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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Jahrbuch der K. K. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale — NF. 1.1903

DOI Artikel:
Riegl, Alois: Zur Entstehung der altchristlichen Basilika
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https://doi.org/10.11588/diglit.47868#0108
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A. Riegl Zur Entstehung der altchristlichen Basilika

Zur Entstehung der altchristlichen Basilika

1.
Auf österreichischem Reichsboden stehen heute
noch Denkmale des altchristlichen Basilikenbaues
aufrecht, die zu den vollkommensten und bester-
haltenen zählen; und wenn man dazu die Ergeb-
nisse der Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte, ins-
besondere jener von Salona, in Betracht zieht, wird
man, ohne Widerspruch befürchten zu müssen, die
Behauptung wagen dürfen, daß heute, wenigstens
innerhalb des Abendlandes, nächst Italien die
österreichische Monarchie die meisten und wichtig-
sten Zeugnisse des altchristlichen Basilikenbaues
aufzuweisen hat. Daraus mag es sich rechtfertigen,
wenn mit nachstehendem ein Versuch zur Lösung
der immer noch umstrittenen Frage nach der Ge-
nesis der altchristlichen Basilika gerade in diesen,
der Beschreibung österreichischer Kunstdenkmale
gewidmeten Blättern niedergelegt werden soll.
Daß die christliche Basilika zur Zeit ihrer
Entstehung (etwa im III. Jh. n. Chr.) nicht außer-
halb aller Beziehungen zu der gleichzeitigen Bau-
kunst im römischen Reiche überhaupt — sei es der
profanen, sei es der heidnisch-sakralen — gedacht
werden könne, ergab sich schon aus den Säulen-
hallen und den halbrunden Nischen, die beiden
Gebieten in so hervorragendem und charakteri-
stischem Maße gemeinsam gewesen sind. Man
schloß daraus von Anbeginn ganz richtig, daß die
Christen in dem Augenblicke, da es die Schaffung
eines den spezifischen Anforderungen ihres Kultus
entsprechenden Gotteshauses galt, nicht auf die
Erfindung neuer, bis dahin nicht dagewesener
Typen ausgegangen wären, sondern sich der be-
reitstehenden Formen der damaligen Baukunst des
römischen Weltreiches bedient hätten. Nur faßte
man das Problem im Sinne der materialistischen
Anschauung, die in der zweiten Hälfte des XIX. Jh.
alle Kunstforschung beherrscht hat, als ein rein
Militärisches: die Christen hätten sich lediglich ge-
fragt, welches der bei den Heiden vorgefundenen
Bausysteme die größte äußere Bequemlichkeit für
die Ausübung des christlichen Kultus, insbesondere
der Zeremonien des Meßopfers darböte? So hätten

sie nach den Einen in der Marktbasilika, nach
den Andern in der Privatbasilika, oder allein
schon in der gemeinen antiken Wohnhausanlage
usw. das zweckmäßigste Vorbild des gesuchten
christlichen Kultushausbaues erkannt, und das hie-
nach gewählte Vorbild lediglich gemäß den Be-
dürfnissen des neuen Kultus aus- und weiterge-
bildet. Zum Beispiel dachte sich die älteste dieser
Entstehungshypothesen — die auch heute im Grunde
noch immer die größten Chancen hat, sobald man
überhaupt an den soeben formulierten Voraus-
setzungen festhält — daß die christliche Basilika
auf das Vorbild der profanen Marktbasilika zu-
rückgehe, deren Grundform die Christen aus Zweck-
mäßigkeitsgründen hauptsächlich nur in dem einen
Punkte geändert hätten, daß sie die Säulenstellungen
an den beiden Schmalseiten hinwegließen.
Bei einer solchen Auffassung, die man als
eine rein antiquarische bezeichnen darf, ist aber
eines zu kurz gekommen: die Kunst. Im Zeitalter
des Kunstmaterialismus hat man das freilich über-
sehen; denn diesem galt ja das Schöne als eine
notwendige Folgeerscheinung des Zweckmäßigen,
das Kunstwerk als mechanisches Produkt aus
Zweck, Rohstoff und Technik. Seit einem Jahr-
zehnthaben wir jedoch allmählich wieder deutlicher
scheiden gelernt zwischen dem Zweckmäßigen,
das der Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse ent-
spricht, und dem Schönen, das gefällt. Kaum hat
man sich auf den Boden einer solchen dualisti-
schen Auffassung gestellt, erhebt sich auch schon
die Frage: was hat den Christen an der Basilika
gefallen, daß sie dieselbe von Anbeginn durchaus
bevorzugt, und im weiteren Verlauf wenigstens im
Abendland ein volles Jahrtausend hindurch so gut
wie ausschließlich festgehalten haben?
Allerdings könnte gleich von vornherein der
Versuch unternommen werden, dieser Frage die
Berechtigung zu entziehen, indem man geltend
machte, daß die Altchristen der bildenden Kunst
mindestens gleichgültig, wo nicht feindselig gegen-
übergestanden wären. Die ältesten Christen waren
in der Tat von eschatologischen Vorstellungen
 
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