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J. Neuwirth Stileinheit und Stilreinheit in ihren Beziehungen zur Denkmalpflege
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gestorbenen Gelüste nach Stileinheit und Stilreinheit
eine ernste Gefahr waren oder noch werden können.
Sie ist nur zu bekämpfen durch die umsichtigste
Wachsamkeit, welche mit zielbewußter Aufklärung
der zunächst interessierten Kreise und mit anregend-
ster Belehrung breiter, namentlich zur Schätzung
vaterländischer Kunst und Eigenart erzogener Volks-
schichten den Sinn für die Erhaltungswürdigkeit des
geschichtlich Gewordenen in wirkliche befriedigende
Taten einer jede künstlerische Erscheinungsform mög-
lichst schonenden Denkmalpflege umzusetzen versteht.
Wenn die moderne Denkmalpflege mit größtem
Nachdrucke die für die Erhaltung des Kunstgutes so
gefährliche Stileinheit und Stilreinheit ablehnt, dann
wird wohl die von manchem zu erwartende Frage
beantwortet werden müssen, was denn die Denk-
malpflege als ihr Ziel betrachte, wenn sie
die eben genannten Begriffe, an denen sie
doch nicht achtlos Vorbeigehen könne, in
ganz bestimmten Fällen als ihre Gegner ab-
zuweisen hat. Vielleicht darf diese Antwort dahin
formuliert werden, daß es sich bei der Er halt ung
eines Baudenkmales und seiner Zutaten
durchaus nicht um die Zurückgewinnung
einer in der Zuverlässigkeit der Einzelheiten
oft sehr anfechtbaren und fragwürdigen Stil-
einheit und Stilreinheit, als vielmehr um die
möglichst unveränderte Belassung des künst-
lerischen Gesamteindruckes mit pietätvoll-
ster Schonung aller Alters- und Stimmungs-
werte handle. Denn die Meister, welche die Um-
änderungen oder Zugaben späterer Zeiten ausführten,
haben es in der Regel verstanden, an Stelle der
geopferten älteren stilistischen Einheit eine
andere künstlerische Einheit zu setzen. Mit
richtiger Empfindung für die Notwendigkeit dessen,
was die Gesamtwirkung bei Ein- und Angliederung
des Neuen forderte, erkannten sie die Schönheit
des Ganzen nicht in der starren Aufrecht-
erhaltung der stilistischen Einheit, sondern
fanden eine neue Formulierung des Schönheits-
anspruches darin, daß jede Zutat im Material,
in der Größe, in Umrissen und Farbe zu dem
Vorhandenen passe, mit ihm zu einer künst-
lerischen Einheit, die nicht mehr an Stil-
reinheit gebunden erscheint, wirkungsvoll
zusammenstimme. An Stelle des alten Wertes
wurde ein neuer, den Zeitanschauungen mehr ge-
läufiger gesetzt und offenbar dankbar hingenommen;
denn man gewöhnte sich allmählich daran, diese
Mannigfaltigkeit der Stilarten als einen besonderen
Reiz, als eine Schönheit zu empfinden, die man nicht
mehr missen, geschweige denn der Vernichtung preis-
geben wollte. Was heute einzelnen als Einbuße der
Stileinheit und Stilreinheit des ursprünglichen Zu-
standes erscheint, wurde in den Tagen der Umände-
rungen und Zutaten gewiß nicht als solche, sondern
als ein vollwertiger künstlerischer Ersatz, der sich
an einen bestimmten Architekturrahmen, in gegebene
Raumverhältnisse oder festgelegte Platzmöglich-
keiten in der Formensprache jener Zeit zwecksicher
und ausdrucksvoll anzupassen verstand, mit voller
Freude ob der gelungenen Lösung empfunden und
hingenommen. Bei der Gleichwertigkeit aller
geschichtlichen Richtungen für die Erhal-
tungspflicht des Denkmalschutzes hat ein
Denkmal, an dessen Gestaltung die ver-
schiedensten Stile Anteil nahmen, berech-
tigten Anspruch auf möglichste Erhaltung
aller seiner Teile, solange gegen die Belas-
sungiirgendeines derselben nicht tatsächlich
unwiderlegliche Bedenken bestehen. Letztere
können bei einem Gotteshause nur auf die An-
stoß erregende Kultunwürdigkeit oder den
zu begründeten Besorgnissen Veranlassung
gebenden Erhaltungszustand, dessen offen-
kundige Mängel eine weitere sachgemäße
Benutzung tatsächlich ausschließen oder
unliebsame Zwischenfälle, beziehungsweise
öffentliches Ärgernis als möglich erscheinen
lassen, sich beschränken. Ist die eine oder der
andere in unanfechtbarer Weise sichergestellt, die
Entfernungsnotwendigkeit nicht Sache eines
rein persönlichen Wunsches, sondern tat-
sächlich Bedürfnis, dann wird auch eine ein-
sichtsvolle Denkmalpflege, die Billigkeitsrücksichten
nicht von der Hand weisen darf, gegen wirklich
unvermeidbare Auswechslungen keinen weiteren Ein-
spruch erheben. Denn wo das Objekt Gegenstand
lebendigen Gebrauches bleibt, muß es für
letzteren ohne jedes Bedenken verwendbar
sein. Aber wenn die Denkmalpflege, bis an die
äußersten Grenzen der Erhaltungsmöglichkeit und
der Wahrung des künstlerischen Gesamteindruckes
gehend, in bestimmten Fällen gerade aus Erhaltungs-
rücksichten für das Ganze selbst einen Teil opfern
muß, so wird sie bei der Beschaffung seines Ersatzes
die Forderung der Stilreinheit und Stileinheit, so
naturgemäß sie immerhin erscheinen mag, kaum an
die Spitze stellen. Denn ihr Verhalten ist eigent-
lich durch das Vorgehen bei früheren Aus-
wechslungs- oder Veränderungsaktionen, die
gewiß nicht nur durch den Geschmacks-
wandel, sondern auch durch tatsächliche
Bedürfnisse bestimmt waren, schon vorge-
zeichnet. Die früheren Stilarten bemühten
J. Neuwirth Stileinheit und Stilreinheit in ihren Beziehungen zur Denkmalpflege
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gestorbenen Gelüste nach Stileinheit und Stilreinheit
eine ernste Gefahr waren oder noch werden können.
Sie ist nur zu bekämpfen durch die umsichtigste
Wachsamkeit, welche mit zielbewußter Aufklärung
der zunächst interessierten Kreise und mit anregend-
ster Belehrung breiter, namentlich zur Schätzung
vaterländischer Kunst und Eigenart erzogener Volks-
schichten den Sinn für die Erhaltungswürdigkeit des
geschichtlich Gewordenen in wirkliche befriedigende
Taten einer jede künstlerische Erscheinungsform mög-
lichst schonenden Denkmalpflege umzusetzen versteht.
Wenn die moderne Denkmalpflege mit größtem
Nachdrucke die für die Erhaltung des Kunstgutes so
gefährliche Stileinheit und Stilreinheit ablehnt, dann
wird wohl die von manchem zu erwartende Frage
beantwortet werden müssen, was denn die Denk-
malpflege als ihr Ziel betrachte, wenn sie
die eben genannten Begriffe, an denen sie
doch nicht achtlos Vorbeigehen könne, in
ganz bestimmten Fällen als ihre Gegner ab-
zuweisen hat. Vielleicht darf diese Antwort dahin
formuliert werden, daß es sich bei der Er halt ung
eines Baudenkmales und seiner Zutaten
durchaus nicht um die Zurückgewinnung
einer in der Zuverlässigkeit der Einzelheiten
oft sehr anfechtbaren und fragwürdigen Stil-
einheit und Stilreinheit, als vielmehr um die
möglichst unveränderte Belassung des künst-
lerischen Gesamteindruckes mit pietätvoll-
ster Schonung aller Alters- und Stimmungs-
werte handle. Denn die Meister, welche die Um-
änderungen oder Zugaben späterer Zeiten ausführten,
haben es in der Regel verstanden, an Stelle der
geopferten älteren stilistischen Einheit eine
andere künstlerische Einheit zu setzen. Mit
richtiger Empfindung für die Notwendigkeit dessen,
was die Gesamtwirkung bei Ein- und Angliederung
des Neuen forderte, erkannten sie die Schönheit
des Ganzen nicht in der starren Aufrecht-
erhaltung der stilistischen Einheit, sondern
fanden eine neue Formulierung des Schönheits-
anspruches darin, daß jede Zutat im Material,
in der Größe, in Umrissen und Farbe zu dem
Vorhandenen passe, mit ihm zu einer künst-
lerischen Einheit, die nicht mehr an Stil-
reinheit gebunden erscheint, wirkungsvoll
zusammenstimme. An Stelle des alten Wertes
wurde ein neuer, den Zeitanschauungen mehr ge-
läufiger gesetzt und offenbar dankbar hingenommen;
denn man gewöhnte sich allmählich daran, diese
Mannigfaltigkeit der Stilarten als einen besonderen
Reiz, als eine Schönheit zu empfinden, die man nicht
mehr missen, geschweige denn der Vernichtung preis-
geben wollte. Was heute einzelnen als Einbuße der
Stileinheit und Stilreinheit des ursprünglichen Zu-
standes erscheint, wurde in den Tagen der Umände-
rungen und Zutaten gewiß nicht als solche, sondern
als ein vollwertiger künstlerischer Ersatz, der sich
an einen bestimmten Architekturrahmen, in gegebene
Raumverhältnisse oder festgelegte Platzmöglich-
keiten in der Formensprache jener Zeit zwecksicher
und ausdrucksvoll anzupassen verstand, mit voller
Freude ob der gelungenen Lösung empfunden und
hingenommen. Bei der Gleichwertigkeit aller
geschichtlichen Richtungen für die Erhal-
tungspflicht des Denkmalschutzes hat ein
Denkmal, an dessen Gestaltung die ver-
schiedensten Stile Anteil nahmen, berech-
tigten Anspruch auf möglichste Erhaltung
aller seiner Teile, solange gegen die Belas-
sungiirgendeines derselben nicht tatsächlich
unwiderlegliche Bedenken bestehen. Letztere
können bei einem Gotteshause nur auf die An-
stoß erregende Kultunwürdigkeit oder den
zu begründeten Besorgnissen Veranlassung
gebenden Erhaltungszustand, dessen offen-
kundige Mängel eine weitere sachgemäße
Benutzung tatsächlich ausschließen oder
unliebsame Zwischenfälle, beziehungsweise
öffentliches Ärgernis als möglich erscheinen
lassen, sich beschränken. Ist die eine oder der
andere in unanfechtbarer Weise sichergestellt, die
Entfernungsnotwendigkeit nicht Sache eines
rein persönlichen Wunsches, sondern tat-
sächlich Bedürfnis, dann wird auch eine ein-
sichtsvolle Denkmalpflege, die Billigkeitsrücksichten
nicht von der Hand weisen darf, gegen wirklich
unvermeidbare Auswechslungen keinen weiteren Ein-
spruch erheben. Denn wo das Objekt Gegenstand
lebendigen Gebrauches bleibt, muß es für
letzteren ohne jedes Bedenken verwendbar
sein. Aber wenn die Denkmalpflege, bis an die
äußersten Grenzen der Erhaltungsmöglichkeit und
der Wahrung des künstlerischen Gesamteindruckes
gehend, in bestimmten Fällen gerade aus Erhaltungs-
rücksichten für das Ganze selbst einen Teil opfern
muß, so wird sie bei der Beschaffung seines Ersatzes
die Forderung der Stilreinheit und Stileinheit, so
naturgemäß sie immerhin erscheinen mag, kaum an
die Spitze stellen. Denn ihr Verhalten ist eigent-
lich durch das Vorgehen bei früheren Aus-
wechslungs- oder Veränderungsaktionen, die
gewiß nicht nur durch den Geschmacks-
wandel, sondern auch durch tatsächliche
Bedürfnisse bestimmt waren, schon vorge-
zeichnet. Die früheren Stilarten bemühten