332
Ilbumblskk.
Zchnee im §üden.
-ss^»s rieseln die Flocken,
vom Nordwind gesandt,
Da schauert erschrocken
Das südliche Land.
Ihr Kinder der Scholle,
Luch dünkt es ein Traum,
wenn droben Frau Holle
Schüttelt den Flaum.
Mein Stammverwandter,
Besuchst mich auch hier,
Und schwingst als Gesandter
Dein weißes Panier.
Hier droht dir verderben
Die Feindin in wehr:
Schon sah ich sie werben
Ihr strahlendes Heer.
Weit hinter den Alpen
Da steht unser Haus,
Ich flog mit den Schwalben
Nach Süden hinaus.
Und seh dich erscheinen
Am sremden Port,
Als Bote der Meinen,
Als Gruß vom Nord.
„Einer von Beiden".
Erzählung
von
HZ. von der Lancken.
(Fortsetzung.)
WTÄ^atthias saß stumm und starr, nur manchmal
stöhnte er leise auf.
„Wer war's denn, Mattheit" fragte Su-
sänne endlich.
„Der Förster."
Sie preßte die Lippen aufeinander, um den Ausruf des
Schreckens zu unterdrücken.
„Hast Du's gesehen?"
„Ja; auch trifft kein anderer so sicher."
„Leg Dich ein Weilchen nieder, Matthias," bat sie
sanft, „es ist noch früh und arbeiten kannst Du doch nicht!"
„Schlecht wird's freilich gehen, aber trotzdem, ich muß
— ich muß; siehst Du's denn nicht ein, daß ich muß?"
Sie nickte traurig mit dem Kopf, half ihm beim Aus-
kleiden und ging hinaus in die Küche, nach dem Frühstück
zu sehen. Als sie wieder eintrat, lag Matthias auf dem
Bett und streckte ihr die Hand entgegen; jede Spur von
Zorn und Wildheit war aus seinem Gesicht verschwunden.
„Gute Dirn," sagte er weich, „bist immer geduldig
und freundlich mit mir und ich bin doch oft solch ein wüster
Kerl!"
Sie setzte sich neben ihn und reichte ihm eine Schale
mit Kaffee.
„Das schadet ja nichts, Matthias; ich weiß, Du meinst
cs nicht so schlimm. Wenn Du nur das unselige Wildern
lassen wolltest!"
„Es bringt aber Gewinn, Susi," murmelte er, „Ge-
winn, denn von dem elenden Schmiedehandwerk könnten
wir nicht mehr leben, seit der andere sich unten in der
neuen Werkstatt im Dorf breit macht, und verhungern,
na, das mag man auch nicht. Und doch ist alles eins,
man verhungert, da können's uns nicht totschießen, oder
man verhungert nicht und sie Kirschen auf uns wie auf
das Tier unter freiem Himmel, 's ist alles gleich, so
oder so."
„Freilich, wir sind hier im Dorf vogelfrei," entgegnete
Susanne mit einem leisen Seufzer, „aber laß es nur gut
sein, eines Tages da verkaufen wir den armseligen Kathen
und ziehen in eine andere Gegend, wo uns niemand kennt
und keine Katz uns scheel ansieht."
„Ich will jetzt noch ein Weilchen liegen, Susi," begann
der Bursche wieder, „dann möcht' ich versuchen, hinten
durch den Garten und die Eichenschonung den Weg in
den Wald zu nehmen, dort muß ich mir einen Unterschlupf
suchen, damit mich die Kerle hier nicht aufspiiren. Tt u
nur in die Tasche dort eine Flasche Branntwein und etwas
Brot, zur Nachtzeit schleich' ich mich wieder heran."
Susanne gehorchte schweigend, und während sie geräusch-
los hin und her ging, ruhten ihre dunklen Augen oft mit
dem Ausdruck des Mitleids und der Sorge auf dem
bleichen Antlitz des Bruders, sie sah's wohl, wie er manch-
mal leise vor Schmerz zusammenzuckte. In der Brust
des Mädchens regte es sich wie Zorn gegen den Schützen,
der ihm die Wunde beigebracht, und heimlich ballte sie die
Hand in den Rockfalten. Nach einer kleinen Stunde
Illustrikte Welt.
richtete sich Matthias langsam von seinem Lager auf, ver-
tauschte die hohen Stulpstiefel und kurzen Kniehosen mit
einem Paar schlichter leinener Beinkleider, die bis auf
die Schuhe herabreichten, und stülpte statt des kleinen
Filzhutes seine Werkeltagsmühe aufs Haupt.
„Susanne!"
Die Gerufene erschien in der Thür.
„Häng mir die Tasche um und den schwarzen Rock da
über die Schultern, so; nun noch den leeren Sack dazu
und gib mir auch die Sichel; wenn mir der eine oder der
andere begegnet, dann werden sie meinen, ich ginge zum
Kleeschneiden runter nach der Bühler Wiese."
Das Mädchen that, wie ihm geheißen.
„Schmerzt's sehr?" sragte sie oft.
Der Bruder zuckte die Achseln.
„Na, wohl thut's gerade nicht, aber das schwör' ich
Dir zu bei Gott, Susi, den Schuß zahl' ich ihm heim,
daß Heinrich Ehlert Zeit seines Lebens d'ran genug hat.
Halunke!" — und in ohnmächtigem Grimm drohte er wild
mit der Faust nach dem Dorfe hinüber.
„Matthias!"
Susanne war bleich geworden und ihre Hand legte
sich beschwichtigend auf den Arm des Zornigen. Eine
unerklärliche Angst, ein unbegreifliches Etwas machte sie
erbeben.
„Na, sei kein Hasenfuß, Mädel," lachte der Bursche
und schritt der Thüre zu; hier zauderte er noch einen
Moment, und mit der linken Hand den verwundeten Arm
berührend, murmelte er: „Verdammt, wie das schmerzt!"
Dann raffte er sich gewaltsam zusammen und ver-
schwand durch eine niedrige, kaum bemerkbare Pforte neben
dem Herd. Susanne stand, als er gegangen, regungslos
mitten im Stübchen, sie sah wie abwesend vor sich nieder,
wohl minutenlang; erst das leise Meckern der Ziege, das
von dem offenen Stall her kam, weckte sie aus ihren
Grübeleien; rasch entschlossen richtete sie sich auf und fing
an, in der Stube Ordnung zu schaffen. Sie verschloß
nicht wie sonst die kurze Joppe, die hohen Stiefel, Hut
und Büchse in einen Koffer, sorgfältig ihre Wäsche und
Sonntagskleid darüber deckend, sondern sie schob mit kräf-
tigen Armen die alte Truhe zur Seite, wodurch eine Fall-
thüre sichtbar wurde; diese öffnete sie und verschwand, die
Sachen in den Händen, in der Tiefe. Eine schmale
Treppe führte in einen niedrigen, dumpfigen, kellerartigen
Raum, in dem sich nichts befand als ein kleiner Schrank.
In demselben barg sie alles, was für den Bruder leicht
zum Verräter werden konnte, und stieg dann rasch wieder
hinauf — in wenigen Minuten stand der Koffer an seinem
gewohnten Platz, auch das blutige Tuch und was sonst
an das Ereignis des Morgens erinnern konnte, wurde
beseitigt.
Darauf begab sie sich in die Küche zurück, setzte sich
auf den niedrigen Herd und verzehrte ihr kärgliches Früh-
stück. Von neuem überkam sie eine namenlose Angst, des
Bruders Drohung klang ihr noch immer in den Ohren:
„Den Schuß zahl' ich ihm heim, daß Heinrich Ehlert Zeit
seines Lebens dran genug hat." Wie kam es nur, daß
ihr dabei das Herz plötzlich so wild in der Brust schlug?
Wie oft hatte Matthias ähnliche zornige Verwünschungen
ausgestoßen, sie hatte kaum darauf geachtet. . .
Wenn nun der Förster käme mit dem Büttel, ihn zu
suchen, ihren Bruder, den er verwundet und der nun im
Wald Herumstreifen mußte, flüchtig wie ein Geächteter;
wie sie sich freuen, wie sie höhnen würden, die stolzen
Dörfler, wenn der wilde Matthias die Landstraße entlang
geführt würde als Gefangener, der Gendarm neben ihm
und der Jägerbursche!
Ingrimmig ballte sie die Faust und ein böses, zorniges
Lächeln schürzte ihre Lippen, daß die Weißen, glänzenden
Zähne sichtbar wurden; oder aber, wenn nun Matthias
den Förster träfe, weit, weit draußen in dem stillen, ver-
schwiegenen Wald, wo er ahnungslos dahinschritt. . .
Niemand sah's, niemand hörte es — da krachte ein Schuß,
ein sicher gezielter, und Heinrich Ehlert lag auf dem
grünen Moosboden — ein stiller Mann ...
Matthias aber floh zurück durch die dunklen Stämme
auf heimlichen, verborgenen Wegen — ein Mörder — ein
Mörder. — Die Dirne sprang auf, ein angstvolles
Stöhnen entrang sich dem gequälten Herzen, „nein, mein
Gott Vater," murmelte sie, „nur das nicht, nur das nicht!
Mein Matthias ein Mörder und er — tot!"
Sie fand nicht Ruhe noch Rast an diesem Tage; was
sie auch vornahm, nichts gelang ihr, nichts ging ihr stetig
von der Hand, dabei horchte sie auf jedes Geräusch, mei-
nend, sie kämen nun, den Bruder zu suchen, oder dieser
selbst stürze bleich und atemlos herein, sein unstäter Blick
ihr verratend, was sein Mnnd verschwieg.
Aber alles blieb still. Stunde auf Stunde verrann
nnd die Sonne neigte sich zum Untergang, ohne daß ein
Fremder sich der Schwelle des Häuschens genähert hätte.
Susanne war eben damit beschäftigt, die gesammelten
Kräuter zu verlesen, als ihr scharfes Ohr den wohl-
bekannten leichte» und raschen Schritt des Bruders ver-
nahm, er schicn's nicht eiliger zu haben als sonst, und sic
atmete erleichtert auf, als er jetzt mit einem ruhigen
„Guten Abend, Snsi!" über die Schwelle trat. Er sah
bleich und abgemattct aus und die Augen blickten nicht so
klar als sonst, aber doch ebenso offen und frei um sich
wie immer. Das Mädchen sprang auf und ging dem
Eintretenden entgegen — sie fühlte sich wie von einer Last
befreit.
„Du bist müde, Matthias," sagte sie freundlich; „leg
Dich jetzt nieder, ich denk', es hat keine Gefahr; niemand
hat nach Dir gefragt, und Dir," — sie stockte — „Dir ist
auch wohl nichts begegnet?"
„Wie man's nehmen will; der Halunke im grünen
Rock, der —" er ballte wieder grimmig die Fanst, „er
ging nahe an mir vorüber, als ich in der Eichenschonung
lag — freilich ohne Hund, sonst hätt' er mich wohl unter-
gekriegt. Siehst Du, Susanne," fuhr er mit unter-
drückter Heftigkeit fort, das Mädchen zu sich heranziehend
und sich an ihr Ohr neigend, „siehst Du, wie ich den
Kerl da dicht an mir vorbei streifen sah, frank und frei,
den Kopf hoch erhoben, als ob er der König wär' im
Wald, derweil ich so elend im Gebüsch lag und den Arm
nicht rühren könnt', den seine Kugel durchschossen, da
packte mich's mit einer unbändigen Wut, ich hätt' hervor-
springen und ihn erwürgen mögen."
Seine Augen blitzten und er knirschte mit den Zähnen.
Susanne fühlte es wieder wie leises Grauen durch ihren
Körper zittern und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
Matthias murmelte halblaut vor sich hin:
„Aber wenn's heute nicht war, vergessen thu' ich's ihm
nicht, und es kommt eine Stunde, in der wir unsere Rech-
nung quitt machen. Gute Nacht, Susi," fügte er dann
lauter hinzu. „Gehst noch in den Wald?"
„Ja, mir fehlt ein Thce, den der Apotheker besonders
bestellt; ich nehme den Schlüssel mit. Erst will ich aber
Deinen Arm noch einmal verbinden."
Matthias nahm seinen Topf Suppe und ging in die
Kammer hinüber, Susanne folgte ihm dahin mit einem
Paket alter Leinwand, und nachdem sie der Wunde einen
neuen Verband angelegt, verließ sie den Bruder und bald
darauf auch die Hütte.
Es war eine sternenklare Herbstnacht, in der Susanne,
die Brust voll widerstreitender Empfindungen, dem Walde
zuschritt, Empfindungen, die sie sich selbst nicht recht zu
deuten vermochte. Zorn gegen den Förster und daneben
jenes seltsame beängstigende Bangen für sein Leben; sie
kannte des Bruders wilden, trotzigen Sinn, sic wußte,
wie glühend er die Forstbeamten haßte, wußte, daß seine
Kameraden Männer waren, die im Falle der Not oder
aus Rache ein Menschenleben nicht höher anschlugen als
das eines Wildes und die eben darnach lechzten, Rache zn
nehmen an ihren Feinden, wo sie nur konnten. Sie würden
des Matthias Wut nur stacheln und aufreizen.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, fast absichtslos, hatte
sie den Weg zur Höllenschlucht eingeschlagen, und sich seit-
wärts auf das niedrige Brückengeländer setzend, überließ
sie sich ihren Grübeleien; sie hatte es nicht bemerkt, wie
aus dem Dunkel des Waldes die Gestalt eines Mannes
auf der Brücke erschien und, sich im Schatten haltend,
leise näher schlich. Erst als eine wohlbekannte Stimme
ihr einen guten Abend bot, sah sie erschreckt auf und in
des Försters freundlich lächelndes Gesicht.
„Herr Förster, Ihr?" rief sie emporspringend und dcö
Mannes Blick meidend, „wie kommt Ihr hieher?"
Heinrich Ehlert lachte lustig auf.
„Ja, Susi, dieselbe Frage möchte ich wohl einmal an
Dich stellen und noch die dazu setzen, warum Du so gar-
lange nicht mehr da warst. Ich bin oft genug hier herum-
gestreift, aber immer vergebens."
„Hm, ich denk', Herr Förster, Ihr werdet wohl nach
sonst was anderem als just nach mir ausgeschaut haben,"
erwiderte sie kurz.
„Wenn Du mir doch nur glauben möchtest, Susanne,"
antwortete Ehlert verstimmt. „Hältst Du mich denn für
so einen, der lügt, so oft er den Mund aufthut?"
Das Mädchen antwortete nicht, konnte es aber nicht
hindern, daß ein Gefühl fast wie Freude ihr Herz durch-
zitterte. Da sie seine ehrlichen blauen Augen auf sich
ruhen fühlte und er noch immer schwieg, hob sie langsam
die langen Wimpern und beider Blicke begegneten sich.
Ehlert streckte ihr plötzlich die Hand hin.
„Susi!"
„Was soll's?"
„Gib mir die Hand, sei doch nicht so trotzig — wir
sind ja immer gut mit einander fertig geworden. Ich
möcht' 'mal ein vertraulich Wörtchen mit Dir reden."
„Mit mir?" Es lag ungekünsteltes- Erstaunen in
ihrem Ton.
„Ja, mit Dir — zu Deinem Besten und zu noch je-
mands Bestem, dem Du sehr gut bist. Na, aber erst
schlag ein — so, und nun komm, da unten an der Brücke
liegt eine gefällte Kiefer, wir wollen uns setzen, da
schwatzt sich's besser."
Er hielt ihre Hand fest und sie folgte ihm willenlos.
Ehlert setzte sich auf den gestürzten Baum und zog das
Mädchen neben sich, das, wie von einem unerklärlichen
Bann umfangen, mit klopfendem Herzen ohne Wider-
streben an seiner Seite Platz nahm. Jetzt gab der Förster
ihre Hand frei, nahm den Hut ab, schlug ein Bein über
das andere, schlang die Arme um das Knie und nagte an
der Unterlippe, wie unschlüssig, was er ihr nun sagen solle.
„Als wir uns hier vor ein paar Wochen zum ersten-
mal wieder begegnet sind, Susi," begann er endlich, „da
Ilbumblskk.
Zchnee im §üden.
-ss^»s rieseln die Flocken,
vom Nordwind gesandt,
Da schauert erschrocken
Das südliche Land.
Ihr Kinder der Scholle,
Luch dünkt es ein Traum,
wenn droben Frau Holle
Schüttelt den Flaum.
Mein Stammverwandter,
Besuchst mich auch hier,
Und schwingst als Gesandter
Dein weißes Panier.
Hier droht dir verderben
Die Feindin in wehr:
Schon sah ich sie werben
Ihr strahlendes Heer.
Weit hinter den Alpen
Da steht unser Haus,
Ich flog mit den Schwalben
Nach Süden hinaus.
Und seh dich erscheinen
Am sremden Port,
Als Bote der Meinen,
Als Gruß vom Nord.
„Einer von Beiden".
Erzählung
von
HZ. von der Lancken.
(Fortsetzung.)
WTÄ^atthias saß stumm und starr, nur manchmal
stöhnte er leise auf.
„Wer war's denn, Mattheit" fragte Su-
sänne endlich.
„Der Förster."
Sie preßte die Lippen aufeinander, um den Ausruf des
Schreckens zu unterdrücken.
„Hast Du's gesehen?"
„Ja; auch trifft kein anderer so sicher."
„Leg Dich ein Weilchen nieder, Matthias," bat sie
sanft, „es ist noch früh und arbeiten kannst Du doch nicht!"
„Schlecht wird's freilich gehen, aber trotzdem, ich muß
— ich muß; siehst Du's denn nicht ein, daß ich muß?"
Sie nickte traurig mit dem Kopf, half ihm beim Aus-
kleiden und ging hinaus in die Küche, nach dem Frühstück
zu sehen. Als sie wieder eintrat, lag Matthias auf dem
Bett und streckte ihr die Hand entgegen; jede Spur von
Zorn und Wildheit war aus seinem Gesicht verschwunden.
„Gute Dirn," sagte er weich, „bist immer geduldig
und freundlich mit mir und ich bin doch oft solch ein wüster
Kerl!"
Sie setzte sich neben ihn und reichte ihm eine Schale
mit Kaffee.
„Das schadet ja nichts, Matthias; ich weiß, Du meinst
cs nicht so schlimm. Wenn Du nur das unselige Wildern
lassen wolltest!"
„Es bringt aber Gewinn, Susi," murmelte er, „Ge-
winn, denn von dem elenden Schmiedehandwerk könnten
wir nicht mehr leben, seit der andere sich unten in der
neuen Werkstatt im Dorf breit macht, und verhungern,
na, das mag man auch nicht. Und doch ist alles eins,
man verhungert, da können's uns nicht totschießen, oder
man verhungert nicht und sie Kirschen auf uns wie auf
das Tier unter freiem Himmel, 's ist alles gleich, so
oder so."
„Freilich, wir sind hier im Dorf vogelfrei," entgegnete
Susanne mit einem leisen Seufzer, „aber laß es nur gut
sein, eines Tages da verkaufen wir den armseligen Kathen
und ziehen in eine andere Gegend, wo uns niemand kennt
und keine Katz uns scheel ansieht."
„Ich will jetzt noch ein Weilchen liegen, Susi," begann
der Bursche wieder, „dann möcht' ich versuchen, hinten
durch den Garten und die Eichenschonung den Weg in
den Wald zu nehmen, dort muß ich mir einen Unterschlupf
suchen, damit mich die Kerle hier nicht aufspiiren. Tt u
nur in die Tasche dort eine Flasche Branntwein und etwas
Brot, zur Nachtzeit schleich' ich mich wieder heran."
Susanne gehorchte schweigend, und während sie geräusch-
los hin und her ging, ruhten ihre dunklen Augen oft mit
dem Ausdruck des Mitleids und der Sorge auf dem
bleichen Antlitz des Bruders, sie sah's wohl, wie er manch-
mal leise vor Schmerz zusammenzuckte. In der Brust
des Mädchens regte es sich wie Zorn gegen den Schützen,
der ihm die Wunde beigebracht, und heimlich ballte sie die
Hand in den Rockfalten. Nach einer kleinen Stunde
Illustrikte Welt.
richtete sich Matthias langsam von seinem Lager auf, ver-
tauschte die hohen Stulpstiefel und kurzen Kniehosen mit
einem Paar schlichter leinener Beinkleider, die bis auf
die Schuhe herabreichten, und stülpte statt des kleinen
Filzhutes seine Werkeltagsmühe aufs Haupt.
„Susanne!"
Die Gerufene erschien in der Thür.
„Häng mir die Tasche um und den schwarzen Rock da
über die Schultern, so; nun noch den leeren Sack dazu
und gib mir auch die Sichel; wenn mir der eine oder der
andere begegnet, dann werden sie meinen, ich ginge zum
Kleeschneiden runter nach der Bühler Wiese."
Das Mädchen that, wie ihm geheißen.
„Schmerzt's sehr?" sragte sie oft.
Der Bruder zuckte die Achseln.
„Na, wohl thut's gerade nicht, aber das schwör' ich
Dir zu bei Gott, Susi, den Schuß zahl' ich ihm heim,
daß Heinrich Ehlert Zeit seines Lebens d'ran genug hat.
Halunke!" — und in ohnmächtigem Grimm drohte er wild
mit der Faust nach dem Dorfe hinüber.
„Matthias!"
Susanne war bleich geworden und ihre Hand legte
sich beschwichtigend auf den Arm des Zornigen. Eine
unerklärliche Angst, ein unbegreifliches Etwas machte sie
erbeben.
„Na, sei kein Hasenfuß, Mädel," lachte der Bursche
und schritt der Thüre zu; hier zauderte er noch einen
Moment, und mit der linken Hand den verwundeten Arm
berührend, murmelte er: „Verdammt, wie das schmerzt!"
Dann raffte er sich gewaltsam zusammen und ver-
schwand durch eine niedrige, kaum bemerkbare Pforte neben
dem Herd. Susanne stand, als er gegangen, regungslos
mitten im Stübchen, sie sah wie abwesend vor sich nieder,
wohl minutenlang; erst das leise Meckern der Ziege, das
von dem offenen Stall her kam, weckte sie aus ihren
Grübeleien; rasch entschlossen richtete sie sich auf und fing
an, in der Stube Ordnung zu schaffen. Sie verschloß
nicht wie sonst die kurze Joppe, die hohen Stiefel, Hut
und Büchse in einen Koffer, sorgfältig ihre Wäsche und
Sonntagskleid darüber deckend, sondern sie schob mit kräf-
tigen Armen die alte Truhe zur Seite, wodurch eine Fall-
thüre sichtbar wurde; diese öffnete sie und verschwand, die
Sachen in den Händen, in der Tiefe. Eine schmale
Treppe führte in einen niedrigen, dumpfigen, kellerartigen
Raum, in dem sich nichts befand als ein kleiner Schrank.
In demselben barg sie alles, was für den Bruder leicht
zum Verräter werden konnte, und stieg dann rasch wieder
hinauf — in wenigen Minuten stand der Koffer an seinem
gewohnten Platz, auch das blutige Tuch und was sonst
an das Ereignis des Morgens erinnern konnte, wurde
beseitigt.
Darauf begab sie sich in die Küche zurück, setzte sich
auf den niedrigen Herd und verzehrte ihr kärgliches Früh-
stück. Von neuem überkam sie eine namenlose Angst, des
Bruders Drohung klang ihr noch immer in den Ohren:
„Den Schuß zahl' ich ihm heim, daß Heinrich Ehlert Zeit
seines Lebens dran genug hat." Wie kam es nur, daß
ihr dabei das Herz plötzlich so wild in der Brust schlug?
Wie oft hatte Matthias ähnliche zornige Verwünschungen
ausgestoßen, sie hatte kaum darauf geachtet. . .
Wenn nun der Förster käme mit dem Büttel, ihn zu
suchen, ihren Bruder, den er verwundet und der nun im
Wald Herumstreifen mußte, flüchtig wie ein Geächteter;
wie sie sich freuen, wie sie höhnen würden, die stolzen
Dörfler, wenn der wilde Matthias die Landstraße entlang
geführt würde als Gefangener, der Gendarm neben ihm
und der Jägerbursche!
Ingrimmig ballte sie die Faust und ein böses, zorniges
Lächeln schürzte ihre Lippen, daß die Weißen, glänzenden
Zähne sichtbar wurden; oder aber, wenn nun Matthias
den Förster träfe, weit, weit draußen in dem stillen, ver-
schwiegenen Wald, wo er ahnungslos dahinschritt. . .
Niemand sah's, niemand hörte es — da krachte ein Schuß,
ein sicher gezielter, und Heinrich Ehlert lag auf dem
grünen Moosboden — ein stiller Mann ...
Matthias aber floh zurück durch die dunklen Stämme
auf heimlichen, verborgenen Wegen — ein Mörder — ein
Mörder. — Die Dirne sprang auf, ein angstvolles
Stöhnen entrang sich dem gequälten Herzen, „nein, mein
Gott Vater," murmelte sie, „nur das nicht, nur das nicht!
Mein Matthias ein Mörder und er — tot!"
Sie fand nicht Ruhe noch Rast an diesem Tage; was
sie auch vornahm, nichts gelang ihr, nichts ging ihr stetig
von der Hand, dabei horchte sie auf jedes Geräusch, mei-
nend, sie kämen nun, den Bruder zu suchen, oder dieser
selbst stürze bleich und atemlos herein, sein unstäter Blick
ihr verratend, was sein Mnnd verschwieg.
Aber alles blieb still. Stunde auf Stunde verrann
nnd die Sonne neigte sich zum Untergang, ohne daß ein
Fremder sich der Schwelle des Häuschens genähert hätte.
Susanne war eben damit beschäftigt, die gesammelten
Kräuter zu verlesen, als ihr scharfes Ohr den wohl-
bekannten leichte» und raschen Schritt des Bruders ver-
nahm, er schicn's nicht eiliger zu haben als sonst, und sic
atmete erleichtert auf, als er jetzt mit einem ruhigen
„Guten Abend, Snsi!" über die Schwelle trat. Er sah
bleich und abgemattct aus und die Augen blickten nicht so
klar als sonst, aber doch ebenso offen und frei um sich
wie immer. Das Mädchen sprang auf und ging dem
Eintretenden entgegen — sie fühlte sich wie von einer Last
befreit.
„Du bist müde, Matthias," sagte sie freundlich; „leg
Dich jetzt nieder, ich denk', es hat keine Gefahr; niemand
hat nach Dir gefragt, und Dir," — sie stockte — „Dir ist
auch wohl nichts begegnet?"
„Wie man's nehmen will; der Halunke im grünen
Rock, der —" er ballte wieder grimmig die Fanst, „er
ging nahe an mir vorüber, als ich in der Eichenschonung
lag — freilich ohne Hund, sonst hätt' er mich wohl unter-
gekriegt. Siehst Du, Susanne," fuhr er mit unter-
drückter Heftigkeit fort, das Mädchen zu sich heranziehend
und sich an ihr Ohr neigend, „siehst Du, wie ich den
Kerl da dicht an mir vorbei streifen sah, frank und frei,
den Kopf hoch erhoben, als ob er der König wär' im
Wald, derweil ich so elend im Gebüsch lag und den Arm
nicht rühren könnt', den seine Kugel durchschossen, da
packte mich's mit einer unbändigen Wut, ich hätt' hervor-
springen und ihn erwürgen mögen."
Seine Augen blitzten und er knirschte mit den Zähnen.
Susanne fühlte es wieder wie leises Grauen durch ihren
Körper zittern und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
Matthias murmelte halblaut vor sich hin:
„Aber wenn's heute nicht war, vergessen thu' ich's ihm
nicht, und es kommt eine Stunde, in der wir unsere Rech-
nung quitt machen. Gute Nacht, Susi," fügte er dann
lauter hinzu. „Gehst noch in den Wald?"
„Ja, mir fehlt ein Thce, den der Apotheker besonders
bestellt; ich nehme den Schlüssel mit. Erst will ich aber
Deinen Arm noch einmal verbinden."
Matthias nahm seinen Topf Suppe und ging in die
Kammer hinüber, Susanne folgte ihm dahin mit einem
Paket alter Leinwand, und nachdem sie der Wunde einen
neuen Verband angelegt, verließ sie den Bruder und bald
darauf auch die Hütte.
Es war eine sternenklare Herbstnacht, in der Susanne,
die Brust voll widerstreitender Empfindungen, dem Walde
zuschritt, Empfindungen, die sie sich selbst nicht recht zu
deuten vermochte. Zorn gegen den Förster und daneben
jenes seltsame beängstigende Bangen für sein Leben; sie
kannte des Bruders wilden, trotzigen Sinn, sic wußte,
wie glühend er die Forstbeamten haßte, wußte, daß seine
Kameraden Männer waren, die im Falle der Not oder
aus Rache ein Menschenleben nicht höher anschlugen als
das eines Wildes und die eben darnach lechzten, Rache zn
nehmen an ihren Feinden, wo sie nur konnten. Sie würden
des Matthias Wut nur stacheln und aufreizen.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, fast absichtslos, hatte
sie den Weg zur Höllenschlucht eingeschlagen, und sich seit-
wärts auf das niedrige Brückengeländer setzend, überließ
sie sich ihren Grübeleien; sie hatte es nicht bemerkt, wie
aus dem Dunkel des Waldes die Gestalt eines Mannes
auf der Brücke erschien und, sich im Schatten haltend,
leise näher schlich. Erst als eine wohlbekannte Stimme
ihr einen guten Abend bot, sah sie erschreckt auf und in
des Försters freundlich lächelndes Gesicht.
„Herr Förster, Ihr?" rief sie emporspringend und dcö
Mannes Blick meidend, „wie kommt Ihr hieher?"
Heinrich Ehlert lachte lustig auf.
„Ja, Susi, dieselbe Frage möchte ich wohl einmal an
Dich stellen und noch die dazu setzen, warum Du so gar-
lange nicht mehr da warst. Ich bin oft genug hier herum-
gestreift, aber immer vergebens."
„Hm, ich denk', Herr Förster, Ihr werdet wohl nach
sonst was anderem als just nach mir ausgeschaut haben,"
erwiderte sie kurz.
„Wenn Du mir doch nur glauben möchtest, Susanne,"
antwortete Ehlert verstimmt. „Hältst Du mich denn für
so einen, der lügt, so oft er den Mund aufthut?"
Das Mädchen antwortete nicht, konnte es aber nicht
hindern, daß ein Gefühl fast wie Freude ihr Herz durch-
zitterte. Da sie seine ehrlichen blauen Augen auf sich
ruhen fühlte und er noch immer schwieg, hob sie langsam
die langen Wimpern und beider Blicke begegneten sich.
Ehlert streckte ihr plötzlich die Hand hin.
„Susi!"
„Was soll's?"
„Gib mir die Hand, sei doch nicht so trotzig — wir
sind ja immer gut mit einander fertig geworden. Ich
möcht' 'mal ein vertraulich Wörtchen mit Dir reden."
„Mit mir?" Es lag ungekünsteltes- Erstaunen in
ihrem Ton.
„Ja, mit Dir — zu Deinem Besten und zu noch je-
mands Bestem, dem Du sehr gut bist. Na, aber erst
schlag ein — so, und nun komm, da unten an der Brücke
liegt eine gefällte Kiefer, wir wollen uns setzen, da
schwatzt sich's besser."
Er hielt ihre Hand fest und sie folgte ihm willenlos.
Ehlert setzte sich auf den gestürzten Baum und zog das
Mädchen neben sich, das, wie von einem unerklärlichen
Bann umfangen, mit klopfendem Herzen ohne Wider-
streben an seiner Seite Platz nahm. Jetzt gab der Förster
ihre Hand frei, nahm den Hut ab, schlug ein Bein über
das andere, schlang die Arme um das Knie und nagte an
der Unterlippe, wie unschlüssig, was er ihr nun sagen solle.
„Als wir uns hier vor ein paar Wochen zum ersten-
mal wieder begegnet sind, Susi," begann er endlich, „da