem
Ersuchen auszudrücken, warf sie
in flüchtigen Zügen auf s Papier,
schob dieses in ein Couvert und
klingelte. Die Sache sollte so
schnell als möglich erledigt wer-
den und dann, als der Diener
mit ihr^r Antwort fortgegangen
war, als sie hochaufathmend die
Thüre hinter ihm in's Schloß
fallen sah, wunderte sie sich über
sich selbst, daß sie gar kein^Be-
friedigung empfand. Sie fühlte
sich nur unglücklich, entsetzlich
unglücklich und elend. Sie be-
reute nicht, was sie gethan,
gestern und heute, aber es that
doch weh. Sie redete sich jetzt
ein, eine verlassene, beklagens-
wertste Frau zu sein. War sie
betrogen, getäuscht uud aufge-
geben jener — — jener unan-
genehmen Person wegen? Zu
heftigen, leidenschaftlichen Ge-
müthes und zu aufgeregt, um
überlegen, um unbefangen prü-
fen zu können, schien ihr Alles
klar und zweifellos, was doch
im Grunde genommen so un-
wahrscheinlich war.
Helene von Seefeld war nicht
die Natur, um über ein ver-
meintlich ihr widerfahrenes Un-
recht, wenn es sie auch noch so
tief im Herzen traf, sich willen-
los dem Schmerze hinzugeben.

Jllustr. Welt. XXII. w.
 
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