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308

Illu strirte Mett.

„Einer von Beiden".

Erzählung
von

W. von der Lancken.
(Alle Rechte Vorbehalten.)

I.
on den Forstbezirken der Provinz war keiner so
wegen seiner Wilddiebereien und Waldfrevel in
Verruf, wie das Tiefenbacher Revier; deshalb
hatte man auch die Försterstelle einem Manne
übertragen, der trotz seiner Jugend nach jeder
Richtung hin die Garantie bot, daß er derselben ge-


wachsen sei.
Heinrich Ehlert, Mitte der dreißiger Jahre, war eine
stattliche, kräftige Erscheinung; die offene Stirn umrahmte
krauses blondes Haar, ein etwas dunklerer Vollbart die
gebräunte Wange; jede Bewegung verriet Gewandtheit,
Mut und Entschlossenheit. Von unbestechlicher Recht-
schaffenheit und einem an Kühnheit grenzenden persönlichen
Mut, wußte er den Wilderern Respekt einzuflößen und
sich doch die Liebe und Achtung der übrigen Bewohner
seines Bezirks zu sichern; hatte er doch im Grunde ein
kindlich gutes Gemüt und sagte nicht gern ein böses Wort.
Heinrich Ehlert war unverheiratet, obgleich es ihm
wahrlich nicht an einem Schatz gefehlt haben würde, hätte
er sich nur ernstlich nach einem solchen umgesehen; die
hübschesten und reichsten Mädchen der Gegend hätten ihm
sicher keinen Korb gegeben, aber er war ein eigener Kauz
in dieser Beziehung; einesteils zu wählerisch — ein hüb-
sches Gesicht und ein voller Beutel allein machten auf
ihn keinen Eindruck — und andernteils zeigte er den
Weibern gegenüber überhaupt eine schier unbegreifliche
Zurückhaltung. Alles Zureden von Freunden und Ge-
vatterinnen richtete da nichts aus. Kirchweihfeste und

andere Lustbarkeiten mied er, so viel er konnte, und ging
er einmal hin, so beteiligte er sich nicht am Tanz, sondern
stand zuschauend im Kreise oder saß mit ein paar älteren,
verständigen Männern Hinterm Bierkrug.
Am wohlsten fühlte er sich von Kindheit an im Walde,
war er doch nach der Eltern Tod im Hanse des Groß-
vaters, der damals Förster in Tiefcnbach war, erzogen,
hatte den größten Teil seiner Zeit im Revier zugebracht,
beim Alten seine Lehrjahre durchgemacht, bis er ins Heer
trat und dann schließlich noch für ein paar Jahre zu einem
andern Förster kam. Als der alte Ehlert, der bei den
Vorgesetzten gut angeschrieben war, zn kränkeln ansing,
erfüllte man ihm seine Bitte und gab ihm den Enkelsohn
als Gehilfen, welchen Posten dieser so umsichtig und zur
Zufriedenheit verwaltete, daß man nach des alten Försters
Tod den verhältnismäßig noch jungen Mann vertrauens-
voll in die frei gewordene Stelle einrückcn ließ. Die
langjährige Wirtin des Verstorbenen führte auch seinen
Haushalt weiter, sie kannte seine stille, in sich gekehrte Art
und ließ ihn ruhig gewähren, zumal er immer guter
Dinge und fröhlichen Sinnes war, und die Alte meinte,
das könne leicht anders werden, wenn eine junge Frau
ins Haus zöge. Das Forsthaus lag mitten im Walde,
rechts und links die neuen, massiven Stallgebäude, wäh-
rend sich nach hinten der kleine, gut gehaltene Garten
ausdehnte. Der Forst umfaßte viele Morgen, größten-
teils Kiefernbestand; bis an die Berge hinanziehend, wurde
er von wild zerklüfteten, unwegsamen Partien unterbrochen
und von einem reißenden, tiefen Waldbach durchströmt,
so recht eine Gegend, um den Wilddieben ihr lichtscheues
Treiben zu erleichtern und es den Beamten schwer zu
machen, ihnen das Handwerk zu legen.
An einem Sommerabend, es mochte Mitte August
sein, kehrte der Förster verstimmt aus dem Revier heim,
genoß mit einer an ihm sonst ungewohnten Hast den
Imbiß, den Frau Brigitte ihm vorsetzte, und machte sich
viel mit seiner kurzen Büchsflinte zu schaffen, indem er
sie einer genauen Untersuchung unterwarf und dabei ost
nach der Uhr schaute; ehe der Mond in voller Klarheit
am Hinimel stand, trat Ehlert, das Gewehr über der
Schulter und den Hirschfänger an der Seite, aus der
Hinterthür des Hauses in den Garten. Der Wirtin, die
noch in der Bohnenlaube saß, rief er ein lautes „Gute
Nacht!" zu und schritt dann rasch, das Pförtchen des
Gartens behutsam verschließend, den Feldrain entlang in
den gegenüberliegenden Forst, wo er bald zwischen den
Kiefern verschwand. Weiter und weiter eilte er, den Weg
verlassend und quer durch die hohen dunklen Stämme
dahinstreifend, immer tiefer in den Wald hinein, bis zu
den Höhen hinan. Er schritt rüstig aus und als der
erste Schein des Mondes durch die Kronen der Bäume
fiel, hatte er die verrufenste Gegend des Forstes, die
„Höllenschlucht" erreicht.
Ein breiter, reißender Bach, aus den bewaldeten Höhen
kommend und allmälich ruhiger thaleinwärts strömend,
bildete hier einen gefährlichen Strudel. Zwei Uebergänge
vermittelten die Verbindung; ein alter, schwankender Steg
unmittelbar über dem Strudel und eine feste Brücke weiter
nach dem Thal zu. Es war schauerlich und einsam hier;
init unheimlichem Brausen stürzten die Wasser hinab in

die schwarze, grausige Tiefe, wo der weiße Gischt in
wildem Wirbel um die Steine und Felsblöcke kreiste —
der Abendwind strich durch die Wipfel der Kiefern und
der bleiche Strahl des Mondes ließ das Gestein und das
knorrige Strauchwerk allerlei gespenstische Formen an-
nehmen. Ein geheimnisvoller, grausiger Zauber lag über
der Gegend, dem sich selbst der unerschrockene, starke Sohn
des Waldes nicht entziehen konnte. Wie oft er auch schon
zu allen Tages- und Jahreszeiten hier gestanden hatte,
immer bemächtigte sich seiner ein seltsames Gefühl, wenn
er wie jetzt in der Höllenschlucht herumstreifte. Er stand
minutenlang still, ehe er den Fuß auf die Brücke setzte,
lehnte sich an das Geländer und blickte nachdenklich hinab
in das wilde, unruhige Treiben des Wassers.
Durch ein leises Geräusch aus seinem Sinnen auf-
geschreckt, gewahrte er oben am Felsen den Schatten eines
Menschen, jetzt aufrecht, jetzt sich bückend. Der Förster stutzte
und trat unwillkürlich einen Schritt zurück hinter den
Stamm einer mächtigen Kiefer. Er vermutete in jenem
Schatten den Wilddieb, dem er heute nachspüren wollte,
und freute sich, daß ihm der Gesuchte hier schon in die
Hände lief. Jetzt trat die Gestalt in den Schein des
Mondes heraus und Heinrich bemerkte zn seinem Erstaunen,
daß es — ein Weib sei.
Mittelgroß, schlank gewachsen, in kurz geschürzten
Röcken, einen Korb am Arm; der rasche Schritt und jede
Bewegung hatte die Elastizität der Jugend. Jetzt kam
sie näher; mit der Sicherheit eines Menschen, der den
Weg oft gemacht, schritt sie über den schmalen Steg, und
in der Brust des einsamen Lauschers regte sich ganz plötz-
lich das Verlangen, die Frau von Angesicht zu Angesicht
zu schauen. Ihre ganze Art und Weise reizte ihn, sie
hatte etwas Trotziges in der Haltung des Kopfes, etwas
Selbstbewußtes im Gang, wobei sich der Oberkörper doch
leicht, fast anmutig in den vollen Hüften wiegte. Wo
und wann hatte er doch ähnliche Bewegungen schon ge-
sehen? An wen erinnerte ihn doch diese Erscheinung?
Er legte, wie um sich zu besinnen, die Hand an die Stirn.
Dann, ohne länger zu zögern, trat er aus seinem Versteck
hervor und stand plötzlich am Ende der Brücke, kaum
zwölf Schritte entfernt, dem Weibe gegenüber. Im ersten
Moment stockte ihr Fuß und es hatte den Anschein, als
wende sie sich zur Flucht, dann warf sie aber das Haupt
mit einer fast trotzigen Geberde in den Nacken und blieb
ruhig stehen, das Näherkommen des Försters erwartend,
der auch bald genug an ihrer Seite war.
Der Mond leuchtete voll auf beide herab und jetzt
war eS nicht das Mädchen, sondern Ehlert, der fast er-
schreckt einen Schritt zurückwich und erstaunt ausrief:
„Susanne? Du — hier?"
Die Angeredete lachte kurz auf und antwortete spöttisch:
„Seit wann ist denn der königliche Herr Förster so
schreckhaft geworden, daß er vor einem Weibe zurückprallt
wie vor einem Gespenst, oder habe ich mich so garstig
ausgewachsen in den letzten fünf Jahren?"
„Nimm's nicht als das, Susanne," sagte Heinrich
begütigend, „wenn man einen Menschen viele Meilen weit
fort glaubt und sieht ihn dann plötzlich und noch dazu
mitten in der Nacht hier im Walde vor sich, da muß mau
doch wohl im ersten Moment erschreckt sein. Und groß
bist Du geworden, potztausend, Mädel!"
Er musterte die vor ihm Stehende vom Kops bis zum
Fuß und es lag dabei etwas wie bewundernde Uebcr-
raschung aus seinem ehrlichen Gesicht.
„Ja, groß bist Du geworden, Susanne, und stattlich,"
setzte er etwas leiser hinzu.
, Das Mädchen lachte.
„Aus Kindern werden Leute, ist ja doch auch rasch
genug aus dem Forstgehilfen ein Förster geworden. Frei-
lich wird's Euch deshalb gerade um so weniger freuen,
hier an der Höllenschlucht mit mir zusammenzutrefsen,
denn Ihr werdet gut genug wissen, was die Leute unten
im Dorf von mir und dem Matthias reden."
Ehlert machte sich an seinem Hirschfänger zu schaffen,
um die Verlegenheit zu verbergen, die jetzt über ihn kam,
er fühlte, daß ihm das Blut in die Schläfe stieg, er fühlte
auch, wie die feurigen dunklen Augen Susannens forschend
auf ihm ruhten; nach einer kleinen Weile sagte er-
„Ich kehre mich nicht an das Gerede der Leute, ich
glaub' nur, was ich mit nicinen eigenen Augen seh' und
mit meinen eigenen Ohren hör'."
„Hm, das klingt freilich ganz brav, und wenn alle
Menschen so dächten und thäten, da wär' manches besser
in der Welt — bleibt nur dabei Euer Leben lang!"
Der Förster sah sie treuherzig an.
„Ich denke doch, Susanne; im Ernst, ich merk' nicht
auf jedes dumme Geschwätz."
Wieder schwiegen beide eine kurze Zeit.
„Bist lange fort gewesen?" fragte Ehlert endlich.
Das Mädchen nickte.
„Ja, so an die fünf Jahre sind's wohl. Ich war oben
an der Küste bei meiner alten Muhme, meiner Mutter-
Schwester, einer Fischerswitwe."
„Wie kamst Du denn dahin?" fragte Heinrich erstaunt.
„Sie hatte bei Lebzeiten der Eltern uns viel Gutes
gethan, und weil sie selbst nun alt und schwach wurde,
meint' ich, es sei meine Pflicht, sie auch nicht zu verlassen;
Geld hatte ich keins, wär' ihr auch nicht damit gedient

gewesen, weil sie eine ganz «ermögliche Frau war. Sie
wollt' gern einen ehrlichen Menschen um sich haben, der's
treu und aufrichtig mit ihr meinte, und da bin ich denn
hingereist und hab' sie fünf Jahre gepflegt und ihr zuletzt
die Augen zugedrückt, als ihr Ende kam."
„Hat sie keine Kinder?"
„Doch, einen Sohn, einen feinen, geschniegelten, ge-
lehrten Herrn. Lehrer ist er, der hat sich aber seiner
alten Mutter geschämt, so laug sie gelebt; erst nach ihrem
Tod, da ist er gekommen und hat ein groß' Begräbnis
hergerichtet, daß die Fischerslcut' alle Mund und Nasen
aufgesperrt haben. Der Lump, der! Für die teuren Kränze
auf dem Sargdeckel hätt' er ihr lieber in der schweren
Krankheit 'mal die Hand auf den heißen Kopf legen und
statt der langen Trauergesänge, von denen sie nichts mehr-
hörte, hätt' er ihr lieber 'mal ein gutes Wort ins Ohr
flüstern sollen. Wenn das auch nicht alle Welt gehört
hätt', der alten Frau wär' damit das Sterben leicht ge-
macht worden."
„Warst Du ganz allein bei ihr, Susanne?"
Ja "
„Da hat sie auch Wohl für Dich gesorgt?"
„Ihr Wille war's gewiß, sie hat auch 'was Schrift-
liches darüber hinterlassen, aber der Sohn und die Herren
vom Gericht meinten, das hätt' keine Giltigkeit; da hat
mir der Franz dann ein paar Thalcr gegeben, .für Deine
Müh' um die Alte', wie er sagte, ich aber hab' ihm das
Geld vor die Füße geworfen und bin meines Wegs ge-
gangen. Ein weniges halt' ich mir erspart, aber es war
doch eine lange und mühselige Reise von dort bis hieher,
denn ganz arm und bloß mocht' ich auch nicht zum Matthias
zurückkommen."
„Bist ein braves Mädchen, Susi."
„Ich hab' nur meine Schuldigkeit gethan."
„Was treibst Du denn nun?"
Im Schein des Mondes sah er, daß sie rot ward.
„Ich sammle Kräuter und Beeren für die Apotheken
in der Stadt, ich gehe auf Feldarbeit ins nächste Dorf
und was sich sonst noch findet."
„Warum nicht hier in Deiner Heimat?"
„Weil hier niemand von mir was wissen will und ich
auch nicht von dem dummen Volk," antwortete sie, den
Kopf zurückwerfend.
„Susanne!"
„Nun, Ihr werdet doch wissen, was man dem Matthias
nachsagt? Der Matthias aber ist mir das Liebste, was
ich auf der Welt habe; sie haben uns immer verachtet,
als wir noch ganz klein waren, mein armer Bruder und
ich, und wir haben ihnen doch nie 'was zu Leid gethan."
„Alle, Susanne? Alle doch nicht," fiel ihr Ehlert
ins Wort; „ich habe just Dich immer am liebsten gehabt
von allen Kindern, habe immer am meisten mit Dir ge-
spielt. Weißt Du noch, auf dem Kirchplatz, wo wir um
die alte Linde herum .Greifen' spielten oder,Pferd'? Du
warst allemal das Pferd und ich der Kutscher."
Sie nickte zustimmend und cs glitt wie ein frohes
Leuchten über ihr Antlitz.
„.Eine Leine brauchst nicht,' hast Du dabei oft gerufen,
.halt mich nur an den Zöpfen, dann kann ich Dir nimmer
fortlaufen!'"
Im Plaudern hatten sie sich auf das Geländer gestützt,
Susanne hatte ibren Korb hingesetzt und sah still vor sick-
nieder ; Ehlerts Blicke ruhten bewundernd auf ihr — auf
dem schönen Gesicht mit den stolzen, entschlossenen Zügen
— und glitten von da zu den langen, tiefschwarzen Zöpfen
hinab, die ihr über den Rücken hingen. Wie kam er doch
mit eineinmal auf all die alten Geschichten und wie zuckte
es ihm ordentlich in der Hand, nach den weichen, glänzen-
den Haarsträhnen zu greifen — sie kam ihm gar nicht mehr-
fremd vor.
„Du hast Dich eigentlich wenig verändert in all der
Zeit, Susi," Hub er dann zutraulich wieder an, „Du kannst
noch gerade so trotzig den Kopf heben und die Lippen hoch
ziehen wie früher, und die Zöpfe? — nun, an denen könnte
ich Dich heute so gut festhalten wie damals, sie sind nock-
lang genug zum .Pferd spielen'."
Und ehe sie es hindern konnte, hob er die schönen
Haare, ließ sie spielend durch die Hand gleiten und zog
ihr halb zaghaft, halb übermütig den Kopf ein klein wenig
damit hintenüber. Das Mädchen zuckte bei seiner Be-
rührung kaum merklich zusammen und ließ ihn gewähren,
aber dann wandte sic hastig das Haupt zur Seite, daß
ihm die Zöpfe aus den Fingern schlüpften, und sagte kurz:
„Nicht doch — das schickt sich ja nicht für einen könig-
lichen Förster! Was würden die Dorfleute dazu sagen,
wenn sie's wüßten?"
Ihm entging der leichte Spott nicht, der in ihrer
Stimme klang, und er fühlte sich dadurch geärgert und
verletzt.
„Schon einmal hab' ich Dir gesagt, ich kehr' mich nicht
an die Leut' und ihre Redereien, und wenn wir gute
Freunde sein wollen, ich bitt' Dich, verschon' mich dann
mit dem dummen Geschwätz."
„Gute Freunde — Ihr und ich? Nein, Herr Förster,
daraus kann nichts werden'"
„Und warum uicht? Hast wohl einen Schatz, der
Dich arg mit Eifersucht plagen würde, wenn wir hin und
wieder 'mal freundlich mit einander verkehrten?"
 
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