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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 4.1916

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IV.3
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https://doi.org/10.11588/diglit.42097#0188
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180

Bücher

Bücher.
CARL ROBERT: Oidipus. Geschichte eines poetischen Stoffes im
griechischen Altertum. 2 Bde. <587 und 203 S.) Berlin, Weidmann, 1915.
M. 25' — .
Ein Werk über Ödipus wird selbst dann für Analytiker von Intern
esse sein, wenn es wie das von C. Robert zunächst nichts anderes ist, als
in weitem Sinn gefaßte philologische Interpretation. Ist ja doch die geistes-
wissenschaftliche Psychanalyse schon seit einiger Zeit auf dem Wege, das
bloß stoffliche Interesse zu überwinden und damit das Gebiet ihrer Unter-
suchungen, das bei der geringen Zahl der menschlichen Urmotive leicht zur
Eintönigkeit führen könnte, nicht nur nach der Breite, sondern auch nach
der Tiefe zu erweitern.
Das Buch Roberts verfolgt den Stoff des Mythus im griechischen
Epos und Drama wie bei den Mythographen,- die Archäologie wird nur
vergleichsweise herangezogen. Insofern ist es keine im eigentlichen Sinn
mythologische Untersuchung, doch wird dem Hauptteil des Werkes, den
neueren Grundsätzen der Sagen- und Mythenforschung entsprechend, eine
Untersuchung über die Kultstätten vorausgeschickt. Als solche erscheinen
Eteonos, Sparta und Attika {Athen und Kolonos). In Attika ist der Kult
des Heros sehr jung, in Sparta wurde er durch ein noch namentlich be-
kanntes Geschlecht eingeführt, nur Eteonos an der Grenze von Böotien
und Attika zeigt uns einen Mythus und Kultus von altertümlichster Be-
deutung. Ödipus tritt dort auf in Verbindung mit der Erdmutter Demeter,
als ihr Schützling, der in ihrem Heiligtum seine letzte Ruhestätte findet. Es
ist eine der schönsten und überzeugendsten Analysen in Roberts Buch, wenn
er zeigt, daß Ödipus ursprünglich der Sohn der Erdmutter gewesen ist und
daß die bleibendsten Züge dieser mythischen Gestalt, seine Mutterehe und
seine Leiden, ihre Erklärung in dieser seiner Eigenschaft als Sohn der Erd-
mutter finden, deren Söhne auch ihre Gatten seien <p. 44 bis 46,- die wich-
tigsten Stellen erscheinen in meiner Abhandlung über Ödipus auf Kolonos
im 1. Heft dieses Bandes ausgeschrieben).
An verwandte Vorgänge in der Sagengeschichte und im Traumleben
erinnert es uns, wenn dargelegt wird, wie dieses Demeterkind von Eteonos
einen menschlichen Vater bekommt, in Laios, dem einstigen Orakelgott
der bei Tanagra gelegenen Stadt Eieon, veranlaßt zunächst durch die ver-
wandtschaftlichen Beziehungen der Eponymen von Eleon und Eteonos,
dann aber auch auf Grund der Wesensverwandtschaft des chthonischen
Heros Ödipus und des Laios, der wie alle Sehergötter ebenfalls chthonische
Natur hatte <vgl. p, 10 f.>. — Dieser allen literarischen Denkmälern voraus-
liegende Vorgang ist ebenso erschlossen worden wie die ursprüngliche Natur
der Gemahlin des Ödipus, hinter deren verschiedenen Namen sich die Erd-
göttin verbirgt, wenn auch deren Namen bis auf Euryganeia, welche »die
Weitglänzende« bedeutet, mehr oder weniger farblos sind.
Ein ähnliches Anwachsen einer Gestalt, welche zuerst mit Ödipus in
keiner Verbindung stand, läßt sich bei der Sphinx beobachten. Die Rätsel-
lösung ist etwas ziemlich Junges, »schwerlich älter als die Blüte der griechi-
schen Rätselpoesie« <p. 57). Das Wesentliche an der Episode mit der Sphinx
ist ihre Überwindung durch Ödipus, die anfänglich gewiß nicht durch die
scharfsinnige Lösung eines Rätsels erfolgt, sondern, wie man schon längst
erkannt hat, eine Tat erfordert.
 
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