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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 2
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Kelsen, Hans: Der Begriff des Staates und die Sozialpsychologie: mit besonderer Berücksichtigung von Freuds Theorie der Masse
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0109

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Der Begriff des Staates und die Sozialpsy&ologie

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sprechende Verhältnis gegenseitiger Einwirkung besteht,
ja, die Weit könnten wir nicht eine nennen, wenn nicht jeder
ihrer Teiie irgendwie jeden beeinflußte, wenn irgendwo die
wie immer vermittelte Gegenseitigkeit der Einwirkung abge-
schnitten wäre. Jede Einheit oder Vergesellschaftung kann je nach
Art und Enge der Wechselwirkung sehr versAiedene Grade
haben, von der ephemeren Vereinigung zu einem Spaziergang bis
zur Familie, von allen Verhältnissen auf Kündigung bis zu der
Zusammengehörigkeit zu einem Staate, von dem flüAtigen
Zusammensein einer HotelgesellsAaft bis zu der innigen Ver-
bundenheit einer mittelalterlichen Gilden h
Diese Bestimmung des Wesens der Gesellschaft, die offene
kundig auf das Begreifen der sogenannten sozialen Gebilde ab^
zielt, ist aber in mehr als einer Beziehung problematisA. Zumindest
soweit sie die Realität, die spezifisAe Existenzart, das Aarak<?
teristisAe Kriterium für die Einheit des Staates erklären soll.
Denn will man die als ^Staate bezeiAnete Verbindung von
MensAen als psyAisAe We Asel Wirkung begreifen, darf man '
niAt übersehen, daß keineswegs jede WeAselwirkung eine x<Ver-
bindungc der sozialen Elemente bedeutet. Jede soziologisAe Untere
suAung stellt der die GesellsAaft — als Einheit — erzeugenden
Assoziation eine die GesellsAaft zerstörende Dissoziation
entgegen. Diese dissoziierenden x-Kräfte^ aber äußern siA durAaus
als Wirkung und WeAselwirkung zwisAen den psyAisAen
Elementen. Damit, daß zwisAen MensAen Wechselwirkung
aufgezeigt wird, ist noA keineswegs jene spezifisAe Verbindung
erwiesen, die aus einer Vielheit von MensAen eine GesellsAaft
maAt. Der Staat — wie übrigens alle anderen sozialen Gebilde
auA — ist offenbar eine nur durA verbindende WeAsel-
wirkung hergestellte Einheit von MensAen. Auf diese »Ver-
bindung« kommt es vor allem an, und deren Besonderheit ist
es offenbar, durA die siA der Staat von anderen sozialen Ge-
bilden, wie Nation, Klasse, ReligionsgemeinsAaft etc. untersAeidet.
Verfügt man über kein anderes Kriterium als das der verbindenden
WeAselwirkung, ist es sAleAterdings unmögliA, aus den zahl-
losen Gruppen, in die die MensAheit auf solAe Weise zerfällt,
jene besondere Verbindung herauszuerkennen, die man den Staat

Soziotogie 1908, S. 5, 6.
 
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