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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 11.1896

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Meurer, Moritz: Das griechische Arkanthusornament und seine natürlichen Vorbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.39191#0169
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Meurer, Das griechische Akanthusornament und seine natürlichen Vorbilder.

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Wenn vorstehende Ausführung die Abhängigkeit der ornamentalen Akanthus-
formen von den Bildungselementen der Pflanze nachzuweisen versuchte, die Be-
ziehungen der besprochenen Kunstformen zu den ihnen vorangehenden Ornament-
typen aber nur streifte, so soll damit die Einwirkung der letzteren auf die Gestaltung
des Akanthusornamentes keineswegs bestritten, sondern nur die Unmöglichkeit fest-
gestellt werden, die Geschichte des Ornamentes ausschliefslich im historischen Sinne,
im Sinne einer fortlaufenden Entwickelung von Form zu Form zu betrachten.
Ebenso einseitig wäre es, nur aus den wechselnden materiellen und technischen Be-
dingungen der Kunst die Entstehung, Um- und Weiterbildung der ornamentalen
Formen abzuleiten. Um zu sicheren Schlüssen über das Werden und Wandeln der-
selben zu kommen, kann die Kunstforschung neben jenen Gesichtspunkten eines
vergleichenden Studiums der natürlichen Vorbilder des Ornamentes nicht entbehren.
C. Bötticher in vielen Hinweisen seiner Tektonik, Jacobsthal in seiner Monographie
der Araceenformen in der Flora des Ornamentes haben für diese Betrachtungsweise
den Weg gezeigt.
Das geschichtliche Studium des Ornamentes führt zu der Beobachtung, dafs
die Kunstform-Entwickelung in vielen Beziehungen der Entwickelung der Lebewesen
gleicht, wie sie seit Darwin von der Naturwissenschaft angenommen wird: dafs sie
sich gleich dieser aus Anpassung und Zuchtwahl ergeben hat. Gleich den organi-
schen Wesen sind die technischen Kunstformen aus den einfachsten Formelementen
hervorgegangen und wie jene in fortschreitender Umgestaltung und Vervollkomm-
nung den wechselnden Daseinsbedingungen, so pafsten sich die Kunstformen den
wachsenden Kulturbedürfnissen, konstruktiven Nothwendigkeiten, klimatischen und
Bodenbedingungen, den jeweiligen Werkstoffen und der zunehmenden Behandlungs-
fähigkeit derselben an und trafen ihre Zuchtwahl für diesen Zweck aus den geeig-
netsten Bildungen der überlieferten oder natürlichen Formenwelt. Spielt bei diesem
Werdeprocefs die menschliche Freiheit und der künstlerische Einzelwille also auch
nur eine bedingte Rolle, so ist es doch unmöglich diese Faktoren auszuschliefsen
und den Künstler dabei gleichsam als den Sklaven eines Naturgesetzes zu betrachten.
Namentlich tritt bei den ornamentalen Formbildungen, welche auf einer individuellen
Beobachtungsfähigkeit der natürlichen Erscheinungen basiren, diese künstlerische
P'reiheit zu Tage. Diese Freiheit documentirt die Blüthezeit der hellenischen Kunst
und in ihr nicht zum mindesten die Entwickelung des Akanthusornamentes.
M. Meurer.
 
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