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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 22.1872

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Schmädel, Josef von: Ueber den Einfluß der exakten Wissenschaften und der Technik auf die stylistische Entwicklung der schönen Künste, [2]: Vortrag, gehalten im Polytechnischen Verein zu München am 2. Januar 1872
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des

K » n st - G e >u e rl> e - V c r ei» s.

Zwemndzwanzigster Jahrgang.

München. IWr± 7 4' S. 1872.

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Knnstbcilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. W. — 2Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. Sr änd ig e Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von

Theodor Ackermann dahier wenden.-

lieber den Einfluß der exakten Wissenschaften und
der Technik auf die stylistifche Entwickelung der
schönen Künste.

Vortrag, gehalten im Polytechnischen Verein zu München am 2. Januar 1872

Jos. v. Schmäöcl.
c-Lchluß.)

Ich verkenne nicht die Zeit des 17. Jahrhunderts, wo überall
noch die Renaissance ihre herrlichen Blüthen trieb und deren Nach-
ttnrfungett auf das Lebhafteste fühlbar waren, wo unbekannt mit
der herannahenden Gefahr die Kunst und Wissenschaft beim Beginne
und im ersten Verlaufe der Regierung Ludwig's XIV. von dem
Glanze und der Freigebigkeit seiner prächtigen Hofhaltung gehoben
und zu großartiger Entfaltung geführt wurden, obwohl sie als
wahres Danaidengeschenk, wie wir gesehen haben, zugleich die ersten
Ansätze von Fäulniß mit in den Kauf erhielten.

So künstlich nun auch der ganze Bau dieser Zeit aufgeführt
und so sicher er auf seiner Basis von Jntrigue und Herrschsucht
zu ruhen schien, so war doch das Maß endlich voll und die künst-
liche Finsterniß sollte plötzlich einem um so größeren Glanze Weichen.

Die großartigen Errungenschaften, welche im 16. Jahrhundert
die Geister bewegten und die den Kampf des Absolutismus gegen j
sich selbst hervorgerufen hatten, waren in ihren Consequenzen doch
zu mächtig, um nicht neuerdings ihre Wirkung auf die freiheitliche
Entwicklung des Menschengeschlechtes fühlbar zu machen. In aller
Stille waren sie zum Gemeingute der Gebildeten geworden, und
als in dem lange niedergetretenen und wenig beachteten Welttheile,
dessen Entdeckung im innigsten Zusammenhänge mit der Geburt
der exakten Wissenschaften steht, als in Amerika durch den Frieden
zu Versailles der Freiheitskampf der Colonien mit dem herrlichsten ,
Erfolge gekrönt wurde, indem Nordamerika, zum selbstständigen
Staate werdend, eine dem europäischen Absolutismus geradezu
gegenüberstehende freiheitliche Verfassung erhielt, da war's auch im !

alten Continente aus mit der guten alten Zeit und das künstliche j

Gebäude stürzte morsch in sich zusammen unter den wuchtigen
Schlägen der französischen Revolution. Das war auch das Ende
der letzten Sthlepoche, der Epoche des Zopfes!

Ich habe schon darauf hingedeutet, daß die exakten Wissen-
schaften den Boden zur Aufnahme des neuen freiheitlichen Geistes
bereits in aller Stille vorbereitet und bearbeitet hatten. Die Ent-
deckungen im 16. und im Anfänge des 17. Jahrhunderts hatten
einen längeren Stillstand erfahren, welchen ich die Verdauungs-
Periode nennen möchte. Leider war die Verdauung keine geregelte
und naturgemäße, indem der Kampf mit dem Absolutismus die-
selbe auf das schädlichste störte und unterbrach. Mitte des 18. Jahr-

hunderts aber, gerade in der höchsten Blüthezeit des Zopfes, da
fängt es wieder an zu gähren und allenthalben bemächtigt sich
neues Leben der Wissenschaft.

Kleist in Leiden entdeckt die Bewahrerin der Elektrizität, die
Leidener Flasche, Benjamin Franklin den Blitzableiter und damit
die Ursachen der Gewitter. Bald darauf findet Galvani jenen
mächtigen Strom, welcher heute in tausend und aber tausend Mei-
len von Drähten die Erde mit seinem magischen Netze umzieht.
Die Entdeckung des Sauerstoffes, die Zerlegung der atmosphärischen
Luft und des Wassers und die richtige Erkennung der Natur des
Verbrennungsprozesses stürzten nicht nur die Lehre vom fabel-
haften Phlogiston, sondern enthüllten auch neue Grundstoffe, deren
Zahl sich vermehrte, als bald darauf Volta seine wunderbare Säule
fand und Davy später mit ihrer Hülfe die Alkalien und Erden
zerlegte. Durch die Erfindung des Spiegelteleskope» wurde es
Herschel möglich, die nebelhafte Milchstraße, welche in klarer Nacht
wie ein helles Band über das Himmelsgewölbe sich spannt, in
Sternenheere aufzulösen, in deren Zahl der damaligen Generation
vor etwa hundert Jahren zuerst das Verständniß für den Begriff
von Milliarden eingeimpft wurde. Und als nun gar im Jahre
1783 der erste Luftballon in die Wolken stieg, da schien es fast,
als sei der Weg gebahnt, der zu den Sternen führte.

Allenthalben trat nun bewußtes Handeln an die Stelle des
blinden Versuchens. Ich erinnere an Linus, der, Thiere und
Pflanzen in Klaffen thcilcnd, den Naturwissenschaften eine feste
Basis gab.

Mathematische Anschauungen fanden Eingang, und fortan nicht
mehr dem bloßen Nutzen dienend, sondern allein nach Gründen
forschend, erhob sich die Chemie zu dem Range einer selbstständigen
Wissenschaft.

Es ist nun nicht bloß das rasche Entstehen neuer Wissen-
schaften gleich der Chemie, welches diese neue Epoche von allen
früheren unterscheidet, ihre wesentlichen Kennzeichen sind vielmehr
die Erkennung und Anwendung neuer Principien der Arbeit und
das befruchtende Eindringen der exakten Wissenschaften in das Ge-
sammtgcbiet der Technik. Als nämlich die Gewerbe mit den Ur-
sachen bekannt wurden, welchen ihren mechanisch erlernten und ge-
dankenlos ausgeübten Verfahrungsarten zu Grunde liegen, da war
ihnen die Bahn zum selbstständigen Fortschritte geöffnet. Als die
Industriellen bemerkten, daß sie besser und billiger produzirten,
wenn sie nicht mehr das Ganze, sondern nur dessen Theilc dem
Einzelnen zur Erzeugung überließen, da gelangte das fruchtbare
Prineip der Arbeitstheilung auch in der materiellen Welt zu Gelt-
ung und Ansehen. Vortheil und Humanität, Hand in Hand gehend,
brachten das Maschinenwesen in Flor, und die Fabrikation siegte
über den widerstrebenden Geist der Zunft und des Handwerkes.

Was nun das befruchtende Eindringen der exakten Wissen-
schaften in das Gesammtgebiet der Technik und des praktischen
 
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