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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 22.1872

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Die Wichtigkeit der Wiener Weltausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9047#0034

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Zeitschrift

des

Kunst - Gewerbe-Vereins.

Zweiundzwanzigster Jahrgang.

München. fß ch" IÖ. 1872.

Die Zeitschrift erscheint monailich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Knnstbeilagcn. Die Bcreinsmitqlieder erhalten die Zeitschrift nuentacltlick

handel kostet dieselbe 4 fl. s. LL. - 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. - 2 Sgr^ für den Raum einer gespaltenen

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Theodor Ackermann dahier wenden.

Die Wichtigkeit der Wiener Weltausstellung.

Tie Zeit der Wiener Weltausstellung rückt immer näher heran;
und immer klarer stellt sich dabei heraus, von welch außerordent-
licher Wichtigkeit dieser friedliche Wettstreit der Völker sein werde.
Sehr Viele haben früher über diese großartige Rechenschaft, welche
sich unser Jahrhundert von Zeit zu Zeit über sein Können, über
die Entwicklungsstufe der verschiedensten Handfertigkeiten ablegt,
vornehm oder auch nicht vornehm die Achsel gezuckt, und haben ge-
meint, es komme doch nichts dabei heraus. Sie haben sich glück-
licherwcise geirrt; denn es ist sehr viel dabei herausgekommen. Und
von Ausstellung zu Ausstellung haben die Völker mehr von den-
selben zu lernen verstanden. Sie sind durch die Vergleichung der
verschiedenen Leistungsfähigkeit zur Selbstprüfung aufgestachelt wor-
den. Ein jedes der europäischen Culturvölker hat sich nach und
nach gefragt: worin bin ich mit meinen Leistungen hinter den Leist-
ungen anderer Völker zurückgeblieben ? Welcherlei Ursachen sind es,
die mein Fortschreiten hemmten? Welche Maßregeln muß ich er-
greifen, meine Leistungsfähigkeit so zu steigern, daß ich Erzeugnisse
liefere, welche durch technische Vollendung der Arbeit lvie durch ihre
Schönheit hervorragen? Mau muß es den Engländern lassen, daß
sie zuerst mit voller Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst eine derar-
tige Selbstprüsung angestellt haben. Sie gestanden sich offen ein,
daß sie aus dem Gebiete der Knnstindnstrie außerordentlich zurück-
geblieben waren. Bon Seiten des Staates wie von Seiten der
Privatleute wurden große Anstrengungen gemacht, den Geschmack
der Kunstgewerbtreibenden wie des Publikums zu veredeln, und
einer neu Heranwachsenden Generation von Kunsthandwerkern Ge-
legenheit zu bieten, in Schulen und Sammlungen die Geschicklichkeit
und den Schönheissinn sich anzueignen, zu deren Erwerbung ihren
älteren Collegen die Gelegenheit fehlte. Es wurde in den ver-
schiedensten Theilen des Landes eine ganze Reihe von Schulen ge-
gründet, es wurden die großartigsten Sammlungen angelegt und
auf sehr verständige Weise für das Studium nutzbar gemacht, es
werden seit neuerer Zeit in jedem Jahre in London Ausstellungen
veranstaltet, um auf den einzelnen Gebieten des industriellen Le-
bens und Schaffens die Kräfte kennen zu lernen u. s. w. Und
wahrlich, es sind nicht taube Nüsse, welche von dieser reichen Aus-
saat geerntet wurden. Man ist gcradezn erstaunt über die verhält-
nißmäßig raschen Fortschritte des englischen Volkes auf dem kunst-
gewerblichen G.biete, für welches man demselben alle Naturanlagen
und damit den Beruf, auf diesem Gebiete Ettvas zu leisten, abge-
sprochen hatte.

Auf die Engländer folgten die Oesterreicher, welche gleich in
großem Maßstabe Veranstaltungen trafen, um ihrer kläglich gesun-
kenen Kunstindustrie zu einer neuen Blüthe zu verhelfen. Auch in
Oesterreich wurden Schulen und Sammlungen gegründet; die Be-
sitzer hervorragender Leistungen der Vergangenheit ergänzten zumal
die Sammlung des österreichischen Museums, indem sie für eine
bestimmte Zeit ihre Schätze herliehen.

Und auch den Oesterreichern muß man nachsagen, daß sie es
verstehen, alle die ins kunstgewerbliche Gebiet einschlägigen Samm-
lungen für das Wachsthum und die Veredlung der schöpferischen
Kräfte sowie für die Verfeinerung des Geschmacks immer frucht-
bringender zu machen.

Aber alle diese Anstrengungen würden von keinem durchschla-
genden Erfolg begleitet gewesen sein, wenn ihnen nicht das Kapital
zu Hilfe gekommen wäre. In England und Frankreich war das
eine selbstverständliche Sache. Auch in Oesterreich begriff man rasch
aus kluger Berechnung und aus Patriotismus, daß ein in kunst-
industriellen Unternehmungen angelegtes Kapital nichts weniger als
ein verlorenes sei, sondern daß es vielmehr dazu beitrage, dem
Volke auf dem kunstgewerblichen Gebiete einen guten Ruf zu ver-
schaffen und damit den Nationalwohlstand wie den Wohlstand der
Einzelnen zu heben. Und auch im österreichischen Kaiserstaate sind
ebensoivenig wie in England die Früchte ausgeblieben. Schon ans
der letzten Pariser Weltausstellung war man von der Leistungs-
fähigkeit der österreichischen Kunstindustrie höchlich überrascht, und
Jeder kann es sich an den Fingern abzählen, daß für die Welt-
ausstellung des kommenden Jahres bei ihrer Wichtigkeit für Wien
und für ganz Oesterreich keine Opfer gescheut werden.

Wie nun sieht cs im deutschen Reich und wie sieht es in einer
für das Kunstlebcn so wichtigen Stadt, wie sieht es in München
aus? In Berlin hat man eingesehen, daß etwas Erkleckliches für
die Förderung der vorhandenen und für die Heranbildung frischer
Kräfte gcthan werden müsse, um mit Ehren auch auf dem Felde
des kunstgewerblichen Schaffens bestehen zu können. Auch dort er-
kennt man, wie nothwendig es ist, durch gute Vorbilder das Auge
an das Schöne zu gewöhnen, und wie es, um dieses zu erreichen,
durchaus erforderlich erscheint, jene Vorbilder so darzubieten, daß
sie wirklich vom Publikum genossen und studirt werden können.
Zumal in neuerer Zeit sind in dieser Hinsicht sehr dankenswerthe
Veranstaltungen getroffen worden. Ueberaus merkwürdig ist die
Rührigkeit in dem kleinen Württemberg im Vergleich zu den an-
dern Staaten des deutschen Reiches.

Welches Bild nun bietet uns unser München, welches bis jetzt
noch Deutschlands Knnstmetropole ist, dar? Münchens Kunstge-
werbevereiu arbeitet seit 20 Jahren mit kleinen Mitteln aber doch
nicht ohne großen Erfolg an der Hebung der deutschnationalen
Kunstindustrie. Wir haben hier Lehranstalten, wir haben hier
Sammlungen ersten Ranges, wie das Nationalmuseum, die Schatz-
kammer und die reiche Kapelle, von welcher die erstgenannte Sammlung
durch die neue Anordnung immer einladender für das Studium er-
scheint, während leider die herrlichen Schätze der reichen Kapelle
und der Schatzkammer den Blicken der Kunstgewerbtreibenden und
des Publikums sich vollständig entziehen, wobei erwähnt werden
mag, daß das grüne Gewölbe in Dresden und die Schatzkammer
in Wien, welche bisher doch wenigstens zugänglich waren, jetzt auch
für das eigentliche Studium nutzbringender gemacht werden.
 
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