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Jolles, Die antithetische Gruppe.
künstlerische Betätigung hierbei nicht stehen. Die erhaltenen Bilder führen in drei
verschiedenen Richtungen auf neue Wege.
Sie können:
1. dazu dienen, irgend einen bestimmten Vorfall oder eine bestimmte Handlung
in der Erinnerung des Künstlers festzuhalten oder sie andern mitzuteilen;
2. sich der Form und dem Wesen des Gegenstandes anpassen, auf dem sie an-
gebracht werden, mit ihm in Stilbeziehung gesetzt werden;
3. von neuem mit der Wirklichkeit verglichen werden und so den Anfang der
eigentlichen realistischen Kunst bilden.
Später entwickeln sich alle diese Richtungen für sich oder geraten mit ein-
ander in Konkurrenz, im Anfang sehen wir sie dagegen ruhig nebeneinander her-
gehen, wie auf den ägyptischen Schminkpaletten. Die Figuren, welche wir auf
den schriftlosen Exemplaren finden, dienen teilweise dazu, Tatsachen zu fixieren;
einige von ihnen, so z. B. die langhalsigen Ungeheuer, haben sich der Form der
Paletten angepaßt, bei anderen zeigt sich die Neigung, den wahrscheinlich nach
dem Gedächtnis gebildeten Tieren eine größere Naturtreue zu verleihen. Auch bei
den mykenischen Gemmen können wir dieselben Neigungen verfolgen. Bei den
Darstellungen der ältesten kretischen Gemmen ist der erzählende Trieb der zum
Eigentumsmerkzeichen bestimmten Bilder so groß, daß sie bald zur Bilderschrift
werden. In den späteren mykenischen Gemmen sahen wir schon, wie die Neigung
zur dekorativen Stilisierung und die zur Verschärfung der Naturtreue vermittelst der
Perspektive nebeneinander vorkommen.
Unsere antithetische Gruppe ist ein Beispiel der zweiten Richtung. Das
Mittel, um aus einer einfachen Abbildung eine ornamentale Dekoration zu machen,
ist die Wiederholung. Je nachdem die Form des zu schmückenden Gegenstandes
eine andere ist, wird diese Wiederholung in langen Reihen hintereinander, oder in
kurzen einander gegenüber stattfinden. Die langen Wände in den Gräbern der Py-
ramidenzeit haben die erste Sorte, die kurzen Flächen auf den Schminkpaletten und
den mykenischen Gemmen haben die zweite verursacht.
Insoweit können wir also, auch wenn wir den Begriff und das Wort »Wappen-
stil« verwerfen, Curtius recht geben, wenn er behauptet, die Gruppe hinge mit der
Form des Gegenstandes, auf dem sie vorkommt, zusammen.
Est ist beinahe selbstverständlich, daß, wenn einmal diese zwei Schmuck-
prinzipien entstanden sind, sie auch auf viele verschiedene Weisen angewandt werden.
Erstens in allen Gegenständen des täglichen Gebrauchs, hauptsächlich aber auch in
der Architektur.
Wir sahen schon, wie in ägyptischen Gräbern die langen Wände mit
hintereinander folgenden Szenen geschmückt wurden, machten aber früher mit
wenigen Worten darauf aufmerksam, daß in denselben Grabkammern echte oder
Blendtüren, vorzugsweise mit gleichen sich gegenüberstehenden Figuren zu beiden
Seiten, oder mit antithetischen Schrift- und anderen Zeichen ausgestattet waren.
Dasselbe ist noch deutlicher in der assyrischen Architektur zu beobachten, wo die
Jolles, Die antithetische Gruppe.
künstlerische Betätigung hierbei nicht stehen. Die erhaltenen Bilder führen in drei
verschiedenen Richtungen auf neue Wege.
Sie können:
1. dazu dienen, irgend einen bestimmten Vorfall oder eine bestimmte Handlung
in der Erinnerung des Künstlers festzuhalten oder sie andern mitzuteilen;
2. sich der Form und dem Wesen des Gegenstandes anpassen, auf dem sie an-
gebracht werden, mit ihm in Stilbeziehung gesetzt werden;
3. von neuem mit der Wirklichkeit verglichen werden und so den Anfang der
eigentlichen realistischen Kunst bilden.
Später entwickeln sich alle diese Richtungen für sich oder geraten mit ein-
ander in Konkurrenz, im Anfang sehen wir sie dagegen ruhig nebeneinander her-
gehen, wie auf den ägyptischen Schminkpaletten. Die Figuren, welche wir auf
den schriftlosen Exemplaren finden, dienen teilweise dazu, Tatsachen zu fixieren;
einige von ihnen, so z. B. die langhalsigen Ungeheuer, haben sich der Form der
Paletten angepaßt, bei anderen zeigt sich die Neigung, den wahrscheinlich nach
dem Gedächtnis gebildeten Tieren eine größere Naturtreue zu verleihen. Auch bei
den mykenischen Gemmen können wir dieselben Neigungen verfolgen. Bei den
Darstellungen der ältesten kretischen Gemmen ist der erzählende Trieb der zum
Eigentumsmerkzeichen bestimmten Bilder so groß, daß sie bald zur Bilderschrift
werden. In den späteren mykenischen Gemmen sahen wir schon, wie die Neigung
zur dekorativen Stilisierung und die zur Verschärfung der Naturtreue vermittelst der
Perspektive nebeneinander vorkommen.
Unsere antithetische Gruppe ist ein Beispiel der zweiten Richtung. Das
Mittel, um aus einer einfachen Abbildung eine ornamentale Dekoration zu machen,
ist die Wiederholung. Je nachdem die Form des zu schmückenden Gegenstandes
eine andere ist, wird diese Wiederholung in langen Reihen hintereinander, oder in
kurzen einander gegenüber stattfinden. Die langen Wände in den Gräbern der Py-
ramidenzeit haben die erste Sorte, die kurzen Flächen auf den Schminkpaletten und
den mykenischen Gemmen haben die zweite verursacht.
Insoweit können wir also, auch wenn wir den Begriff und das Wort »Wappen-
stil« verwerfen, Curtius recht geben, wenn er behauptet, die Gruppe hinge mit der
Form des Gegenstandes, auf dem sie vorkommt, zusammen.
Est ist beinahe selbstverständlich, daß, wenn einmal diese zwei Schmuck-
prinzipien entstanden sind, sie auch auf viele verschiedene Weisen angewandt werden.
Erstens in allen Gegenständen des täglichen Gebrauchs, hauptsächlich aber auch in
der Architektur.
Wir sahen schon, wie in ägyptischen Gräbern die langen Wände mit
hintereinander folgenden Szenen geschmückt wurden, machten aber früher mit
wenigen Worten darauf aufmerksam, daß in denselben Grabkammern echte oder
Blendtüren, vorzugsweise mit gleichen sich gegenüberstehenden Figuren zu beiden
Seiten, oder mit antithetischen Schrift- und anderen Zeichen ausgestattet waren.
Dasselbe ist noch deutlicher in der assyrischen Architektur zu beobachten, wo die