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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 22.1874

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Heft 4
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Zllustrirte Welt.

123

beiden Kriegskameraden machten sich nun auch bemerkbar. Beide
versuchten mit den Mädchen zu reden. Und welch' Wunder!
Amalie und Margret!), die bisher geglaubt hatten, nicht ein Wort
deutsch reden zu können, sprachen doch wenigstens so gut, daß nicht
die geringste Unklarheit zwischen ihnen und den Prussiens blieb,
und daß nach etwa zwei Monaten Amalie ihrem Fritz heimlich
Morgens einen Kuß gab und Margret!) Abends nach dein Appell
dem Wilhelm einen, denn Alles muß sein Reglement haben. Aber
die Soldatenliebe hängt vom Schall der Trommel und der Trom-
pete ab. Eines Morgens bliesen schmetternd die Hörner: Sammelt
euch! Aufgesessen! Vorwärts Marsch! und Fritze und Wilhelm
hatten Garnisonswechsel. Dem ging ein schwerer Tag voraus —
der gewöhnliche Morgenkuß Amaliens dauerte lange und es flössen
Thräncn. Aber Fritze tröstete Amalie: „Schatz, ich heirathe Dich,"
sagte er; „kannst Du mehr verlangen? Dann hat die Sache iyr
Reglement — und wenn Dich der Alte nicht will nach Teltow
ziehen lassen, so verkaufe ich meine sieben Morgen Rüben und
komme zu euch. Hier, wo der Wein wächst, ist auch 'ne ganz
schöne Gegend." — Am letzten Abend erhielt Wilhelm von Grethe
seinen Kuß und es dauerte gleichfalls sehr lange und viele Thränen
fielen aus großen blauen Augen. „Weine nicht," beruhigte sie der
Badenser. „Ich bin ja fast immer euer Nachbar gewesen, jetzt
gibt's keine Grenzen mehr, und mit dem Ende der Okkupation
wirst Du meine Fran, kannst Du mehr verlangen?" Grethe ver-
langte nicht mehr. Die Trompeter bliesen einen so lustigen Marsch
— die Helme und Waffen blitzten im Sonnenschein, die Pferde
tanzten beinahe nach der Musik, so zierlich gingen sie, und die
Soldaten verschwanden immer mehr hinter dem Thor. Auf dem
Erkerbalkon des alten Hauses am Markte aber standen Margreth
und Amalie. Sie wollten nur neugierig erscheinen, sie stellten sich
vor einander, als athmeten sie auf, die Last endlich los zu sein;
jedoch es wollte nicht gehen, gesenkt waren ihre Köpfe und aus
den Augen stürzten verstohlen heiße Thränen, und als der letzte
Soldat hinter dem Thor verschwunden war, eilten beide Schwestern
in ihre Kammern und fielen sich beide in die Arme, schluchzten
und weinten und flüsterten von den Prussiens und ihren Herzen,
und sträubten sich zu weinen und weinten immer schmerzlicher.
„Glaubst Du an ihr Wort?" flüsterte Amalie. — „Ich glaube es,
sind Deutsche," sagte Grethchen. Sorgenzcit. .. Sorgenzeit.. .
Fritze und Wilhelm schrieben beide nicht gern. — Endlich schrieben
sie aber doch, und nach einem Jahre hatte Fritze sein teltowcr
Rübenparadies verkauft und kam mit zweitausend Thalern nach
Nancy, und Wilhelm holte seine Grethe nach Freiburg, daß sie
jetzt nicht mehr draußen im Deutschland lag. R.-B.

Ein Minifterrutlr Luüwig8XIV. im Zimmer cler Maintenon.
(Bild S. 10) und 101.)
Der Lebenslauf der Marquise von Maintenon bietet so viel
Gegensätze und Seltsamkeiten dar, daß er ein sehr lebendiges und
charakteristisches Bild des Zeitalters der Allongeperrücken, des
falschen, aufgebauschten Prunkes, des fürstlichen Absolutismus und
Egoismus und der tiefen Verkommenheit aller Stände abgibt.
Franhoise d'Aubigno, aus einer alten Protestantenfamilie stammend,
wurde 1635 zu Risons, wo sich ihre Eltern im Gefängniß be-
fanden, hinter vergitterten Fenstern geboren. 1638 ging sie mit
ihrem Vater nach Amerika, kehrte 1646 zurück und heirathete
1651 den buckligen, witzigen Spottdichter Scarron. Die junge,
schöne Frau war überaus lustig und kokett-liebenswürdig; sie war
die Seele der Gesellschaft von Witzbolden und Spottvögeln, die
sich fast allabendlich bei ihrem Gemahl einfanden, und der Haus-
frau lustiges Geplauder und ihre Anekdoten mußten sehr oft die
fehlenden Braten in dem Schriftstellerhaushalt ersetzen. Scarron
starb und hinterließ 1660 Franxoise als eine bitterarme, schöne,
junge Wittwe. In ihrer Noth wandte sich die verlassene einsame
Schöne an die damals allmächtige Geliebte Ludwig's XIV., an
die Montespan, um eine Pension bittend, und oft hierbei mit
dem frauenfreundlichen König zusammentreffend. Ludwig hatte
aber eine entschiedene Abneigung gegen die Plötzlich fromm Ge-
wordene und schlug stets ihre Bitten ab. Die Montespan ward
ihrerseits nicht müde, ihres Gebieters Aufmerksamkeit auf die
darbende schöne Wittwe zu lenken; diese war in ihrer Verzweif-
lung schon entschlossen, als Gouvernante nach Portugal zu gehen,
als ihr plötzlich eine Pension von 2000 Franken bewilligt wurde
und nun mit einem Schlage ihre Lebensstellung sich änderte.
Ludwig XIV. fand mit einem Male Gefallen an der frommen
Schönheit. Er zog sie als Hofdame an seinen Hof, machte sie
zur Erzieherin des Herzogs von Maine und schenkte ihr das
prächtige Landgut Maintenon, dessen Namen die Wittwe Scarron
annahm. In ihrem fünfzigsten Jahre war die Marquise von
Maintenon die erklärte Geliebte des allerchristlichsten Königs,
des größten fürstlichen Schauspielers, Heuchlers und Lüst-
lings, den die französische Geschichte kennt, und später sogar
mit dem König im Stillen vermählt. Die Maintenon fesselte
durch ihre Klugheit den wankelmüthigen, großen Herrn bis an
sein Lebensende an sich. Sie spielte nämlich gerade das Gegen-
theil von all' den früheren Mätressen des großen Königs. Sie
war die Frömmigkeit, Bescheidenheit, Sanftmuth, Milde, Demuth
und Uneigennützigkeit selbst, und hütete sich, nur irgendwie an
den Jntriguen sich zu betheiligen oder eine Einwirkung auf die
Staatsgeschäfte sich anzumaßen. Dieß zog wohl diesen abgestumpften
Frömmler zu der Marquise; dieß gab ihr einen Reiz, der gerade
dem seiner anderen Amours entgegengesetzt war, und Ludwig be-
lohnte die Maintenon deßhalb mit ganz außergewöhnlicher Ach-
tung. Die Marquise hatte ihre Zimmer auf demselben Flur mit
denen des Königs. Vor dem Diner besuchte er sie stets eine
Stunde, nach dem Diner gleichfalls, und ebenso hielt er wichtige
Berathungen mit seinen Ministern in den Zimmern seiner Ge-
liebten ab. Frau von Maintenon saß während dessen lesend oder
mit einer Handarbeit beschäftigt in der Nähe des Königs, schein-
bar gar nicht theilnehmend an Dem, was um sie vorging. Daß
sie aber doch Einfluß auf selbst sehr bedeutende Staatsaktionen
ausübte, beweist die Aufhebung des Edikts von Nantes, welche
hauptsächlich ihr Werk war. Der Maler unseres Bildes hat sehr-
anschaulich und ganz im Geiste jener Zeit eine solche Minister-
sitzung im Zimmer der Maintenon uns vor Augen geführt. Es
ist die Zeit des üppigsten Rococo, die Zeit der Tartüffes, der
Libertinage, der nachgeahmten Kaiserherrlichkeit des Römerthums
im Reifrock und Schminke mit Schönpflästerchen und Perrücken.

Allster au8 Grunusta.
(Bilder S. 105.)
Das südliche Volksleben hat für uns Deutsche einen ganz be-
sonderen Reiz. Schon gleich jenseits der Alpen beginnt es unser
Interesse lebhaft zu fesseln. Es ist auch eigenthümlich, wie jen-
seits des Gotthard, Splügen, Simplon Plötzlich die Menschen sich
ganz anders halten und bewegen, und welch' eine Farbenbuntheit
uns da entgegentritt. Die Gesichtszüge dieser Südländer sind
schärfer, ausdrucksvoller, und all' ihr Fühlen und Denken liegt
mit fast kindlicher Offenheit in ihren Mienen, ebenso auch List,
Falschheit und böse Leidenschaft mancherlei Art. Aber gerade
dieses Zutagetreten der Charaktere, diese Zwanglosigkeit in allem
Thun und Lassen muthet uns Nordländer sehr heiter an, dazu die
sonnige Lust, eine schöne, reichspendende Natur, ihre glühende
Farbenfülle und die Neigung des Volkes, an Buntheit es dieser
gleich zu thun, erklären völlig das Wohlgefallen nicht nur der
Künstler an dem Süden. Ueber Italien liegt gewissermaßen ein
sonniger Schimmer, ein heiteres Lächeln, etwas wie stete Aufge-
räumtheit; anders in Spanien — dort ist ein gleicher Lichtglanz,
der Himmel gleich tiefdunkel, aber die Licht- und Farbenglut hat
dort etwas mehr Feierliches, das Land trotz seiner Fruchtbarkeit
einen ernsteren Charakter; die Thäler find einsam, schluchtenarti-
ger, die Gebirge schroffer, härter, eintöniger, als in Italien; große
öde Flächen wechseln mit wahrhaft paradiesischen Oasen ab —
diese aber scheinen im Laufe der Jahrhunderte immer mehr ab-
nehmen zu wollen. — Ernste, feierliche Melancholie trotz der
heißen, Hellen Sonne ist der Grundcharakter Spaniens, wie auch
des spanischen Volkes. Der Spanier lacht weniger, als der
Jtaliener, sein Gesicht ist weniger oval und schon brauner, hürter
in den Linien, seine Bewegungen gemessener, das heißt gemessen
wie von verhaltener Leidenschaft, und so gestaltet sich das spanische
Volksleben, obwohl immer noch höchst lebhaft nach unfern Be-
griffen, doch mit einer Art sicherer Haltung, die wir Grandezza
nennen. Ein vortrefflicher Ort, das Volk aller Länder zu beob-
achten, sind die Märkte. Auf diesen werden die nächstliegenden
Interessen, die Interessen des Tages tief berührt, und ohne Fessel
und Schminke bewegt sich dort Jung und Alt, Reich und Arm,
wie verborgen in dem geheimsten Zimmer. Eine Stunde auf
dem Fischmarkt zu Granada beispielsweise bietet uns ein Bild des
Volkslebens der gestimmten südlichen Spanier in all' seinen Nüan-
cirungen dar, wie wohl wenig andere Lokalitäten. Hier wimmelt
es von Volkstrachten, von grünen Netzmützen auf den schwarzen
Krausköpfcn der Männer, rothen ShawlS um den Leib unter der
Manchesterjacke, seltsamen Kamaschenhosen mit Goldstreifen, bunten
Miedern der Frauen, grellen Röcken, wundersamen Haarkämmen
in den prachtvollen Haaren, Kämmen mit einem Dutzend kleiner
Spiegelstücke als Schmuck darin, und das bewegt sich und scherz:
und feilscht und trotzt und rümpft die Nasen und hat verach-
tende und anlockende Blicke, Ausrufe, Anpreisungen und ein Gesti-
kuliren, ein Kopf-, Arm- und Beinwerfen, daß es eine Art hat.
Dennoch aber unterscheidet sich ein spanischer Markt sehr bedeutend
von einem italienischen. — Während der Italiener zappelt und
zuckt und springt, leicht, gewandt, graziös —, schimpft, zankt, schmei-
chelt, lockt und betrügt der Spanier mit einer Art ritterlicher
Haltung, und er bietet Dir ein Dutzend halbfaule Orangen,
einen todt gefangenen Fisch, nicht, wie der Italiener, mit hold-
seligem Lächeln, sondern mit der Würde eines spanischen Bürgers,
von Charakter ein spanischer Fischer oder Gartenbesitzer, der gern
verkauft, aber doch sich als unübertrefflicher Spanier fühlt. Den
gleichen stolzen, würdigen Zug bewahren die Frauen, und selbst
ihr sehr lebhaftes Zanken und ihre noch lebhaftere Koketterie haben
stets eine gewisse Würde — diese hingegen fehlt vollständig, wenn
man etwa zehn Minuten von Granada entfernt in das Viertel
der Gitanos hinauswandcrt. Dort wohnt eine Volksklasse, die
sehr verschieden ist von der Gesellschaft Preziosa's. Es sind
Spanier mit Zigeunerblut in den Adern, und diese braune, zer-
lumpte, auffallend häßliche Lumpengesellschaft vereinigt die häß-
lichen Züge der Spanier mit den nichtsnutzigen der echten Vaga-
bunden. Sie sind leidenschaftlich, rachsüchtig, dummstolz, faul,
diebisch und recht von Grund aus lüderlich. Wehe einem Frem-
den , wenn er in dieß Quartier kommt und als solcher erkannt
wird! Im Moment hängen an ihm wie heißhungrige Blutegel
eine Schaar kaum bekleideter Kinder mit glühenden Augen,
krausen, ungekämmten Haaren und bronzebraunen Armen und
Beinen, und flehen und betteln, und zerren und reißen, daß fast
nur der tüchtig drauf los arbeitende Stock dem Angefallenen Luft
verschafft; im Augenblick auch hat sich irgend ein zerlumptes
Weibsbild mit einem in nationale Lumpen gekleideten Mann
hinzugcsellt und führen einen schamlosen Tanz auf, während eine
hexenartige Alte und eine ganze Sippschaft kleiner brauner
Schmutzfinken von dem gegen eine Mauer gedrängten unfreiwilli-
gen Zuschauer eine Art Entröe für dieß Schauspiel verlangen.
Eine Handvoll Kupfermünzen Plötzlich etwas entfernt hingeworfen,
worauf schreiend und sich balgend sowohl die Kinder wie die Alte,
und auch die Tanzenden sich stürzen, und in diesem Moment
spornstreichs davoneilen, ist das einzige Mittel, von dieser echt
südspanisch romantischen Szene loszukommen.

Eine länstjistic llnterstaltung.
(Bild S. 109.)
Wir sind eigentlich sehr ungerecht gegen unsere Grauthierchen.
Statt sie zu beloben ihrer vielen großen Tugenden wegen, dient
uns ihr Name als Schelt-, Schimpf- und Verachtungswort, ob-
gleich die heilige Schrift durch einen Esel ein Wunder thun läßt,
und einer der größten Dichter der Welt, Cervantes, in seinem
Don Quijote einen Esel als eine Art Haupthelden seines Romans
liebevoll ausmalt. Nicht als ein Bild der Dummheit sollte uns
das Grauthierchen gelten, im Gegentheil, als Symbol mannig-
faltiger und ganz besonders christlicher Tugenden. Wer hat solch'
eine Engelsgeduld, als dieser verachtete Vierfüßler? — Welches
Wesen eine größere Sanftmuth, eine gleiche Friedensliebe? —
Wer nimmt mit der bescheidensten Nahrung so vorlieb, mit
„Dornen und Disteln"? — Wer vergilt Schläge mit vermehrter
Arbeit und mit größerer Thätigkeit für seine Peiniger? — Wer
kann sich einer gleichen Stetigkeit und Ruhe, eines so unerschütter-

lichen Gleichmuths rühmen — als unser Esel? Es ist ein sanftes,
! treues, gutes, anhängliches, nützliches Thier, unscheinbar an Ge-
stalt und Farbe, wie an Seelenkrüften, aber in der Tiefe seines
Wesens liegt etwas Echtes, Wahres, etwas gut, behaglich, solid
Bürgerliches, etwas vom Charakter eines biederen, still vor sich
hinlebenden Ehrenmannes, einer friedliebenden, stillen, guten Seele.
Er liebt, wie alle wahrhaft guten Wesen, die Kinder, und diese
doch so scharfen Menschenkenner und Seelenkritiker lieben den
Esel wieder. Kann es für einen Verkannten und Vielverleum-
deten eine schlagendere Rechtfertigung geben?

Ein kollünstifcüer Aückertrvstlcr.
(Bild S. 112.)
In den Städten der Mijnheers und Mijvrous gibt es gar
seltsam stille, lauschige, stets dämmerungsdunkle, nebelgefüllte
Gassen und Gäßchen, wo sich zu Füßen der hochgiebeligen, kraus-
geschnörkelten Giebelhäuser ein originelles Leben entfaltet. Nichts
ist malerischer als beispielsweise das wundersame Schmutzgerumpel
des amsterdamer Ghettos, des Judenviertels, wo ehemals die ge-
summte Judenschaft der Kanalstadt hineingebannt und jetzt noch die
armen Glieder jener mächtigen und steinreichen Gemeinde wohnen.
Das so düster poesievolle, träumerisch lebensvolle Helldunkel konnte
nur von eineni holländischen Maler erfunden werden; denn kaum
gibt es in einem andern Land der Erde ein derartig gedämpftes
Licht, als in den schmalen Gassen und in den schmalfenstrigen, alter-
thümlichen Häusern der Städte „Neederlands". In eigenthümlichem
Gegensatz zu diesem Dämmerungslicht steht die Bevölkerung. Wer
die Holländer als so stumpf, schwerfällig und phlegmatisch taxirt,
kann sich gewaltig verrechnen. Wohl ist der Holländer bedächtig und
ein schlau und listig kalkulirender Kaufmann, aber wenn es sein
Vorthcil erheischt, wenn es ihm darum zu thun ist, kann er schwatzen
und entwickelt er eine Beredsamkeit und ist er rührig und schnell-
füßig, daß er dem Franzosen wenig nachsteht. Besonders das
weibliche Geschlecht kann ganz unbändig schnell und viel sprechen
und erregt nicht selten die Verwunderung des Touristen, der ge-
wöhnt ist, auch die Mijvrous und Jouvrouv als dick, still und be-
haglich sich zu denken. Man besuche nur eine holländische Markt-
gasse und man wird wahrhaft wirbelig von den Leistungen des
hier wirklich schönen Geschlechts. Diese Gedanken erregte mir ein
Bild unseres Paul Meyerhcim, das einen holländischen Trödler-
stand in einer der Marktgassen, wahrscheinlich Rotterdams, uns
vor Augen zaubert. Vor seiner halboffenen Kiste steht dieser
Buchhändler und hat auf einem uralten Eichentisch alte, perga-
mentgebundcne, staubige und verstaubte „Schmücker", Postillen,
Chroniken, Klassiker, Fliegende Blätter mit Bildern, Balladen in
klotzigen Versen, Traumbücher sehr alten Datums, Kochrezept-
sammlungen, Landkarten und Traktätchen ausgelegt. Stumm,
wie in sich versunken, hockt der Alte mit der Hakennase in dem
ihn umzitternden NebKgebräu vor seinen literarischen Schätzen,
die Sammetmütze bedeckt das kahle Haupt, unter dem mancher
gelehrte Gedanke unfruchtbar vertrocknet ist, und der weiße Bart
verdeckt die unnatürlich glänzende alte Atlaßbinde. Der Mann
ist ein verunglückter Gelehrter — denn es ist so sehr leicht, in
Holland verunglückter Gelehrter zu sein. Vor ihm vorbei wandern
tagtäglich, vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, Fischer,
Schiffer, Börsenleute, Handelsjuden, Apfelsinen-Mädchen, Flun-
dernweiber, Kesselflicker, Waisenkinder und Dienstmädchen. Wird
Niemand unter all' diesen bei ihm stille stehen und etwas kaufen
— nicht dieser alte Herr, der wie ein Landpfarrer aussieht, keines
der so sauber mit weißen Häubchen und weißem Umschlagetuch,
bekleideten Mädchen? Jetzt bleibt ein so ehrwürdig wohlgenährter
Herr stehen und auch ein paar Fischermüdchen, und nun springt
wie elektrisch der Alte auf. Nun schwatzt und lobt, preist, be-
schwört, versichert und beleuchtet er mit feinen, scharfen, unwiderleg-
lichen Worten, daß man staunt, und die Mädchen suchen unter
den Balladen Mordgeschichten und Liebe, und unser Buch-
händler rühmt die alten fleckigen Blätter und Käufer und Ver-
käufer schwatzen und diskutiren mit ganz südlicher Glut und fast
spanischem Feuereifer, denn es handelt sich nur um drei, vier,
fünf Cents. Während dessen braust der alte, gewohnte Menschen-
strom durch die feuchte, dumpfige Marktgasse, und Abends spät
schließt der Büchertrödler seine Kiste, stellt seinen Tisch in eine
seuchttriefende Bretterecke zwischen zwei zusammengeklappten Buden
und er selbst steigt hinauf in den alterthümlichen Giebel eines
dumpfen, dunklen, feuchten Hauses, wo er aus seinem halberblin-
deten Fenster Dächer und Mastenspitzen sieht, um am nächsten
Morgen wieder vor seinen alten Buchscharteken in dem dämmc-
rungsnebeldunkeln Gäßchen zu hocken.

Wiener WeltauHellnng.
Der Hauptcingang z»m Weltausstellungs-Platze.
(Bild S. 113.)
Das System von gedeckten Gängen, welches sich bis zum Jn-
dustriepalast erstreckt, hinter diesem zur Maschinenhalle fortsetzt
und im Rücken derselben sogar bis zum Bahngeleise nächst dem
neuen Donaubette ausdehnt, hat an dem Haupteingange sein
Centrale. Von hier aus erstrecken sich die zierlichen durchsichtigen
Holzbauten, wie eine Art von Gartenlaubgängen, in schöner durch-
brochener Holzgestäng- oder Lattenarbeit, nach beiden Seiten hin,
wie das Geäder eines Herzens, das den ganzen Körper belebend
durchzieht.
Der Haupteingang in seiner stolzen Schönheit ist nicht immer-
geöffnet, seine leichten, durchsichtigen Thore fliegen nur auf zu
Festauffahrten, wenn Fürstenbesuch und die Kaiser-Allee mit ihren
vier Reihen schattenreicher frischer Bäume on xaraäs entweder
durchschritten oder durchfahren werden soll.
Der Haupteingaug überhöht die Flanken der von ihm aus
sich rechts und links erstreckenden offenen Gänge, er enthält quer-
über auf der Höhe und an den beiden Seiten die Wappen aller
Hanptstaaten, welche sich an der Weltausstellung betheiligtcn.
Das Gitterholzwerk, aus welchem cs besteht, ist gelbbraun, in
 
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