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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 22.1874

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Heft 14
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https://doi.org/10.11588/diglit.62248#0381
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ImünulLMMigstn Iäßl'gilllP

14. Lest.

Ktnttgnt. Heilig Uttil Hiöü.

Der KenLaur.
Ein Lebensbild ans dem modernen Berlin.
Von
Marie Giese.
Auf der Straße.
n einem der schönsten Stadttheile
Berlins liegt eine der kurzen
Straßen, die ein Bindeglied zwi-
schen zwei längeren, gleichlaufenden
sind, und die wir hier die Nelkenstraße
nennen wollen. Ihre vierundzwanzig
Häuser stehen einander in zwei regel-
rechten Reihen so nahe gegenüber, daß
Bewohner derselben, wenn sie an den
Fenstern sitzen, hinter den Gardinen
oder Blumentöpfen Schutz vor gegen-
seitiger Neugier suchen müssen. Es ist
sonderbar von den Leuten, die diese
Straße bewohnen, daß sie sich vornehm
den Anschein geben, einander nicht zu
keunen, während ein Jeder vollständig
in die Verhältnisse des Andern einge-
weiht ist, sobald er einige Wochen die
Luft der Nelkenstraße geathmet hat.
Selbst Diejenigen, denen Neugier und
Klatschsucht nicht im Blute liegen,
können nicht umhin, den Dingen, welche
im Nachbarhause vorgehen, einige Auf-
merksamkeit zu widmen. Es gibt hier so
gar nichts, was besonderes Interesse
böte: keine Schaufenster, keine rollenden
Equipagen, keine schöne, spazieren-
gehende Welt, oder was sonst in den
belebten Straßen der Hauptstadt die
Augen auf sich zieht.
Die eine Häuserreihe zeichnet sich
vor der andern durch einen etwas ge-
hobenem Baustpl aus. Die Fenster-
pfeiler sind ein wenig breiter, und hier
und dort unterbricht ein Balken die
kasernenartige Oede der Fassade. Auch
zählen manche nur drei Stockwerke, und
der Blick durch die niedrigen Fenster je-
ner Räume, welche man „Kellerwoh-
nungen" nennt, verliert sich nicht in
eine vollständige Dunkelheit.
Diese bevorzugte Seite der Straße
haben Miether inne, die gern in einem
guten Stadtviertel leben möchten, aber
nicht die Mittel haben, ihre Wohnung
in der schönen, baumbeschatteten Haupt-
straße desselben zu nehmen. Es sind
Geheimräthe und Militärpersonen mit
bescheidener Pension, Wittwen mit zahl-
reichen Töchtern; auch fehlen nicht
die Partikuliers und Rentiers, Droh-
nen in dem geschäftigen, summenden
Bienenkorb Berlin.
Aus den niedrigen, trüben Fenster-
Jllustr. Welt. XXII. 14.

Whislykrieg. (S. 402.)
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