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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0105

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Fragestellung: »Gibt es im Leben Bes Einzeinen oder der Völker ein
bestimmtes Verhalten, das gleich dem metaphorischen das Bewußtsein
einer fiktiven Einstellung, einer Inkongruenz von Bezeichnung und Begriff
im Sinne jener Verzerrung enthält?* Dieses Verhalten findet der Verfasser
in der »pneumatischen Weltanschauung*, d. h. in der Tatsache, daß die
Dinge der Außenwelt dem Primitiven verdoppelt als Objekt und als
treibendes Etwas hinter dem Objekt erscheinen (S. 37}. Als Außenwelt
machen sich aber primär nur jene Gegenstände bemerkbar, die dem Ich
einen Widerstand bieten, während die anderen, lustbringenden, in das
erweiterte Ich einbezogen werden. Daher ist das Tabu älter als das Pneuma,
die Vermeidung eine primitivere Reaktion als die Aneignung. Bisher können
wir vielleicht zustimmend folgen. Wenn aber der Verfasser nun daran
schreitet, die sogenannten »Gesetzen des »Pneumatismus« festzulegen
(Pneuma ist nur ein neuer Ausdruck für »Essenz der Dinget, »Manac
oder »Emanation»), so müssen wir sagen, daß diese fünf »Gesetzen
einerseits Dinge enthalten, die jedem Ethnologen als selbstverständlich
erscheinen müssen, anderseits aber dem Primitiven selbst wohl nie als
bewußte Normen vorschweben (siehe S. 38, 39). Als typisches Vorbild des
lebensfördernden Pneuma gilt der Atem des Menschen, während die Idee
des lebenshemmenden Prinzips sich »an dem Bild der verpestenden Fort-
wirkung des Todes auf Lebendes und an der schleichenden Infektion des
Giftigen-: (S. 39) entwickelt haben mag. Der Verfasser gebraucht vielfach
Wendungen, die inhaltlich oder formell an die Denkungsart der Psychoana-
lyse erinnern,- »Verschiebung* kommt öfters vor, ähnlich auch »DoppeL
Wertigkeit*, »doppelte Reaktionsweise* (d. h. Ambivalenz, in der Magie,
S. 40, 41). Eine Hemmung, d. h. Tabu, heftet si& auch an das lebens-
fördernde Pneuma, z. B. an die mannbaren Jünglinge, an den Phallus
(S. 43). Die Gesetze des Tabus sind wiederum die bekannten Assozia--
tionsgesetze von Berührung, Ähnlichkeit, Kontrast. In dem tabuistischen
Verhalten steckt schon etwas von jenem Fiktionsbewußtsein, welches zur
Entstehung einer wirkli&en Metapher notwendig ist, denn die Hemmung
ist im Vergleich zum einfachen Davonlaufen schon eine Verheimlichung,
eine Art Fiktion. Der Verfasser weiß auch, daß das Tabu nicht nur »als
reiner Ausdruck der Furcht«, sondern auch »aus der Unterdrückung von
biologisch gefährlichen Regungen* entsteht. Dann bietet das Tabu die
Möglichkeit, innere Wünsche nicht zur Schau kommen zu lassen. Schon
daß der Kampf mit sich selbst, der dieser Unterdrückung vorausgehen
mag, sich nicht im AusdruA spiegelt, bedeutet eine gewisse »Unaufrichtige
keit* (S. 49). Die Theorie Werners lautet nun, und diese Theorie wird
auch mit aller wünschenswerter Exaktheit nachgewiesen, daß die Meta-
pher aus dem Tabu entsteht als eine halbe Umgehung des
Verbotes, indem man z. B. dem Zuschauer das Verbotene mit »offener
 
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