Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 22.1872

DOI Artikel:
Schmädel, Josef von: Ueber den Einfluß der exakten Wissenschaften und der Technik auf die stylistische Entwicklung der schönen Künste, [2]: Vortrag, gehalten im Polytechnischen Verein zu München am 2. Januar 1872
DOI Artikel:
Mecklenburg, A.: Ueber Steinkrüge und Holzformen für Backwerk als Proben volksthümlicher Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9047#0028

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
15

\

sagen, daß sie der Inbegriff jener Produkte ist/ welche einerseits
der menschliche Verstand theils für die unabweisbaren Bedürfnisse,
theils für die Bequemlichkeit des Lebens erfunden und erdacht hat
und die anderseits der auf das Ideal gerichtete Schönheitssinn
durch praktische Anwendung der schönen Künste zu veredeln sucht.
Gerade die Erscheinung, daß die Kunstindustrie im lebhaftesten
Aufblühen begriffen ist, gibt uns Aussicht auf die nicht mehr all-
zuferne Entwicklung einer neuen Stylepoche. Durch die Kunst-
industrie wird die Kunst ins Haus getragen, durch sie wird sie
jedem Einzelnen zum Bedürfnisse werden, und ist erst das Be-
dürfniß der Befriedigung des Schönheitssinnes in den Massen leb-
haft geworden, dann ist damit die Vorbereitung aller Elemente zur
Entwicklung eines neuen Styles gegeben', d. h. die Zeit ist sty*-
bedürftig geworden, und ist das der Fall, so wird auch die Be-
friedigung dieses Gefühles nicht lange auf sich warten lassen.

Es ist nun vornehmlich die Architektur, an welche man be-
sonders das Verlangen einer stylgemäßen Ausdrucksweise gestellt
hat, während doch gerade sie die allermeiste Ursache hat, Zeit für
ihre stylistische Entwicklung zu fordern. Keine Kunst steht in so
engem Zusammenhänge mit den exakten Wissenschaften und ist so
sehr an die Entwicklung der Technik gebunden, wie diese. Wie
kann man also, da seit dem Beginne dieses Jahrhunderts beinahe
jeder Tag neue Errungenschaften, neue Materialien, neue mecha-
nische Verfahrungsweisen u. s. w. brachte, wie kann man da von
einer Kunst die ideale Fixirung einer so ruhelosen Epoche ver-
langen. Durch so krampfhafte Stylversuche, wie sie z. B. speziell
bei uns in München gemacht worden sind, erreicht man nichts als
Fehlgeburten, Mißgeburten. Man erreicht Produkte, wie das Re-
gierungsgebäude, von dem man glauben könnte, es sei von dem
Dichter der Posse „Zu ebener Erd und im ersten Stock" erfunden
worden, oder des Maximilianeums, an dessen langweiligen Bogen-
motiven man die Rechnung des Unendlichen studiren könnte, während
die Bogenaufsätze-mit ihren Thongötzen lediglich den Zweck zu haben
scheinen, den Beweis zu liefern, daß 2 mal 2 Vier sei u. s. w.
Man mag wohl lächeln über diese Dinge, aber es wäre wahr-
haftig mehr Grund zu trüben Reminiscenzen vorhanden. Doch
haben diese Versuche wenigstens den einen Vorthcil gehabt, uä
oeulos den Satz zu demonstriren, daß die gewaltsame Erfindung
eines neuen Styles in das Reich der Chimäre gehört. Mit ge-
waltsamen Maßregeln und Treibhausversuchen werden eben auf
allen Gebieten nur sehr selten befriedigende Resultate erreicht, am
allerwenigsten aber auf dem Gebiete der Kunst.

Es gibt nun freilich viele Leute, welche auf die Entwicklung
eines neuen Styles keinen besonderen oder auch gar keinen Werth
legen, ja überhaupt die Kunst als etwas Entbehrliches und viel-
leicht sogar Ueberflüssiges betrachten. Sie werden es mir nicht j
verübeln, wenn ich es ausspreche, daß diese Kunstverächter haupt-
sächlich, und zwar naturgemäßer Weise in den Kreisen der Technik
zu suchen und zu finden find. Es ist dieß bei Betrachtung des
Vorhergeschickten eine leicht erklärliche Erscheinung, denn indem
durch die Vermittlung der exakten Wissenschaften die Technik bei-
nahe plötzlich so ungeheure Fortschritte machte, die Kunst aber,
nachdem sie eine ungesunde und aus heillosen politischen und so-
zialen Verhältnissen hervorgegangene Stylcpoche verlassen mußte,
nicht gleichen Schritt mit der Entwicklung der Technik halten konnte,
wurde das Verhältniß zwischen der Kunst und der Technik ein bei-
nahe feindliches.

Nachdem man aber in der Kunst bereits angefangen hat, die
Technik von ganz anderem Standpunkte aus zu betrachten, ja die-
selbe sogar theilweise zum Endziel der bildenden Künste gemacht
hat, ist der erste Schritt zur Versöhnung gegeben. Man ist nun
freilich in den Conzessionen, welche man von Seite der Kunst an
die Technik gemacht hat, zu weit gegangen, aber diese Irrfahrt
ins fremde Gebiet wird die Künste bald wieder ihrem natürlichen !
Wege zuführcn, wenn einmal klar sein wird, daß durch dieselbe
das vorgesteckte Ziel nicht erreicht werden kann. Diese Irrfahrt

wird um so weniger von Uebel sein , da man dabei Herr der'
Technik geworden und damit für die volle Befriedigung des idealen
Triebes wieder der weiteste Spielraum gegeben ist. Darum wer-
den die Errungenschaften der exakten Wissenschaften und der Technik
einer der Hauptfaktoren zu neuer stylistischer Entwicklung der
schönen Künste sein und durch die unerschöpflichen Mittel, welche
sie denselben zur Verfügung stellen, zur großartigen Entfaltung
der Kunst wesentlich beitragen.

Wir haben nun bei dem fiüchtigen Betrachten der einzelnen
Stylepochen gesehen, daß die Impulse zu denselben von den je-
weilig mächtigsten Staaten gegeben und von da aus verbreitet
worden sind. Werfen wir daher zum Schluffe einen Blick auf die
gegenwärtige» staatlichen Verhältnisse, so sind wir zu der Hoffnung
berechtigt, daß Deutschland, welches sich durch seinen herrlichen
Kampf nicht nur eine sichere und ruhmvolle Existenz geschaffen hat,
sondern durch denselben auch zum mächtigsten Staate des alten
Continentes geworden ist, daß Deutschland die Geburtsstätte einer
neuen Stylepoche sein wird.

Wir Deutsche haben das Zeug dazu in uns, und daß diese
Epoche keine Epoche des Zopfes werde, sondern eine dem reinen
Ideale durch Großartigkeit und Reinheit der Ausdrucksweise zu-
strebende sein wird, dafür bürgt uns das tiefe Gemüth und der
gesunde Sinn unseres Volkes.

Vor wenig Tagen erst kam ein Freund (Hr. Ferd. Miller jun.,
der den Kreling'schen Brunnen in Cincinati zur Aufstellung brachte)
zurück vom anderen Continente, der dort ein deutsches Kunstwerk
im ächten Sinne des Wortes zur Aufstellung brachte, und er rief
uns zu, als wir im engen Freundeskreise seine Ankunft feierten:
„Tausendmal habe ich gewünscht, ihr könntet alle bei mir sein und
wie ich sehen und fühlen, wie hoch deutsche Kunst im Lande des
Materialismus und Realismus gilt und welche Achtung Allem,
was deutsch ist und von Deutschen kommt, entgegengebracht wird!"

Wenn nun diese Worte von jenem nüchternen Lande gelten,
so glaube ich im Heimathlande selbst ohne Scheu die Hoffnung
aussprechen zu dürfen, daß Deutschland seine Mission auf dem Ge-
biete der Kunst, wie auf allen anderen, erfüllen und zum Schöpfer
einer neuen und großartigen Stylepoche der schönen Künste wer-
den möge!

Ueber Steinkrüge und Holzformen für Backwerk
als Proben volkstümlicher Kunst.

Von A. Meklenburg.

- Die treffliche Kunstbeilage Bl. i im 5. und 6. Hefte der
Vereinszeitschrift (Jahrgang 1871) von L. Faustner gibt mir einen
erwünschten Anknüpfungspunkt für einige Bemerkungen über die
Steinkrüge und Holzformen für Backwerk. Beide Gegenstände sind
im südlichen Deutschland im. einfachsten wie im reichsten Haushalte
zu finden. Aber gerade deshalb steht zu fürchten, daß ihnen sehr
geringe Beachtung geschenkt wird, weil wir sie täglich vor Augen
haben und cs ihnen geht, wie den herrlichen Eisenarbeiteu an den
Portalen der alten Residenz in München und anderen bedeutenden
Kunstleistungen. Mit um so größerer Freude heiße ich die Ver-
öffentlichung der Faustner'schen Entwürfe für Verzierungen auf
Krügen von Steinzeug willkommen, welche mit so vollendetem Ver-
ständnisse der Technik dieses Materiales, wie des für die Her-
stellung der Ornamentik benutzten Werkzeuges gezeichnet sind.

Schaut Eure Bier- und Wafferkrüge an, Ihr Alle, die Ihr
in deren Besitze seid und achtet sie als echte, rechte, mustergültige
Gewerbserzeugnisse! Ist es nicht eine Freude zu beobachten, welch'
ein Leben, welch' eine Originalität diesen mit so wenig Pinsel-
strichen gezeichneten Thieren und Ornamenten eingehaucht ist,' ist
es nicht eine Freude zu sehen, mit welchem Verständnisse die Raum-
vertheilung dieser Zeichnungen bewerkstelligt worden ist? Und dies
 
Annotationen