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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 2
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Kelsen, Hans: Der Begriff des Staates und die Sozialpsychologie: mit besonderer Berücksichtigung von Freuds Theorie der Masse
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0108

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98

Dr. Hans Keisen

fassen zu können, dem Staate die gleiAe Realität oder Existenz^
art zuzuerkennen glaubt wie den Gegenständen der Natur, so
ist damit vorausgesetzt, daß die soziologisAe Erkenntnis, durch
die die Einheit ihres Gegenstandes oder ihrer Gegenstände <der
sozialen Gebilde) begründet wird, grundsätzlich naturwissensAaft^
liehen Charakter haben, d. h. aber sich einer kausalwissensAaft-
liehen Methode bedienen müsse. Dabei pflegt man — irriger^
weise — aRealitätc mit Naturrealität schlechthin zu identifizieren,
und glaubt einen Gegenstand, sofern man seine areale^ Existenz
behaupten will, als Naturobjekt, somit als naturwissen^
schaftlich zu bestimmendes Objekt annehmen zu müssen. Daher
die Tendenz der modernen Soziologie, sich als Biologie, ins-
besondere als Psychologie zu etablieren und die Binheits-
beziehung, die die Vielheit der individuellen Akte zu den sozialen
Gebilden verknüpft, als eine Kausalverkettung unter der Kategorie
von Ursache —Wirkung zu begreifen.
Demgemäß sucht die sozialpsychologisch orientierte Sozio-
logie das Wesen des Sozialen im allgemeinen, der sozialen Gebilde
im besonderen, speziell auch des Staates nach zwei Richtungen hin
zu bestimmen: Erstlich werden soziale Tatsachen als psychische
Prozesse, als Vorgänge in den mensAliAen Seelen gegenüber den
Körperbewegungen einer :>Naturc im engeren Sinn abgegrenzt. Dann
aber erkennt man das gesellsAaftliAe Moment in einer spezifischen
Verbindung, einem Verknüpftsein der Menschen untereinander,
einem irgendwie beschaffenen Zusammensein und glaubt diese
Verbindung in der psyAisAen Wechselwirkung, d. h. also
darin zu sehen, daß die Seele des einen Menschen auf die Seele
des andern Wirkung übt und von ihr Wirkung empfängt. Gesell"
schaft existiert, d. h. ist real, so führt typisAerweise Simmel aus,
9WO mehrere Individuen in Wechselwirkung treten. Diese Wechsel^
Wirkung entsteht immer aus bestimmten Trieben heraus oder um
bestimmter Zwedce willen . . . Diese Wechselwirkungen be*-
weisen, daß aus den individuellen Trägern jener veranlassenden
Triebe und Zwe&e eine Einheit eben eine Gesellschaft' wird.
Denn Einheit im empirischen Sinne ist nichts anderes als Wechsel^
Wirkung von Elementen: ein organisAer Körper ist eine Einheit,
weil seine Organe in engerem Wechseltausch ihrer Energien
stehen als mit irgend einem anderen äußeren Sein, ein
Staat ist einer, weil unter seinen Bürgern das enu-
 
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