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EMMERICH.

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Bildwerk der zweiten Reihe, soweit dasselbe nicht schon in der ersten vorkommt. Jede
Reihe hat eine Länge von 25'; die hinteren haben eine Höhe von 10', die vorderen von
4'. Die Rückwand enthält geschnitzte Wappen, wahrscheinlich der Canonichen znr Zeit der
Stiftung, die sich auf der gegenüberstehenden Seite zum Theil wiederholen. Zwischen die-
sen Wappenfeldern befanden sich Statuetten, die sämmtlich verschwunden sind, und deren
früheres Vorhandensein nur aus den Baldachinen und der ihnen correspondirenden, aus der
W'andfläche hervorspringenden, Säulchen hervorgeht. Die Wangenseite 2 bildet den hinteren
linken Abschluss, 3 denjenigen rechts; die beiden minder hohen, welche zugleich die Sei-
tenlehnen der vorderen Sitzreihe abgeben und deren Abschluss bilden, sind mit zwei Löwen
und zwei wilden Männern, welche Marterwerkzeuge in Schilden halten, bekrönt. Den äus-
seren Seitenlehnen der nicht abgebildeten Doppelreihe gehören die Aßen und Adler an,
welchen die weiteren Marterwerkzeuge beigegeben sind. Ausser den Zugängen zu der hin-
teren Sitzreihe zwischen den Wangenstücken der Schmalseiten befindet sich noch ein Zu-
gang in der Mitte der vorderen Reihe und theilt dieselbe in zwei gleiche Hälften, welche,
wie an den Enden , von zwei niedrigen Wan^enstücken abgeschlossen werden, die bei der
von uns dargestellten Chorseite rechts zwei mit einem Hunde spielende Affen, links zwei
Bären, die aus dem Rienenstock fressen, zur Rekrönung tragen (5). Die sich zankenden
Hunde und der einem Vierfüsser ins Maul schauende Greif gehören den Innenseiten der
gegenüberstehenden Sedilien an.

Ausser diesen Tbierfiguren, die, ohne Naturcopien zu sein, mit grosser Virtuosität
den Charakter der einzelnen Thiere wiedergeben, befinden sich unter allen Sitzen Consolen,
die nur beim Aufschlagen sichtbar sind. Sie vergegenwärtigen sämmtlich, wie auch die
Seitenlehnen der einzelnen Sitze, (siehe das Profil unten rechts) Scenen aus der Thierfabel.
Wir gedachten bereits der Gebrechen des geistlichen Standes im löten Jahrhunderl in der
ganzen Verweltlichung ihrer Sitten; das geistliche Gewand zog man der Pfründen halber an
und achtete nicht der damit verbundenen Pflichten. Die Stifter und Capilel, einst die Pflege-
stätten der Wissenschaft, waren Versorgungs-Anstalten für faule und weltlustige jüngere Söhne
adliger Familien.10 Es konnte nicht ausbleiben, dass zur Zeit der Humanisten und der
damit zusammenhängenden reformatorischen Rewegungen der Volkswitz sich der Schwächen
der Geistlichen bemächtigte; Poesie und Satyre blieben nicht unthätig. Die Kunst war auch
längst nicht mehr wie früher in den Händen frommer Genossenschaften, sie war Eigenthum
der Laien, und die Laien unterliessen nicht, ihren derben Spott über das kirchliche Un-
wesen in der Kirche selbst auszulassen. Wo man ohne alle Frage nach innerem Reruf
den geistlichen Stand wie jedes andere Geschäft seines Nutzens halber ergriff, da konnte
der Ernst erwachter Tugend nicht vorhanden sein, die solche Anmassung frech zurück-
gewiesen hätte. Man duldete die herbe Satyre und war vielleicht so weit gesunken, in
dieselbe einzustimmen.

10. Cornelius: Gesch. des Münsterschen Aufruhrs I. S. 14 —27 und besonders die Kirehenvisitation von
1 533 S. 216.

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