Es ist wichtig, sich in diesem Zusammenhang den Bedeutungswandel der Kunstgeschichte
seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen: Der Künstlergeschichte in der Nach-
folge Vasaris wurde das prinzipiell neue Konzept einer umfassenden Entwicklungsgeschichte
in Perioden gegenübergestellt. Erstmals wurden vergangene Stilepochen aus ihrer Zeit heraus
betrachtet und die Kunstgeschichte nicht als eine Aneinanderreihung von Künstlerviten son-
dern als ein organisches Ganzes mit verschiedenen Entwicklungsphasen gesehen. Dieses Modell
fand in der ersten Phase seinen bedeutendsten Ausdruck in Winckelmanns Werk »Geschichte
der Kunst des Altertums« von 17 64.172 Der klassizistischen Ausrichtung auf die Antike und
Renaissance, folgte mit religiöser Überhöhung die historische Aneignung der mittelalterli-
chen Kunst durch die Romantiker um 1800, woraus eine historische Kunstanschauung er-
wuchs, die sich auf allen Ebenen des Umgangs mit der Kunstgeschichte durchsetzen konn-
te.173 Der erste Ort, an dem diese Überlegungen Fuß fassen konnten, war das Museum, das
Werke verschiedener Zeiten und Völker vereinigte. Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu
neuen Museumsgründungen, aber auch bereits bestehende Museen und Bildergalerien wur-
den nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.174 Die Kunst proklamierte damit ihre Eigen-
macht und entsagte der Beanspruchung durch Zwecke, Aufgaben und Funktionen.175 Erst-
mals versuchten »wissenschaftlich« ambitionierte Museumskustoden, die Werke nach Zei-
ten, Schulen und Themenkreisen systematisch zu ordnen, das sogenannte Prinzip der »galleria
progressiva« oder der »rationalen Hängung« setzte sich durch.176 Mit ihrer Neuordnung dienten
sehe Schule schöne Muster liefern.« (Kat.Wie.l814/3.Q.3.), »,Darstellung von Gemälden' aus ver-
schiedenen Schulen« (Kat.Wei.l818/Q.2) und »fünf Tableaux der niederländischen Schule«
(Kat.Wie.1820).
172 Nicht nur, daß Winckelmann durch sein intensives Antikenstudium und sein Erstlingswerk »Ge-
danken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst« (1755)
eine Art Leitfunktion in der Geistesgeschichte des Klassizismus übernahm, er wurde auch mit sei-
ner Entwicklungstheorie der Kunst und seinem Hauptwerk »Geschichte der Kunst des Altertums«
(1764) zum Begründer der deutschen Kunstgeschichte und der klassischen Archäologie als wissen-
schaftliche Disziplinen. Vgl. Kultermann 1996, S.53-62. Vgl. Pochat 1986. S.406. Vgl. Langen
1968. S.205. Vgl. Schneider 1996. S.30-34.
173 Zur historischen Entwicklung der Kunstgeschichte, vgl. Kultermann 1996, S.38-88.
174 1769 öffnete man die Uffizien in Florenz mit Giuseppe Querci als ersten Direktor dem Publikum,
es folgten 1773 Düsseldorf mit Lambert Krähe und 1781 das Obere Belvedere in Wien mit dem
Baseler Kupferstecher und Kunsthändler Christian von Mechel als Direktor, am 27.7.1793 gründe-
te de~r französische Nationalkonvent die moderne Sammlung des Musee francais, das am 10.8.1793
zum ersten Jahrestag der Republik eröffnet wurde. Zu Museumsgründungen des Klassizismus und
Öffnungen fürstlicher Sammlungen, vgl. Grasskamp 1981, S.30-41. Vgl. Kultermann 1996, S.66-
67. Vgl. Böttger 1972, S.48-56. Zu Wien und Berlin, vgl. Kolberg 1977, S.263-66. Zu Düsseldorf,
vgl. Kallnein 1971, S.329. Das Pariser Museum hieß zunächst »Musee Francais«, wurde 1796 in
»Musee Central des Arts« umbenannt und schließlich ab 1804 in »Musee Napoleon«. Die Idee
eines öffentlichen Museums in Paris kam bereits 1747 auf, also lange vor der Revolution und 1750
wie 1781 gab es schon zwei öffentliche Ausstellungen der königlichen Sammlung, vgl. die Disser-
tation von Harten 1989, S.l-10. Zum Louvre mit Quellenangaben, vgl. ebenda, S.180-190.
175 Vgl. Hofmann 1972. S.220-21.
176 Vgl. Grasskamp 1981, S.25. Vgl. Böttger 1971, S. 112-165. Die Hängung der fürstlichen Repräsen-
tationssammlungen präsentierte sich bis dato dicht vom Fußboden bis zur Decke, geordnet nach
Motivgruppen, nach Format oder einer bestimmten Beleuchtung. Die Wissenschaft der Kunstge-
schichte - so wie wir sie heute verstehen - entwickelte sich freilich erst Mitte des 19. Jahrhunderts,
doch bereits um 1800 kann man von kunstwissenschaftlichen Interessen sprechen, vgl. Koch 1967,
S.261-264.
81
seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen: Der Künstlergeschichte in der Nach-
folge Vasaris wurde das prinzipiell neue Konzept einer umfassenden Entwicklungsgeschichte
in Perioden gegenübergestellt. Erstmals wurden vergangene Stilepochen aus ihrer Zeit heraus
betrachtet und die Kunstgeschichte nicht als eine Aneinanderreihung von Künstlerviten son-
dern als ein organisches Ganzes mit verschiedenen Entwicklungsphasen gesehen. Dieses Modell
fand in der ersten Phase seinen bedeutendsten Ausdruck in Winckelmanns Werk »Geschichte
der Kunst des Altertums« von 17 64.172 Der klassizistischen Ausrichtung auf die Antike und
Renaissance, folgte mit religiöser Überhöhung die historische Aneignung der mittelalterli-
chen Kunst durch die Romantiker um 1800, woraus eine historische Kunstanschauung er-
wuchs, die sich auf allen Ebenen des Umgangs mit der Kunstgeschichte durchsetzen konn-
te.173 Der erste Ort, an dem diese Überlegungen Fuß fassen konnten, war das Museum, das
Werke verschiedener Zeiten und Völker vereinigte. Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu
neuen Museumsgründungen, aber auch bereits bestehende Museen und Bildergalerien wur-
den nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.174 Die Kunst proklamierte damit ihre Eigen-
macht und entsagte der Beanspruchung durch Zwecke, Aufgaben und Funktionen.175 Erst-
mals versuchten »wissenschaftlich« ambitionierte Museumskustoden, die Werke nach Zei-
ten, Schulen und Themenkreisen systematisch zu ordnen, das sogenannte Prinzip der »galleria
progressiva« oder der »rationalen Hängung« setzte sich durch.176 Mit ihrer Neuordnung dienten
sehe Schule schöne Muster liefern.« (Kat.Wie.l814/3.Q.3.), »,Darstellung von Gemälden' aus ver-
schiedenen Schulen« (Kat.Wei.l818/Q.2) und »fünf Tableaux der niederländischen Schule«
(Kat.Wie.1820).
172 Nicht nur, daß Winckelmann durch sein intensives Antikenstudium und sein Erstlingswerk »Ge-
danken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst« (1755)
eine Art Leitfunktion in der Geistesgeschichte des Klassizismus übernahm, er wurde auch mit sei-
ner Entwicklungstheorie der Kunst und seinem Hauptwerk »Geschichte der Kunst des Altertums«
(1764) zum Begründer der deutschen Kunstgeschichte und der klassischen Archäologie als wissen-
schaftliche Disziplinen. Vgl. Kultermann 1996, S.53-62. Vgl. Pochat 1986. S.406. Vgl. Langen
1968. S.205. Vgl. Schneider 1996. S.30-34.
173 Zur historischen Entwicklung der Kunstgeschichte, vgl. Kultermann 1996, S.38-88.
174 1769 öffnete man die Uffizien in Florenz mit Giuseppe Querci als ersten Direktor dem Publikum,
es folgten 1773 Düsseldorf mit Lambert Krähe und 1781 das Obere Belvedere in Wien mit dem
Baseler Kupferstecher und Kunsthändler Christian von Mechel als Direktor, am 27.7.1793 gründe-
te de~r französische Nationalkonvent die moderne Sammlung des Musee francais, das am 10.8.1793
zum ersten Jahrestag der Republik eröffnet wurde. Zu Museumsgründungen des Klassizismus und
Öffnungen fürstlicher Sammlungen, vgl. Grasskamp 1981, S.30-41. Vgl. Kultermann 1996, S.66-
67. Vgl. Böttger 1972, S.48-56. Zu Wien und Berlin, vgl. Kolberg 1977, S.263-66. Zu Düsseldorf,
vgl. Kallnein 1971, S.329. Das Pariser Museum hieß zunächst »Musee Francais«, wurde 1796 in
»Musee Central des Arts« umbenannt und schließlich ab 1804 in »Musee Napoleon«. Die Idee
eines öffentlichen Museums in Paris kam bereits 1747 auf, also lange vor der Revolution und 1750
wie 1781 gab es schon zwei öffentliche Ausstellungen der königlichen Sammlung, vgl. die Disser-
tation von Harten 1989, S.l-10. Zum Louvre mit Quellenangaben, vgl. ebenda, S.180-190.
175 Vgl. Hofmann 1972. S.220-21.
176 Vgl. Grasskamp 1981, S.25. Vgl. Böttger 1971, S. 112-165. Die Hängung der fürstlichen Repräsen-
tationssammlungen präsentierte sich bis dato dicht vom Fußboden bis zur Decke, geordnet nach
Motivgruppen, nach Format oder einer bestimmten Beleuchtung. Die Wissenschaft der Kunstge-
schichte - so wie wir sie heute verstehen - entwickelte sich freilich erst Mitte des 19. Jahrhunderts,
doch bereits um 1800 kann man von kunstwissenschaftlichen Interessen sprechen, vgl. Koch 1967,
S.261-264.
81