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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0266

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die Kastration ist keineswegs als eine Folge des gesteigerten Sexualtriebes,
wohl aber als neurotische Selbstbestrafung, als Sübnung der Inzestschuld
verständlich, wie dies gerade an den vorderasiatischen Kulten mit beson-
derer Deutlichkeit nachweisbar isth Die fortschreitende ^Intellektualisierung«
läßt das Praktische aus dem Emotionalen im ^Wandel der Beweggründe«
(= Überdeterminierung) entstehen. ^Gerade die großen Epochen, die wir
im Hinblidc auf die tiefeingreifende Bedeutung dieses Wandels als Stufen
der Kultur bezeichnen, sind odenbar die Hauptepochen einer solchen Zwecke
metamorphose« (S. 159). Die nationale Gebundenheit der Kultur als be^
wußtes Erlebnis der Nationen/ dies soll der große Schritt sein, der von
der Sippenkultur zur nationalen Kultur führt und der von den Hellenen,
die ja alle Nichtgriechen als y Barbaren« bezeichneten, zuerst getan wurde
Doch kennzeichnet nicht ebenso (um vom ReiAe der Mitte ganz abzu-
sehen) jeder australische Stamm all diejenigen fremden Stämme, mit denen
er die ^panhellenisAe« Feier der Männerweihe nicht gemeinsam begeht,
als ^ wilde Schwarze« und sich allein als ^Menschen«? Der semitische Geist
hingegen ist als Träger der übernationalen Weltkultur anzusehen. Den-
selben Gegensatz findet Wundt zwischen Romanen und Germanen, indem
hier die Romanen (denen auch die angeblich vollkommen romanisierten
Engländer zugezählt werden) als Vertreter des LIniversalismus, die Ger^
manen als die Träger des nationalen Gedankens erscheinen und führt auch
den Weltkrieg auf diesen psychischen Gegensatz zurück.
Die Überschrift des zweiten Abschnittes lautet: >Die Gebiete der
Kultur.« Hier werden nun wiederum annähernd dieselben Themata be-
sprochen, nur anders gruppiert, das meiste von dem, was wir hier zu
hören bekommen, ist in anderer Reihenfolge schon in den vorhergehenden
Bänden der >>Völkerpsychologie« gesagt worden (S. 180 bis 423). Der
letzte Abschnitt handelt über die ^Zukunft der Kultur«, greift vielfach
hinüber in die Tagespolitik und ist von persönliA^subjektivistisAer Fär-
bung im Sinne des deutschen Konservativismus keineswegs frei. Überall
vermissen wir nicht nur die Berücksichtigung des Unbewußten und des
Lustprinzips, sondern auch jede wirklich dynamis A-psyAologisAe Erklärung.
Vom ethnologischen Standpunkte bringt die Arbeit auch kaum Neues ,-
Wundt beschränkt sich immer darauf, die jeweilig modernsten Anschauungen
eklektisch zusammenzufassen. Roheim.
* Eine in Vorbereitung begriffene Abhandlung des Referenten bezieht sich
auf dieses Thema, welches in diesem Sinne schon in einem Vortrag von Sachs
behandelt wurde.
 
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