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Das Primat der Wissenschaftlichkeit
Es bestand für ihn sicherlich kein Zweifel, daß seine Darlegungen auch für die Kunst
von Bedeutung waren531. Es ist hier nicht notwendig, der Frage nachzugehen, ob die
Autoren die einzelnen Phänomene richtig erfaßt und beschrieben haben. Was in die-
sem Zusammenhang interessiert, ist vielmehr der Argumentationsverlauf und der
Anspruch, der mit und in den Werken formuliert wurde. Danach hatte sich die Kunst
den Maßstäben einer anderen, ihr wesensfremden Disziplin, der Medizin, unter-
zuordnen. Soweit es die Autoren für nötig hielten, ihre Forderungen zu begründen,
verwiesen sie darauf, daß die bisher von der Kunst herangezogenen Hilfsmittel zur
Affektdarstellung nicht zum Erfolg geführt hätten. Besonders die Arbeit nach dem
Modell stand im Mittelpunkt ihrer Kritik, und dies nicht nur bezogen auf den
Bereich der expression des passions. Die Argumente ähneln dabei denjenigen, die auch
von den Kritikern einer akademischen Künstlerausbildung vorgebracht wurden532.
Der bis dahin geltenden Annahme der Künstler, es genüge, die äußeren »effets« der
Leidenschaften zu kennen, war damit jedenfalls widersprochen.
Neben den Medizinern, die sich im allgemeinen auf eine anatomisch-physiolo-
gische Betrachtung des Problems beschränkten, reklamierten aber auch die Philoso-
phen, die sich seit alters her mit dem menschlichen Gefühlsleben beschäftigten, des-
sen Untersuchung als ihre Aufgabe. So bezeichnete Diderot die Psychologie als
metaphysisch, als einen Teil der Philosophie,
». . . qui traite de l'ame humaine, qui en définit l'essence, et qui rend raison de ses opéra-
tions.«
(. . . der von der menschlichen Seele handelt, deren Wesen beschreibt und von ihrem
Wirken Rechenschaft ablegt.)533
Und entsprechend ist es nach seiner Meinung auch der Philosoph, der die menschli-
chen Emotionen erfassen kann:
»Le philosophe comprend le sentiment qu'il rejette, avec la même étendue et la même
netteté qu'il entend celui qu'il adopte.«
(Der Philosoph versteht das.Gefühl, das er zurückweist, in demselben Maße und mit
derselben Klarheit, wie er dasjenige begreift, das er annimmt.)534
Der Enzyklopädist fuhr in seinem Artikel »Psychologie« fort:
531 Busch, op. cit. (Anm. 411), S. 174, vermutet einen direkten Austausch zwischen Parsons und dem
mit ihm befreundeten Hogarth.
532 Sicherlich bezog die anti-akademische Kritik Argumente aus dieser Diskussion, ohne indes die
weitergehenden Ansprüche zu teilen.
533 Encyclopédie, op. cit. (Anm. 394), Bd. 13 (1765), S. 543, Stichwort »Psychologie (métaphysique)«,
siehe auch Diderot, op.cit. (Anm. 205), Bd. 16, S. 464.
534 Encyclopédie, op.cit. (Anm. 394), Bd. 12, S. 510, Stichwort »Philosophe«, siehe auch Diderot,
op. cit. (Anm. 205), Bd. 16, S. 275.
Das Primat der Wissenschaftlichkeit
Es bestand für ihn sicherlich kein Zweifel, daß seine Darlegungen auch für die Kunst
von Bedeutung waren531. Es ist hier nicht notwendig, der Frage nachzugehen, ob die
Autoren die einzelnen Phänomene richtig erfaßt und beschrieben haben. Was in die-
sem Zusammenhang interessiert, ist vielmehr der Argumentationsverlauf und der
Anspruch, der mit und in den Werken formuliert wurde. Danach hatte sich die Kunst
den Maßstäben einer anderen, ihr wesensfremden Disziplin, der Medizin, unter-
zuordnen. Soweit es die Autoren für nötig hielten, ihre Forderungen zu begründen,
verwiesen sie darauf, daß die bisher von der Kunst herangezogenen Hilfsmittel zur
Affektdarstellung nicht zum Erfolg geführt hätten. Besonders die Arbeit nach dem
Modell stand im Mittelpunkt ihrer Kritik, und dies nicht nur bezogen auf den
Bereich der expression des passions. Die Argumente ähneln dabei denjenigen, die auch
von den Kritikern einer akademischen Künstlerausbildung vorgebracht wurden532.
Der bis dahin geltenden Annahme der Künstler, es genüge, die äußeren »effets« der
Leidenschaften zu kennen, war damit jedenfalls widersprochen.
Neben den Medizinern, die sich im allgemeinen auf eine anatomisch-physiolo-
gische Betrachtung des Problems beschränkten, reklamierten aber auch die Philoso-
phen, die sich seit alters her mit dem menschlichen Gefühlsleben beschäftigten, des-
sen Untersuchung als ihre Aufgabe. So bezeichnete Diderot die Psychologie als
metaphysisch, als einen Teil der Philosophie,
». . . qui traite de l'ame humaine, qui en définit l'essence, et qui rend raison de ses opéra-
tions.«
(. . . der von der menschlichen Seele handelt, deren Wesen beschreibt und von ihrem
Wirken Rechenschaft ablegt.)533
Und entsprechend ist es nach seiner Meinung auch der Philosoph, der die menschli-
chen Emotionen erfassen kann:
»Le philosophe comprend le sentiment qu'il rejette, avec la même étendue et la même
netteté qu'il entend celui qu'il adopte.«
(Der Philosoph versteht das.Gefühl, das er zurückweist, in demselben Maße und mit
derselben Klarheit, wie er dasjenige begreift, das er annimmt.)534
Der Enzyklopädist fuhr in seinem Artikel »Psychologie« fort:
531 Busch, op. cit. (Anm. 411), S. 174, vermutet einen direkten Austausch zwischen Parsons und dem
mit ihm befreundeten Hogarth.
532 Sicherlich bezog die anti-akademische Kritik Argumente aus dieser Diskussion, ohne indes die
weitergehenden Ansprüche zu teilen.
533 Encyclopédie, op. cit. (Anm. 394), Bd. 13 (1765), S. 543, Stichwort »Psychologie (métaphysique)«,
siehe auch Diderot, op.cit. (Anm. 205), Bd. 16, S. 464.
534 Encyclopédie, op.cit. (Anm. 394), Bd. 12, S. 510, Stichwort »Philosophe«, siehe auch Diderot,
op. cit. (Anm. 205), Bd. 16, S. 275.