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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 22.1872

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Lange, Emil: Charakteristik der Hauspforte, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9047#0003

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Wie aber in solchen Fällen das Gesetz der Symmetrie noch be-
achtet oder dafür ein rythmisches Gleichgewicht der baulichen An-
lage erreicht werden könne, entscheidet lediglich das freie Kunst-
gefühl, das ja aus den scheinbar unverträglichsten Bedingungen
dennoch den Rythmus der Erscheinung abzuleiten versteht. Gerade
derlei Fälle lassen aber auch den Mißverstand des Ungeübten am
besten erkennen, und so bringt denn auch die seitliche Anlage der
Hausthüre manchen Baumeister in nicht geringe Verlegenheit, aus
welcher er sich dann oft nur dadurch zu retten weiß, daß er nach
mißverstandenem Symmetriegesetz noch eine zweite Hausthüre auf
der andern Seite anlegt, die sich aber bei näherer Untersuchung
als blind herausstellt.

Wie die Pforte nicht nur äußeres Motiv ist, sondern als
Ausgangspunkt für die innere Anordnung und Raumvertheilung
auch eine Beziehung zum Inneren hat, so beschränkt sich auch ihre
decorative Ausschmückung nicht darauf, nur der äußeren Erscheinung
des Bauwerkes als Zierde zu dienen, sondern sie hat auch die Auf-
gabe, Bedeutung und Zweck des Bau-Inneren dem Beschauer vor
Augen zu führen, den Eintretenden auf den Eindruck desselben
vorzubereiten, ihm ein Vorgefühl dessen, was seine Sinne im In-
nern des Bauwerkes aufnehmen sollen, zur Empfindung zu bringen.

Hierdurch wird die Pforte gleichsam zur Vermittlerin — zum
Organ der geistigen Bezi ehungen zwischen Innen und Außen,
zwischen Familie und Oeffentlichkeit, und es erhält auch in solcher
Eigenschaft ihre decorative Ausschmückung, wo solche am Platz ist,
ganz besondere Wichtigkeit und Bedeutung.

So am Gotteshause, wo der Eintretende durch das feierliche
schmuckreiche Gewand der Pforte, durch die hiebei vorgeführten
auf den Cultus hindeutenden Symbole schon von Außen die Mahn-
ung erhält, daß sein Fuß einen gottgeweihten Ort betrete.

In der Vorführung von religiös bedeutsamer Plastik, bald
Engelfiguren, bald Scenen aus der Bibel darstellend, worunter z. B.
Adam und Eva als die stereotypen Portalfiguren ebensowenig als
die Kirchenpatrone fehlen dürfen, zeichnen sich vor Allem die Por-
tale von romanischen wie gothischen Kirchen und Cathedralen aus.

So am fürstlichen Palaste, wo der Eintretende durch
das reiche Schmuckgewand und die ganze Erscheinung des Portals
an die Macht, die Größe und den Reichthum des Fürstenhauses,
durch entsprechende Embleme an die Tugendendes Regenten,
durch Wappen an die Abstammung und das Geschlecht des Re-
genten erinnert werden soll.

Als Beispiele dieser Art des Portalschmuckes dienen unter
Anderem die beiden schönen Portale der hiesigen alten Residenz,
denen je 2 Löwen mit dem fürstlichen Wappen vorangestellt sind
und als sinniges Mittelmotiv Maria als Patrona Bavariae beige-
geben ist.

So ähnlich an allen öffentlichen Gebäuden und sonstigen Bau-
werken, deren Bedeutung dem Vorübergehenden wie dem Eintreten-
den außer durch seine ganze Erscheinung noch durch ein besonderes
bauliches Organ zur Kenntniß gebracht werden soll.

Selbst dem einfachen Wohngebäude des Bürgers fehlt es nicht
an Momenten, die als Schmuckmotive der Hauspforte ausgenommen
und verwerthet werden können.

Besonders zeichnen sich antike, mittelalterliche und Renaissance-
Hauspforten durch die sinnvolle, gefällige, die Aufmerksamkeit der
Passanten aus sich ziehende Schmuckweise aus, die neben architekto-
nischen Details, wie Säulen, Pilastern mit vorspringender Verdach-
ung, Stufen und seitlichen Nischen rc., anch figürlichen Schmuck
'mit Vorliebe verwendete, meist Reliefs, welche auf das häusliche
Leben Bezug nahmen, Amoretten und Caryatiden, welche Blumen
und Kränze der häuslichen Stätte weihen, Schutzpatrone und
phantastisches Gethier, denen die Wache der Pforte übertragen ist.

So weist Pompeji eine große Anzahl von zierlichen Portal-
motiven auf, so ist Genua berühmt durch die Menge seiner reich
dekorirten Hausthore, welche wahre Perlen der Architektur sind.

So bilden auch die anmuthigen Portalmotive der Gothik mit
ihrem Spitzbogen und den mannichfach ineinander geschobenen
Wulften und Bändern, mit zierlichem Eisenbeschläge und Gitterwerk
die stylgemäße Ergänzung zu dem Erkerstübchen und Söller, zu
den Thürmchen und spitzen Giebeln, die jener Bauweise so viel
Reiz und poetischen Hauch verleihen.

Unser München ist im Verhältniß zu manch anderen Städten
Deutschlands, wie Regensburg, Nürnberg, Dresden, arm an deko-
rirten Pforten alter Wohnhäuser; allein die Kaufinger- und Thea-
tinerstraße besitzen hievon einige Beispiele von Bedeutung.

Unsere moderne Wohnhausarchitektur, insbesondere die unserer
Zinshäuser, kennt unter dem Druck der Rente meist nichts mehr
von jener schmuckvollen poetischen Behandlung der Hauspforte.
Einfach und anspruchslos, um nicht zu sagen von gähnender Nüch-
ternheit, ist meist ihr Gewand; gleichgiltig geht der Hausbewohner
durch sie ein und aus, während sie zu anderen Zeiten, in sinnvoller
Weise geschmückt, den Blick jedes Passanten an sich zog und als
Zierde und Stolz des Hauses gefeiert wurde.

In der eben berührten Eigenschaft der Pforte als eines Organs
des geistigen Verkehrs zwischen Innen und Außen, als des deko-
rirten Rahmens, in welchem sich die Bedeutung des Inneren nach
Außen spiegelt, als des Vorspiels, welches den Eintretenden in
die gehörige Stimmung versetzen soll, liegt für sie der Keim zu
mächtiger selbständiger Entwicklung, die sie als bauliches Motiv,
auch losgelöst aus dem direkten Zusammenhang mit dem übrigen
Bauwerke, erhalten kann, wobei für Letzteres der Begriff des bau-
lich umschlossenen Raumes in den eines begrenzten Bezirkes sich
erweitert.

In solche Gestalt umgewandelt, treffen wir das Motiv der
Pforte z. B. bei der römischen Triumphpforte an, welche der
römische Bürger dem heimkehrenden Sieger zum feierlichen Einzug
in die von Dank und Verehrung für ihn erfüllte Stadt errichtete.

In solcher Gestalt streift die Pforte alle realen Zwecke ab
und wird zum verkörperten sichtbaren Ausdruck der Gefühle, welche
durch sie dem Eintretenden entgegengebracht werden sollen.

Ein ähnliches Beispiel bietet der Propyläenbau des griechischen
Tempels dar, durch welchen der Eintritt in den rings um den
Tempel gelegenen heiligen Bezirk ausgezeichnet, und in dem An-
dächtigen ein Vorgefühl der Gottesnähe entstehen sollte.

Unsere Friedhofs- und Parkportale verfolgen in ihrer archi-
tektonisch-dekorativen Erscheinung nicht minder eine ähnliche Tendenz.

Wir haben in der vorangehenden Betrachtung der baulich-
charakteristischen Momente der Hauspforte bis jetzt ein wichtiges
Moment unberührt gelassen, das mit jenen im innigsten Zusammen-
hang steht und nicht minder wie jene reichlichen Stoff zu Bemerk-
ungen darbictet.

Es ist dieß die technische Seite der Pforte, nämlich die
technische Herstellung des Thürrahmens und der Thürflügel, sowie
die technische Beschaffenheit der Vorrichtungen, welche das Oeffnen
und Schließen der Thüre bezwecken.

Bei der Fülle des auch hier sich darbietenden Stoffes werde
ich mich allein auf den historischen Theil beschränken.

Zu den frühesten Zeiten der Griechen und Römer war es
strenge Sitte, bei der Herstellung und Ausschmückung von Profan-
bauten das Maß des Einfachen und Nothwendigen nicht zu über-
schreiten, denn nur der Tempel durste aus werthvollen Materia-
lien hergestellt und mit allem Aufgebot künstlerischer Kraft aus-
gebildet werden. Heilige Scheu vor den Göttern wie Pietät vor
der überkommenen Sitte hielten lange Zeit diesen Unterschied auf-
recht, bis derselbe allmählig durch den Einfluß der orientalischen
Prachtliebe verloren ging. Insbesondere waren die Prätoren, die
aus den ihnen unterstellten Provinzen immense Reichthümer zogen,
der Neuerung, durch die sie ihren Besitz zur Geltung bringen und
damit prahlerisch auftreten konnten, sehr zugethan.

Dieser Vorgang zeigt sich denn auch in der technischen
wie künstlerischen Behandlung der Hauspforte.
 
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