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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 22.1874

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.62248#0299
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IwejmulENLigsttt! ^rhrgang.

II. (Reft. ^tzA> Ktllttgllet. Uttil Hmr.


ßousme Agnes.
Novelle
von
Carlo tt.
17^ I-
>^1/1 ie Nacht lag wie ein schwarzes Tuch über der weit
gestreckten Haide. — Der Regen rieselte flüsternd mit
jener Gleichmäßigkeit herab, welche eine lange Dauer
verspricht. — Unbeweglich streckten die hochstämmigen Kiefern
ihre düsteren Kronen zum lichtleeren Himmel empor und ihre
Schatten vermischten sich mit dem Dunkel der Nacht zu einer
unheimlichen Finsterniß.
Ein einsames Gefährt arbeitete sich mühsam durch den
Wald. Der Weg, dessen lockeren Sandboden der Regen zu
einem zähen, schlammigen Brei verwandelt hatte, war kaum
anders, als an der ungewissen Stelle zu erkennen, mit welcher
die Oeffnung in den Baumwipfeln gegen die Schwärze des
Nachthimmels matt hervortrat.
Tas Pferd schritt müde und verdrossen weiter, vorsichtig
die tiefen Löcher sondirend, in welche der
Wagen oft bis zur halben Höhe der Achse
versank.
Der Wagen war vorn offen, an den
Seiten aber gegen den Regen dicht ver-
schlossen. Wenn die Dunkelheit einen Blick
in das Innere gestattet hätte, so würde
man darin eine junge Dame erkannt haben,
welche durch eine für die Jahreszeit etwas
leichte Kleidung gegen die feuchte Nachtkühle
nur nothdürftig geschützt war.
Sie neigte sich mit einiger Unruhe
gegen die Oeffnung des Wagens und ihre
Augen suchten die dunkle Umgebung zu
durchdringen: überall jedoch, an den
Seiten wie oben am Himmel, begegneten
ihre Blicke nur dem Schatten, der Finster-
niß, der Einsamkeit; sie vernahm nichts,
als das eintönige Plätschern des Regens,
das geheimnißvolle Rauschen des Waldes,
das Klappern der Achsen des Wagens.
„Gestehen Sie," rief sie endlich dem
Führer des Fuhrwerks zu, „daß wir auf
einen falschen Weg gerathen sind."
Der Kutscher antwortete mit einer halb-
lauten Verwünschung auf die heillos fin-
stere Nacht.
„Können Sie wenigstens sagen, ob
wir bald ein Obdach erreichen werden?"
„Ich denke, wir müssen bald auf den
Brandmeiler kommen."
„Wird man dort über Nacht bleiben
können?"
„Stattlich wird's eben nicht sein."
„Gleichviel. Jst's noch weit bis da-
hin?"
„Das ist schwer zu sagen. Ja, wenn
der Weg nicht so bodenlos wäre."
„He! Hoho!" unterbrach den Kutscher
eine rauhe Stimme.
Mit einein leichten Schrei fuhr die

„seht doch den alten Kater — führt mit einem Kätzchen in:
Busche spazieren! — He, mein Kind! haben Sie die Güte,
ein wenig vorzukommen — man kann in dieser verwünschten
Finsterniß —"
„Was geht hier vor?" unterbrach ihn eine Helle, ge-
bieterische Stimme.
Der Ton dieser Stimme berührte die beiden Wegelagerer
wie ein elektrischer Schlag.
Der Eine, der das Pferd noch immer sesthiclt, versuchte
mit einem Sprunge über den Graben in den Wald zn ent-
kommen.
„Halt!" donnerte die Stimme ihm nach: blitzschnell ward
er von einem großen Hunde gepackt nnd zu Boden geschleudert.
Der Kutscher sprang vom Bock, um sich des Pferdes zu
bemächtigen.
Aber schon krachte die Deichsel unter dem wilden Auf-
bäumen des entsetzten Thieres.
Zur rechten Zeit erfaßte der Kutscher dasselbe am Zügel
und brachte es zum Stehen.
Der zweite Wegelagerer hatte seinen Kopf eilig aus dem
Wagen zurückgezogen.
„Wer spricht?" fragte er rauh zurück.
„Dacht' ich's doch — der schwarze
Franz!" antwortete gelassen die Stimme
und an der Oeffnung des Wagens erschien
die dunkle Gestalt eines Mannes.
„Komm' herab!" gebot er kurz.
„Lassen Sie mich, Herr! Oder —!"
„Du drohst, Bursche!" rief der Fremde,
mit einer gebieterischen Bewegung seine
Hand erhebend.
Der andere Wegelagerer machte einen
Versuch, sich zu erheben.
Ein wüthendes Knurren des Hundes
brachte ihn zur Ruhe.
„O mein Herr! verlassen Sie mich
nicht!" rief die Dame ans dem Wagen.
„Ah, Elender! an schwachen Frauen
übst Du Deinen frechen Muth!" rief der
Fremde entrüstet. „Herunter vom Wagen!"
Und seine Hand umklammerte den Arm
des Räubers wie eine Zange und zog ihn
von der Deichsel herab.
Unter diesem unwiderstehlichen Druck
stöhnte der Räuber.
„O Herr!" stammelte er, „es war
nicht ernsthaft gemeint!"
„Was? der Scherz eines Spitzbuben!"
versetzte der Fremde. — „Es ist dießmal,"
fuhr er mit erhöhter Stimme fort, „beim
Versuch geblieben — freilich gegen Deinen
Willen — und darum will ich euch laufen
lassen. Aber Deine Rechnung ist voll,
Franz — hüte Dich hinfort! — Und dem
Andern dort — ich kenne den Burschen!
— rathe ich, nicht zum zweiten Male
in mein Gehege zu kommen. — Hektor,
laß los!" gebot er den: Hunde.
Der Hund gehorchte zögernd. Vor-
sichtig erhob sich der Räuber.
„Fort nut euch!" rief der Fremde.
Die beiden Männer verschwanden eil-
fertig im Walde.

Dame in den Hintergrund des Wagens zurück. — In dem-
selben Augenblick erklang ein dumpfes Geräusch, wie von
dem kräftigen Sprunge eines Mannes über den Straßen-
graben; ein dunkler Schatten glitt quer über den Weg.
Das Pferd prallte zur Seite; eine kräftige Hand faßte es
fest am Zügel.
Der Kutscher hieb heftig auf das ermüdete Thier ein: bei
dem zweiten Schlage ward sein Arm von einer starken Faust
festgehalten.
„Laß das, alter Freund, und sei ganz still," sprach eine
tiefe Stimme neben ihm. — Eine zweite Hand erfaßte wie
ein Schraubstock seine Linke und entwand ihm die Zügel —
sie fielen in den Schlamm.
„Was soll das!" schrie der Kutscher unter einem ver-
geblichen Versuche, seine Hand zu befreien.
„Still, alter Narr, oder wir sprechen ernsthaft mit ein-
ander!" antwortete die Stimme in drohendem Tone; und ein
Mann schwang sich ans die Gabel der Deichsel.
„Ich will wissen, was Du fährst," sprach er.
Und er versenkte seinen Kopf in die Tiefe des Wagens.
Ein halb unterdrückter Schrei drang ihm entgegen.
„Oho!" rieflder Räuber mit einem kurzen, rauhen Lachen,

Jllustr. Welt. XXII. 1l.

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