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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 22.1872

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Lange, Emil: Charakteristik der Hauspforte, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9047#0002

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Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Knnstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. W. — 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
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Theodor Ackermann dahier wenden.

Charakteristik der Hansstforte.

Von Emil Camic, Professor an der Kunstgewerbeschule.

Der Entwicklungsgang, welchen unsere Wohnstätte von der
primitiven Zelt- und Hüttenwohnung bis zum steingefugten Palaste
mit Rücksicht auf die Verschiedenheiten der Völker und Stände, des
Zeitalters und Himmelsstriches genommen, tritt nicht nur in der
Gesammtanlage der Wohnstätte als einem in sich abgeschlossenen
Organismus auf, sondern er läßt sich auch mehr oder weniger an
den einzelnen B estandtheilen derselben mit ziemlicher Sicherheit
verfolgen.

Da ferner die Gesammtanlage unserer Wohnstätte, als die
Hülle, die wir. uns wie unserer Umgebung anpassen, durch die wir
unserm Thun und Treiben räumliche Grenzen schaffen und be-
stimmte Bahnen anweisen, von jeher ein treues Spiegelbild unseres
Wesens gewesen, aus dem sich das Maß unserer Bedürfnisse —
materieller wie geistiger Art, unsere Sitten und Gebräuche ersehen
lassen, so wird nach dem Satz: „aus den Theilen ist das Ganze
ersichtlich" auch der einzelne Bestandtheil unserer Wohnstätte in
den Verschiedenheiten seiner Gestaltung und Ausbildung ein Bild
des jeweiligen Bewohners in sich tragen.

Nach diesen beiden Gesichtspunkten, nach dem baulichen
und kulturhistorischen, möchte ich es nun versuchen, aller-
dings nur skizzenhaft und ohne hiebei eine Zeitfolge oder
Formgrammatik einzuhalten, einen hervorragenden Bestandtheil
unserer Wohnstätte, nämlich die Hauspforte, nach seinen wesentlich-
sten Momenten hier zur näheren Darstellung zu bringen.

Als das bauliche Organ, durch welches das Innere jedes
Raumgebildes dem nothwendigen Zutritt von Außen erschlossen,
der nothwendige Verkehr zwischen außen und innen ermöglicht
und vermöge gewisser Vorrichtungen geregelt oder gehemmt wird,
erscheint die Pforte als ein geradezu unentbehrlicher Bestandtheil
jeder baulichen Anlage, durch die ein bestimmtes Raumgebiet be-
grenzt oder ringsum abgeschlossen werden soll. Wenn es daher,
mit Recht oder Unrecht, den Baumeistern oft zur Last gelegt wird,
gewisse integrirende Bestandtheile einer Behausung, als Treppe,
Fenster, Blitzableiter re., bei der Anlage des Bauwerkes übersehen
zu haben, so ist doch ein Vergessen der Hauspforte noch keinem
Baumeister, selbst nicht einmal den Schildbürgern bis jetzt nach-
erzählt worden.

Wohl kann es aber vorkonimcn, daß die Hauspforte ihrer ge-
wohnten Stelle in unmittelbarer Nähe der Straße entrückt und
aus Gründen der Sicherheit erst in gewisser Höhe angelegt wird,
wie es z. B. am Kloster des Berges Sinai oder am Binger
Mäusethurm der Fall ist.

Gemäß ihrer Function und hervortretenden Erscheinung ge-
bührt der Pforte auch die wichtigste Stelle der Hausgrenze, d. h.
die Mitte der Bausronte.

i Als Ausgangspunkt für die gesammte innere Anordnung und

Raumvertheilung des Bauwerkes wird sie zum Richtungsmotiv,
nach welchem sie das Bornen und Hinten des Gebäudes bestimmt.

„Wo die Hauspsorte, da auch die Zugehörigkeit des Hauses
wie seiner Bewohner" gilt als Grundsatz unserer Straßen- und
Bezirksordnung.

Durch ihre Anlage in der Mitte des Bauwerkes wird der
Pforte nicht nur die ihrer Beziehung zum Innern desselben ent-
sprechende bauliche Stellung gegeben, sondern ihr auch die Möglich-
keit verliehen, sich architektonisch am vortheilhaftesten zu präsentiren.

Ihr Schmuck wird zugleich Schmuck der ganzen Fronte, ja
oft ist sie alleiniges Schmuckmotiv.

Bei allen monumentalen Bauwerken, welche eine symmetrische
Anlage zeigen, wie überhaupt bei jedem organisch entwickelten
Bauwerk, das in seinem Aufbau keinerlei örtliche Störungen oder
Beschränkungen erfährt, wie beim antiken Tempel oder der
christlichen Kirche, beim Palastbau und einfachen Wohngebäude
behauptet auch die Pforte die ihrer Bedeutung entsprechende Stell-
ung und verläßt dieselbe, wie gesagt, nur dann, wenn besondere
Rücksichten und zwingende Momente, wie sie bei Bauten in der
Stadt etwa durch finanzielle Berwerthung der Straßenfronte, durch
Verkehrstörung, durch unvortheilhaste Situation bezüglich der
Himmelsrichtung rc. auftreten.

Verlangt es z. B. der kirchliche Ritus, das Gotteshaus mit
seiner Chorseite nach Osten zu richten, während das betreffende
Grundstück östlich nach der Straße, somit nach der naturgemäßen
Eingangsseite weist, so ist dann auch der Pforte die naturgemäße
Lage in der Mitte der Straßenfronte versagt. So sprechen auch
mancherlei lokale Vortheile dafür, den Hauseingang, wie dieß
vielfach bei gewöhnlichen Wohnhäusern geschieht, nicht von der Straße
aus, sondern seitlich oder von hinten anzulegen, rosx. das Haus
zu verdrehen und eine seiner Nebenseiten zur Fronte werden zu
lassen. Ebenso können äußerliche wie innerliche Rücksichten die
Verschiebung der Pforte von der Frontmitte gegen die Seite be-
dingen, wodurch dann der Schwerpunkt der baulichen Masse aus
seiner naturgemäßen Lage, nämlich der Axe des Einganges, ver-
rückt wird, und die so entstandene Ungleichheit der baulichen Er-
scheinung, falls solche fühlbar oder störend ist, in geeigneter Weise
gelöst werden muß.

Solche für die streng symmetrische Bauanlage als Hindernisse
auftretende Bedingungen bieten andererseits wieder gewichtige Vor-
theile dar, da sie große Mannigfaltigkeit der baulichen Anlagen
hervorbringen, und indem sie die Beziehungen des Bauwerks zu
seiner Umgebung in sich aufnehmen und zum Ausdruck bringen,
das so wichtige malerische Moment der Architektur unterstützen,
das bei Bauten größerer Ausdehnung, bei Villen und Schloß-
anlagen, Saalbauten und auch Bedürfnißbautcn, insbesondere aber
bei den Städteanlagen selbst eine wichtige Rolle spielt.
 
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