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DIE ANTITHETISCHE GRUPPE.
EINLEITUNG.
Die wichtigen Untersuchungen der letzten zehn Jahre über die gegenseitigen
Beziehungen der Völker und Kulturen des Altertums lassen zu leicht vergessen, daß
eine Anzahl Kultur- und Kunsterscheinungen unabhängig von einander an verschiedenen
Orten entstehen können. Die Reaktion, die nach einer Zeit folgen mußte, in welcher
die Theorien des »Völkergedankens« und der »Technik als Kunstursache« ihre Rolle
ausgespielt hatten, ist ihrerseits oft zu weit gegangen. Hierdurch ist vor allen Dingen
das Urteil über gewisse, erst später sich entwickelnde Kulturen beeinträchtigt worden.
Wenn wir bei einem älteren und einem jüngeren Volke die gleichen Erscheinungen
beobachten und wissen, daß beide sich oft und verschiedenartig berührt haben, so
ist es verführerisch, beim jüngeren ohne weiteres auf ein Entlehnen zu schließen.
Es ist aber eine kunsthistorische Aufgabe, dieser Verführung zu widerstehen
und zu untersuchen, ob nicht in mehr als einer Kunstentwicklung dieselben oder
sehr ähnliche Momente vorkommen können, auch ohne daß entweder von ihrer
Entstehung aus einer den beiden Kulturen gemeinschaftlichen industriellen Technik,
oder von einer Übernahme die Rede zu sein braucht. Ohne überhaupt Gesetze
für die Entstehung und das Wachstum der Kunst aufstellen zu wollen, kann man
doch versuchen, dem Vielen, was ein Volk vom andern entlehnt, manches gegen-
überzustellen, was jedes auf seine Weise entdeckt und verwendet hat.
Ob der Gebrauch des Feuers und die Art es zu entzünden, die Benutzung
der Metalle, die Keramik usw. immer von neuem entdeckt oder von einem Volke
dem andern überliefert worden sei, sind Fragen, die ins Gebiet der hypothetischen
Anthropologie fallen und um die sich eine Kunstgeschichte, die sich auf die Monu-
mente beschränkt, kaum zu kümmern braucht. Anders steht es mit einer Anzahl
ästhetischer Prinzipien, die wir in der Kunst verschiedener Völker vorfinden. Hier
erlaubt das größere Material eine genauere Untersuchung. Obwohl auch hier ganz
positive Resultate nicht erwartet werden dürfen, wird doch eine exakte Beobach-
tung einer möglichst großen Anzahl solcher Kunstwerke, die diese Prinzipien zum
Ausdruck bringen, uns über ihre Entstehung belehren und dem Wesen der Künstler
näher bringen.
Die »Mykenische Frage« ist in den letzten Jahren insoweit ihrer Lösung
näher gekommen, als die Theorien, welche die Produkte der mykenischen Kultur
Völkern zuschrieben, die mit den späteren Hellenen und ihrer Kunst nichts zu
schaffen hätten, allmählich in den Hintergrund getreten sind. Die Meisten, die sich
mit dieser Frage beschäftigt haben, werden immer mehr der Überzeugung, daß die
mykenische Kunst ein und desselben Wesens mit der späteren, sogenannten klas-
.JahrBuch des archäologischen Instituts XIX.

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