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J. Neuwirth Stileinheit und Stilreinheit in ihren Beziehungen zur Denkmalpflege
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Stileinheit und Stilreinheit zweifellos nur mit Preis-
gebung alles Gotischen finden können. Ja, um sie in
unanfechtbarster Einwandfreiheit zurückzugewinnen,
würde wirkliche Konsequenz auch die feinen Diffe-
renzen der einzelnen Phasen jedes der beiden Stile
berücksichtigen müssen und die Auswüchse der
Verfalls- oder Übergangszeit gewiß nicht neben der
herben Frische und Strenge der Frühzeit dulden
dürfen. Was für die Beseitigungswürdigkeit der
Kunstformen des einen Stiles und all seiner Phasen
recht ist, wird bei überzeugten Puristen wohl auch
für jene jedes andern Stiles und seiner Abstufungen
billig bleiben müssen, wenn Einheit und Reinheit
wirklich ihr Ziel wären für Stätten, an denen sie
weder durch besondere Vorschrift noch durch die
Gepflogenheit selbst verlangt wurden. Uniformie-
rung mit Preisgebung unbestreitbarer Kunst-
werte und malerischer Reize, historischer
und ästhetischer Aufschlüsse in der Außen-
erscheinung und im Innern eines Baudenk-
males kann somit kaum ernstlich zum Schlag-
worte der Erhaltungsbestrebungen unserer
Denkmalpflege gemacht werden. Ja, sie wird
merkwürdigerweise in den Kreisen der Stilpuristen
gerade bei jenen Stilen, deren Formen als Beigaben
mittelalterlicher Gotteshäuser unzulässig sein sollen,
weniger streng gefordert. Wiederholt steht man z. B.
bei Barockkirchen, die in ihrem Baue und in ihrer
ganzen Ausstattung nicht selten eine künstlerische
Einheit von schätzenswertester Reinheit bilden, der
Vorlage gotisch stilisierter Glasmalereientwürfe, eines
die Gesamtwirkung bedenklich bedrohenden neuen
Orgelprojektes, dem Austausche einer stilgemäßen
Session durch Dutzendware eines Möbelhändlers, der
Preisgebung des ruhig und vornehm wirkenden groß-
plattigen Fußbodenbelages gegen die Kleinlichkeit
eines in Farbenunruhe sich verlierenden Zement-
plattenpflasters, das man vielleicht noch für Hausflur
und Küche ohne Widerspruch hinnimmt, einer die
fein abgewogene charakteristische Stimmung der
alten Farbenwerte rücksichtslos vernichtenden .Auf-
frischung“ oder Neuausmalung gegenüber. Selbst
bei jener der Klosterkirche zu Beuron, in der wohl
die Strenge der Ordensauffassung anklingen soll,
läßt sich kaum das den Beuroner Mönchen eigene,
wohl am besten in der bekannten Mauruskapelle zum
Ausdruck gekommene feine Empfinden für den Reiz
der Farbe auch nur annähernd wiedererkennen. Für
die Stileinheit und Stilreinheit der Renaissance- oder
Barockkirchen, besonders für die Erhaltung des
Barocken im möglichst unveränderten Milieu des
Barocken, verrückt sich augenscheinlich die Strenge
der Forderung in die Willkür persönlichen Beliebens,
bei deren Vergleiche allerdings der Glaube an die
Objektivität der Notwendigkeitserklärung hinsichtlich
des Purismus mittelalterlicher Formensprache be-
denklich ins Wanken kommen muß. Wo es sich
aber um Erhaltung eines wertvollen öffent-
lichen Gutes der Kirche oder des Staates
handelt — und an der eines Gotteshauses sind
gewiß beide interessiert — hat sich wohl unbe-
stritten der Geschmack eines einzelnen oder
einiger weniger nicht allein für kompetent
zu halten, sondern in wohlverstandenem
Streben nach Entlastung der pflichtgemäßen
Verantwortlichkeit Anschluß zu suchen an
jene Anschauungen, welche aus dem Ge-
dankenaustausche der berufensten Fach-
männer, aus oft langen, jede Einzelheit des
weitverzweigten Gebietes und die ver-
schiedensten Möglichkeiten der Lösung er-
örternden Beratungen und aus den einwand-
freiesten praktischen Durchführungen sich
als Leitsterne ergeben. Wo weder Vorschrift
noch Gepflogenheit einen solchen Anschluß keines-
wegs unmöglich machen, sollte man die Herbeiführung
desselben für um so naturgemäßer halten, als nicht
immer jene Persönlichkeiten, denen die Ent-
scheidung zufällt oder die sich zu derselben
berufen glauben, die erforderliche Sach-
kenntnis für die Abgrenzung des Zulässigen
besitzen und in einem oftmals sogar gutgemeinten
Eifer, nach Möglichkeit etwas Gutes und Beachtens-
wertes zu schaffen, dem vielleicht Beachtenswerteren
der Vorzeit wenigstens mit jener Pietät gegenüber-
stehen sollten, die sie für ihre Ersatzschöpfungen von
der Nachwelt erhoffen.
Aus vorstehenden Darlegungen dürfte sich wohl
die Überzeugung ergeben, daß die in großen
Kunstfragen überaus tolerante Kirche weder
durch eine besondere Vorschrift noch durch
fast zweitausendjährige Praxis jene Stilein-
heit und Stilreinheit des Kirchenbaues ver-
langte, an deren vollbegründete Notwendig-
keit wir heute glauben sollen. Ebensowenig
beabsichtigten die ersten Lobpreiser mittel-
alterlicher Größe ein Abdrängen ihrer An-
schauungen auf die Abwege künstlerischer
Unduldsamkeit. Die Denkmäler aller Stile und
Länder lassen in wirklich unabsehbarer Zahl
durch alle Jahrhunderte das oft zu reizen-
den Wirkungen gesteigerte Nebeneinander
stilverschiedener Einzelheiten verfolgen;
unter ihnen bestehen in hohen Ehren auch so
viele Kunstschätze unserer engeren Heimat,
für deren unveränderten Fortbestand die nicht aus-
J. Neuwirth Stileinheit und Stilreinheit in ihren Beziehungen zur Denkmalpflege
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Stileinheit und Stilreinheit zweifellos nur mit Preis-
gebung alles Gotischen finden können. Ja, um sie in
unanfechtbarster Einwandfreiheit zurückzugewinnen,
würde wirkliche Konsequenz auch die feinen Diffe-
renzen der einzelnen Phasen jedes der beiden Stile
berücksichtigen müssen und die Auswüchse der
Verfalls- oder Übergangszeit gewiß nicht neben der
herben Frische und Strenge der Frühzeit dulden
dürfen. Was für die Beseitigungswürdigkeit der
Kunstformen des einen Stiles und all seiner Phasen
recht ist, wird bei überzeugten Puristen wohl auch
für jene jedes andern Stiles und seiner Abstufungen
billig bleiben müssen, wenn Einheit und Reinheit
wirklich ihr Ziel wären für Stätten, an denen sie
weder durch besondere Vorschrift noch durch die
Gepflogenheit selbst verlangt wurden. Uniformie-
rung mit Preisgebung unbestreitbarer Kunst-
werte und malerischer Reize, historischer
und ästhetischer Aufschlüsse in der Außen-
erscheinung und im Innern eines Baudenk-
males kann somit kaum ernstlich zum Schlag-
worte der Erhaltungsbestrebungen unserer
Denkmalpflege gemacht werden. Ja, sie wird
merkwürdigerweise in den Kreisen der Stilpuristen
gerade bei jenen Stilen, deren Formen als Beigaben
mittelalterlicher Gotteshäuser unzulässig sein sollen,
weniger streng gefordert. Wiederholt steht man z. B.
bei Barockkirchen, die in ihrem Baue und in ihrer
ganzen Ausstattung nicht selten eine künstlerische
Einheit von schätzenswertester Reinheit bilden, der
Vorlage gotisch stilisierter Glasmalereientwürfe, eines
die Gesamtwirkung bedenklich bedrohenden neuen
Orgelprojektes, dem Austausche einer stilgemäßen
Session durch Dutzendware eines Möbelhändlers, der
Preisgebung des ruhig und vornehm wirkenden groß-
plattigen Fußbodenbelages gegen die Kleinlichkeit
eines in Farbenunruhe sich verlierenden Zement-
plattenpflasters, das man vielleicht noch für Hausflur
und Küche ohne Widerspruch hinnimmt, einer die
fein abgewogene charakteristische Stimmung der
alten Farbenwerte rücksichtslos vernichtenden .Auf-
frischung“ oder Neuausmalung gegenüber. Selbst
bei jener der Klosterkirche zu Beuron, in der wohl
die Strenge der Ordensauffassung anklingen soll,
läßt sich kaum das den Beuroner Mönchen eigene,
wohl am besten in der bekannten Mauruskapelle zum
Ausdruck gekommene feine Empfinden für den Reiz
der Farbe auch nur annähernd wiedererkennen. Für
die Stileinheit und Stilreinheit der Renaissance- oder
Barockkirchen, besonders für die Erhaltung des
Barocken im möglichst unveränderten Milieu des
Barocken, verrückt sich augenscheinlich die Strenge
der Forderung in die Willkür persönlichen Beliebens,
bei deren Vergleiche allerdings der Glaube an die
Objektivität der Notwendigkeitserklärung hinsichtlich
des Purismus mittelalterlicher Formensprache be-
denklich ins Wanken kommen muß. Wo es sich
aber um Erhaltung eines wertvollen öffent-
lichen Gutes der Kirche oder des Staates
handelt — und an der eines Gotteshauses sind
gewiß beide interessiert — hat sich wohl unbe-
stritten der Geschmack eines einzelnen oder
einiger weniger nicht allein für kompetent
zu halten, sondern in wohlverstandenem
Streben nach Entlastung der pflichtgemäßen
Verantwortlichkeit Anschluß zu suchen an
jene Anschauungen, welche aus dem Ge-
dankenaustausche der berufensten Fach-
männer, aus oft langen, jede Einzelheit des
weitverzweigten Gebietes und die ver-
schiedensten Möglichkeiten der Lösung er-
örternden Beratungen und aus den einwand-
freiesten praktischen Durchführungen sich
als Leitsterne ergeben. Wo weder Vorschrift
noch Gepflogenheit einen solchen Anschluß keines-
wegs unmöglich machen, sollte man die Herbeiführung
desselben für um so naturgemäßer halten, als nicht
immer jene Persönlichkeiten, denen die Ent-
scheidung zufällt oder die sich zu derselben
berufen glauben, die erforderliche Sach-
kenntnis für die Abgrenzung des Zulässigen
besitzen und in einem oftmals sogar gutgemeinten
Eifer, nach Möglichkeit etwas Gutes und Beachtens-
wertes zu schaffen, dem vielleicht Beachtenswerteren
der Vorzeit wenigstens mit jener Pietät gegenüber-
stehen sollten, die sie für ihre Ersatzschöpfungen von
der Nachwelt erhoffen.
Aus vorstehenden Darlegungen dürfte sich wohl
die Überzeugung ergeben, daß die in großen
Kunstfragen überaus tolerante Kirche weder
durch eine besondere Vorschrift noch durch
fast zweitausendjährige Praxis jene Stilein-
heit und Stilreinheit des Kirchenbaues ver-
langte, an deren vollbegründete Notwendig-
keit wir heute glauben sollen. Ebensowenig
beabsichtigten die ersten Lobpreiser mittel-
alterlicher Größe ein Abdrängen ihrer An-
schauungen auf die Abwege künstlerischer
Unduldsamkeit. Die Denkmäler aller Stile und
Länder lassen in wirklich unabsehbarer Zahl
durch alle Jahrhunderte das oft zu reizen-
den Wirkungen gesteigerte Nebeneinander
stilverschiedener Einzelheiten verfolgen;
unter ihnen bestehen in hohen Ehren auch so
viele Kunstschätze unserer engeren Heimat,
für deren unveränderten Fortbestand die nicht aus-