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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 22.1874

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.62248#0100
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IweiMllÄVMÄtgsM Jalltgrntg.

A. Ae^t. Ktüttgllti, HölstÄtg Uüll Hielt. eM

Miß Wayel.
Roman
von
E. v. Goslar.
Erstes RaMet.
/I s war ein Abend im
R I .Beginn der londoner
Saison. Für einen
Engländer war das
leicht erkenntlich am Aus-
sehen der Straßen, an den
vielen prächtig erleuchteten
Häusern der vornehmen Welt,
an den unaufhörlich rollen-
den, eleganten Equipagen der
Aristokratie, wie an den
Miethwagen der Citymänner,
die zu den Festen der Season
heimkehrten zu ihren com-
fortabeln Häusern in den
Vorstädten. Vor den großen
Theatern, opora üouso und
Covent-Garden, drängte sich
die Menge zu Fuß uud Wa-
gen und kein anderer als ein
geübter londoner Kutscher
hätte an die Möglichkeit ge-
glaubt, hier durchzukommen.
Auf dem großen Platz vor
Covent-Garden versuchte der
Führer eines leichten Ge-
fährts vergebens an einer-
vierspännigen Equipage vor-
über zu kommen; die Pferde
derselben waren wild und
scheu und stiegen, statt vor-
wärts zu gehen, heftig bäu-
mend in die Höhe. Mit
einem Fluche ergriff der Kut-
scher des leichten Wagens
die Peitsche, um mit einem
Schlage die wilden Thiere
zum Stehen zu bringen, als
das Wagenfenster niederge-
lassen wurde, ein bildschönes,
geschmücktes Mädchenköpfchen
daraus hervorblickte und die
gebieterischen Worte erklan-
gen :
„Kein Schlag, oder die
Thiere gehen durch! Reicht
mir die Leine, steigt ab und
nehmt das vorderste Pferd
beim Zügel — dann müssen
sie ja stehen!"
Der Kutscher gehorchte,
die Dame ergriff an dem vor-
deren Schlag die Leine, wäh-
Jllustr. Welt. XXII. 4.


Garmsonswechsel. Nach dem Gemälde von Adolph Weiß. (S. 122.)

rend sie an der Schnur zog,
um den Bedienten zu ih-
rem Beistände herbeizurufen.
Während dem hatte sich bei
dem ersten Ton, der von den
Lippen der Dame kam, in
dem andern Wagen ein Herr-
augenscheinlich überrascht er-
hoben, doch ehe er dazu kam,
die Sprecherin näher in's
Auge zu fassen, zogen seine
Pferde an uud seine Blicke
fanden in der nächsten Mi-
nute den rechten Wagen nicht
mehr heraus. Enttäuscht
setzte er sich wieder und mur-
melte halblaut vor sich hiu:
„Ich biu ein Thor, mir
einzubildeu, dieses blendend
schöne Geschöpf könnte die
kleine Julia Ashton sein.
Und doch klang mir ihre
Stimme so vertraut. Nun,
ein böses Omen wäre es
nicht, wenn gerade sie mir
im Nebel von Altengland zu-
erst begegnete, wo es vielleicht
nicht ganz leicht sein wird,
sich nach dein freien Leben
auf dem Kontinent zurecht
zu finden. Freilich, Schwe-
ster Amy dürfte eine resolute
Wegweiseritt sein und ckear
olä motlmrs treue Augen
gute Leitsterne für den Halb-
fremden."
Während dieses Selbstge-
sprächs fuhr der Wagen in
raschem Trabe durch eine
Reihe glänzend erhellter
Straßen und hielt vor einem
großen palastähnlichen Ge-
bäude in St. James-Street.
Der Diener sprang herab,
die Hausthür flog auf und
öffnete den Blick in eine
große, matt erleuchtete Vor-
halle. Mehrere Diener be-
eilten sich, den Wagenschlag
zu öffnen, aus dem nun ein
großer, etwas nachlässig ge-
kleideter Herr heraussprang.
Er mochte etwa in der Mitte
der dreißiger Jahre stehen,
seine Figur war kräftig, die
Bewegungen elastisch und
sicher, seine Gesichtszüge von
einer starren Regelmäßigkeit,
die etwas störend Kaltes ge-
habt haben würde, wenn nicht
ein Paar große, schwarze,
eigenthümlich mild und in-
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