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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 22.1874

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Heft 7
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Geber Land und Meer. Allgemeine Illustrirte Zeitung.

216

W. 11

lieben gelernt und den Gedanken an eine Verbindung nicht
mehr aus den Augen gelassen. Im Frühling dieses Jahres
besuchte der Herzog die Großfürstin und ihre Mutter , in
Sorrent und von jener Zeit an fanden freundsihaftsichs
Verhandlungen statt, die nach Beseitigung nebensächlicher
Schwierigkeiten zum Ziele führten. Es handelte sich näm-
lich um den Aufenthalt des hohen Paares, welche Frage
nun dahin entschieden ist, daß der Herzog einen Theil des
Jahres in England, den andern in Rußland zubringen
wird. Die Herzogin bleibt bei der griechischen Kirche,, ihre
Kinder werden jedoch als Protestanten erzogen. Die Groß-
fürstin ist am 17/5. Oktober 1853 geboren, also zwanzig
Jahre, und genoß die sorgfältige Erziehung, die am russischen
Kaiserhofe traditionell ist. Das schöne Familienleben hat
wohlthätig auch auf ihr Gemüth gewirkt und sie hat in
Italien die Herzen Aller gewonnen, die ihr nahe kamen.
Die Mitgift — das wird unsere Leserinnen interessiren —
beträgt nicht weniger als vierundzwanzig Millionen Gulden.
England ist besonders erfreut über diese Partie, da es
sich durch sie mit dem Hause des mächtigsten,Fürsten der
Welt verbündet, und die so lange antagonistischen Häuser
der Welfen und Romanoff nun alliirt sieht, „eines der
größten politischen Ereignisse des Zeitalters", wie sich ein
englisches Blatt ausdrückt. Die Vermählung wird am
2. Januar in St. Petersburg stattfinden.

Wintermode.
(Hierzu das Bild S. 212.)
Es ist keine Frage, unsere heutige Mode ist st^liseli
und was die Hauptsache, sie macht jedes Köpfchen reizend,
jede Figur schlank, jeden Gang elegant. Die Tournüre
gewinnt ungemein durch das Kostümartige der Toilette.
So ähnlich scheinbar die einzelnen Toiletten, so reich und
mannigfaltig gestalten sie sich, wenn wir näher zusehen, und
wenn wir noch die Mißfarben, die lange genug ou vo§uo
waren, überwunden haben, so wüßten wir keine anziehendere
Mode, als die unserer Tage.
Wie reizend diese Besuchstoilette! Das Kleid von
moosgrünem, der Dolman aus schwarzem Sammt im Styl
der Regentschaft. Der Dolman, welcher an der Hintern
Taille fest anschließt, öffnet sich vorn und zeigt eine Weste
Louis XV. mit langem Schoß. Die Weste ist aus einem
jener reichen gestreiften Stoffe von Taffet und Sammt,
welche gegenwärtig so viel 8ucw68 haben. Der Dol-
man ist ringsherum reich mit feingekräuselteil Straußen-
federn besetzt, an welche sich eine Chenillefranse mit schön
geschliffenen Jetperlen anschließt. Eine schöne schwarze Abbo-
Taffetschleife, welche in der Mitte des Rückens ansetzt, fällt
bis an das Ende des Oberschoßes, welchen er zu halten
scheint, und setzt sich bis an die Puffe des Kleides fort,
wo sie eine schöne Coque mit gefransten Enden bildet.
Der Fond des Angothutes ist von dunklem Türkisengrün
mit geschliffenen Jetperlen übersät. Der Boden des Hutes
mit zweierlei dunkelgrünem Band garnirt. Vorn aufge-
schlagen, bildet er ein Diadem mit rosa Taffet und Krepp
garnirt. Eine volle Theerose mit Sammtlaub auf der
einen, auf der andern ein Federntuff, vervollständigt den
Ansputz dieses ebenso reichen als eleganten Hutes.


Im KenLraksaake der KmrsLhasse*).


(Hierzu das Bild S. 204.)
Der Kunst will Jedermann seine Visite abgestattet haben.
Meistens wird der Weg in den riesigen Pavillon vom
Centrale aus genommen, das heißt von der Rotunde aus
durch die östliche Flanke des Jndustriepalastes, welchen man
am Ostportale verläßt, um einer prachtvollen Parkanlage
gcgenüberzustehen, in der auch der „Brunnen des Achmet"
fesselt, über den hinweg im Hintergründe der Kunstpavillon,
besser gesagt der Kunstpalast, seine hohen Säulen und Bogen
streckt. Vorschreitend gelangt man in die Bogen der offenen
Vorhalle, welche monumentale Erz- und Marmorplastiken,
auch riesige Mosaikbilder zeigt, und von dieser schönen, be-
deutungsvollen Einleitung stimmungsvoll gehoben, wendet
man sich um so neugieriger zu den hohen Pforten, welche
uns den Eingang in den Centralsaal vermitteln.
Die meisten Besucher streben nach dem Centralsaal,
und sie haben Recht, den ersten Eindruck gerade hier ganz
und voll auf sich wirken zu lassen. Er ist ein das Maß
des Gewöhnlichen weitaus überschreitender Saal, selbst der
Höhe nach, und die imposante Halle (so sollte man eigent-
lich den Saal nennen) ist von gedämpftem Oberlichte in
jener Milde erhellt, welche allem darin Erscheinenden eine

*) Während der Ausstellung geschrieben. D. Red.

gewisse Weihe aufdrückt. — So sehen wir riesige Bilder
hier versammelt, und um keinem Reiche einen Vorzug zu
lassen, um die Gemeinsamkeit in der Kunst zu zeigen, ist
der Centralsäal ein internationaler. Aus allen Nationen
sind Vertreter hier gewählt. Die das meiste Augenmerk
auf sich lenkenden Bilder sind des Franzosen Cabanel riesig
ausgedehnter, bunter, antiker Reigen auf blauem Grunde,
für einen Plafond bestimmt, des Belgiers Wiertz „Sünden-
fall" mit verknoteten Kolossalfiguren und einem Kolossal-
drachen, welcher Feuer speit, des Deutschen Piloty „Triumph-
zug des Germanicus" und des Deutsch-Oesterreichers Canon
„die Loge Johannis". Namentlich vor diesen beiden sammeln
sich die Beschauer, ersteres derselben gehört wesentlich seinem
Inhalte nach zu jenen künstlerischen Gemeingütern der Nation,
welche rasch ihren Weg in die Herzen und das Gedächtnis;
nehmen, letzteres ist gerade durch seine Tendenz, welche allen
Konfessionen Frieden predigt, in dieser Zeit gewinnend.
Bei beiden Bildern wirkt zugleich der Reiz der Farbe, bei
Piloty jene Gedämpftheit und doch brillirende Wirkung,
bei Canon eine Fülle und Klarheit der kräftig bestimmten
Töne, welche an die besten altitalischen Meister erinnert.
In den Centralsaal kommen alle Schaulustigen noch
mit jenem Eifer, welcher lange vor einzelnen Partieen ver-
weilen läßt, weil man der Größe der bevorstehenden Aufgabe
uoch weniger bewußt ist, oder die von dem weiten Wege
Müden benützen hier die erste Gelegenheit, sich niederzu-
lassen und die Ruhe des Leibes mit der Beweglichkeit des
Geistes zu verbinden. Da sieht man zugleich den Naiven,
welcher rings nur die Buntheit anstarrt, neben dem tief-
sinnenden Beschauer, welcher sein Auge fest auf Einzeln-
heitcn haften läßt, bald die hohle Hand, sogar auch ciu
Instrument sorglich und hartnäckig zu Hülfe nimmt. Da
fitzt die enthusiastische Dame, welche Alles wunderbar findet,
ohne näher zu prüfen, da sitzt die Kokette, welche durch
Lorgnons äugelt und mindestens eben so viel die Umgebung,
wie die Bilder mustert; da sitzt die altgeprüfte Mutter und
lehrt ausfällig ihren Töchter-Küchlein Kunst, oder die Gou-
vernante hält ihren Zöglingen langathmige Vorträge. Da
läßt sich der Proletarier nieder, welcher für sein geringes
Eintrittsgeld sich die Fauteuils und schwellenden Sitze und
prachtvollen Räume desto mehr behagen läßt. Da sitzen die
Harrenden, welche ihre herumschwärmenden Zugehörigen er-
warten, denn der Ceutralsaal ist ein sicherer Ort für allerlei
Stelldichein, und so zeigt derselbe fortwährend einen Mikro-
kosmos des Makrokosmos in der Weltausstellung; er ist
wohl eine Welt für sich mit Kommenden, Bleibenden, Gehen-
den, aber er ist doch nur ein Theil des großen Ganzen —
in ihm sind Kunst und Natur seltsam und beachtenswerth
vereint. A. S.

Das WeöetHorn der Weltausstellung.
(Hierzu das Bild S. 208.)
Wer der Millionen Besucher der Weltausstellung er-
innert sich nicht an den vielbedeutendeu Ruf: „Das Nebel-
horn bläst!"?
Das Nebelhorn bläst mit einem Nachstoß — einmal!
Das ist der Anfang zum Ende! — Das Nebelhorn bläst
und stößt zweimal nach! — Abermals also fünf Minuten
der letzten Viertelstunde verloren! —Das Nebelhorn bläst
zum dritten Mal! für heute ist's unwiderruflich zu Ende, es
wird unbarmherzig geschlossen, die Eisenthüren rasseln —
hinaus, hinaus!
Und draußen, welche Töne!
„Schrecklich zieht durch mein Gemüth
Fabelhaft Gebrülle.
Plärre Nebelhorueslied,
Gröhl' hinaus in Fülle!
Gröhl' hinaus durch Wald und Haus,
Wo 'was auszustellen.
Wenn dn da Besucher schaust,
Laß ihre Ohren gellen!"
So könnte man gegensätzlich zum „kleinen Frühlingslied"
Heine's singen. — Wenn das Nebelhorn tönte und dumpf
die Räume des Jndustriepalastes und aller Ausstellungs-
pavillons durchdrang, eilte man in's Freie, um das be-
rühmte Instrument in ganzer Fülle zu genießen. Die erste
Wirkung war wahrhaft erschreckend. Ein Wald voll wilder
Stiere, eine Heerde von Elephanten mag beiläufig einen
solchen lieblichen Ton in die Ferne senden. Wenn Besucher
auf die Terrasse zum Nebelhorn gestiegen waren und sich
etwa in der Zeitberechnung nicht genügend vorgesehen hatten,
so ertönte es plötzlich zu seiner bestimmten Stunde, und
wer nicht fest stand, konnte erschreckt umsinken, Frauen
vermochten eine billige Ohnmacht zu haben. In der un--
mittelbaren Nähe, unten am „Semaphor"-Baue, erbebte das
Trommelfell des Ohres!
Das Ausstellungsobjekt ist Eigeuthum der englischen
Seebehörde und dient auf dem Meere dazu, die Schiffe
von den Klippen und gefährlichen Stellen fern zu halten.
Es ist eigentlich ein Nebenbestandtheil des „Pharus" oder
Leuchtthurmes. Es steht auf der breiteu Basis desselben,
auf dein Unterbaue und ist ein großes Horn aus Blech,
etwa eine riesige Trompete, in deren Inneres Dampf ein-
gelassen wird, und sobald dieser durch die Enge tritt, er-
tönt der markerschütternde Ton! Es ist dieser Ton ein Ge-
führte oder Ersatzmittel der warnenden Leuchte auf der
Höhe des Thurmes zur See. Zuweilen fallen auf dem
Ozean solche dichte Nebel ein, daß die stärkste Macht des
Lichtes nicht in die Weite zu dringen vermag. Da zieht
der markerschütternde Ton hinaus und er trifft sicherlich das
Ohr des Seemannes, wenn sein Auge vergebens nach einer
Leuchte in der Irre und Dunkelheit ausgestarrt. Die Kraft
und uoch vielmehr die Tragweite des Tones grenzt an's

Fabelhafte. Stundenweit in die Ortschaften rings um
Wien hörte man den Schall, welchen man während der
Weltausstellung allabendlich zn vernehmen gewöhnt war.
Man richtete förmlich feine Uhr darnach, das Nebelhorn
war verläßlich, unausbleiblich. Es drang selbst durch das
Geräusch und Getöse der Straßen in allen Vorstädten. In
der Nähe des Nebelhorns sah mau nur eiu wenig Dampf
durch die Oeffnung kräuseln, das war Alles, was dem Auge
als Merkmal diente.
Und zum letzten Male ertönte das Nebelhorn am 2. No-
vember Abends.
Manche wischten sich eine Thrüne und sahen, in Herz
und Eingeweide bewegt, wehmüthigeu Antlitzes nach dem
„Semaphor".
Lebe wohl! Schrecklich zieht durch mein Gemüth fürch-
terlich Gebrülle! A. S.

Wiener WekLanssteMngstypen.
Von
Emile Mario Uacano.
Die Nlärlßm der WektaussiMliig.
Der Honved.
Da stehen sie am Ende der ungarischen Abtheilung, die
ansgestopften Honveds. In imposanter Gruppe stehen sie
da zwischen pappendeckelnen Felsen und Pferden aus Papier-
macho. Sie starren das Publikum an, und das Publikum
starrt sie an. Sie liegen ermüdet auf dem Rasen, sie dis-
kurriren über die transleithanische Unabhängigkeit, sie stehen
Wache, sie sind im Begriffe, sich auf ein Pferd zu schwingen,
sie verbinden Verwundete, sie hedienen eine Kanone und sie
sterben. Mehr kann man doch von einem ausgestopften
Honved nicht verlangen!
Es gibt in der Ausstellung gar viele ausgestopfte
Gruppen, aber keine derselben nimmt jene Aufmerksamkeit
in Anspruch und ist so populär geworden, wie eben die
Honvedgruppe. Weßhalb? Vielleicht weil sie eine Art Hand-
lung oder wenigstens eine Art geistigen Lebens darstelleu
sollen, ein wirkliches Stück wirklichen Lebens, mit einem
Worte.
Die ausgestopften Schweden stellen wohl auch Lebens-
und Charaktermomente vor: der Vater tanzt mit seinem
Kinde, der junge Mann erklärt sich dem Mädchen seines
Herzens, die Mutter schmückt die Braut, der Lappe auf
Schneeschuhen begegnet seinem nächsten (zehn Werst entfernt
wohnenden) Nachbar, der sich in seinem Fahrkahne vom
Rennthiere ziehen läßt. Alles Das ist ganz hübsch poussirt
und arrangirt, aber — es ist zertheilt und isolirt. Die
Figuren haben gleichsam keine Dekoration, sondern stehen
zwischen Parfümslaichen und Winterröcken und Photogra-
phieen, und machen dadurch einen allzu abfichtlicheu Eindruck.
Und dann — kennt die Welt sie schon allzu lange! Wer
hat sie nicht schon in den illustrirten Zeitungen Anno pariser
Ausstellung gesehen, und wer hat sie nicht schon in kolo-
rirter Photographie besessen? Wenn man bedenkt, daß nun
dieselben Gruppen noch auf den Expositionen von Phila-
delphia und Berlin floriren sollen, dann ergreift Einen fast
eiu Gefühl des «tzuorwgue tauäom! . . .»
Einen wehmüthigen Eindruck machen die zahllosen Fi-
guren in der türkischen Abtheilung. Ein ganzes Heer, eine
ganze Allee von solchen ist da vorhanden! Und wie ener-
gisch und geschickt sind die Gesichter geformt, und wie echt,
wie lehrreich die Trachten! Alle diese Puppen deuten nichts,
sie stehen wie die Schildwachen, sie starren in's Leere, und
sind zu allem Unglück noch paarweis sortirt wie die Thiere
in der Arche Noah, immer ein Männchen und ein Weibchen,
als ob in der Türkei das Leben eine Quadrille wäre, und
nicht vielmehr ein Leben au sorail. Es gibt Weltausstel-
lungsbesucher, welche die türkische Abtheilung decidirt deßhalb
meiden, weil ihnen die „Figuren" Nervenschmerz machen.
Am lächerlichsten machen sich aber wohl "die Popanzen
aus Galizien. Da stehen gar dreißig oder vierzig Vogel-
scheuchen ohne Physiognomiken auf einem Haufen, in die
groben, unmalerischen Kotzen und Säcke des galizischen Land-
volks gekleidet, und erschrecken jeden unvorbereiteten Be-
schauer, der in diese verlorene Abtheilung tritt, als ob man
ein schädlicher Vogel und die Ausstellung ein reifes Korn-
feld sei.
Auch die Preußen haben das Unglaubliche geleistet,
indem sie die Uniformen ihrer glorreichen Armee an'gestalt-
lose und karrikirte Mißbildungen aus Häcksel und Pappen-
deckel hängten, welche das Interesse an der Adjustirung zu
einem mitleidigen Lächeln über die Art der Präsentation
derselben deprimiren.
Auch die Griechen haben ein Männlein und ein Weib-
lein im Festschmuck ausgestellt, aber wohlweislich hinter
Glas und Rahmen, damit man den Flederwisch schone und
die Goldborten als neu und echt au die Juden von Smyrna
wieder verkaufen könne. Auch stehen Männlein und Weib-
lein nicht neben, sondern mit dem Rücken gegeneinander,
weil man dadurch am Kasten sparen konnte.
Ja sogar die Chinesen stellten zwei Puppen aus, welche
das Ideal ihrer Völkerrnsse vom schneiderlichen Standpunkt
aus liesern sollen: die Puppen sind hier von Holz und
lackirt, ihre Gewänder aber sind von echter Seide, und die
langen Nägel von wirklichen Leichnamen. Tunis und In-
dien, der Kaukasus und das Feuerland haben ausgestopfte
Menschen geliefert, aber Keiner von Allen macht Effekt, ist
populär und wird so zahlreich und expreß aufgesucht, wie
die Honvedgruppe.
Noch einmal: warum? . . .
Vielleicht ein Bischen deßhalb, weil die ungarische Ab-
theilung am meisten im figurativen Genre excellirt: die
genialen Lebensbilderphotographieen Koller's aus Visterz,
 
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