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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 30.1931

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Heft 1
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Basler, Adolphe: Retrospektive Ausstellungen in Paris
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Eckstein, Hans: Münchner Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7612#0042

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Dem Mann, dem keine intellektuelle Neugier tremd ist,
dem hartnäckigen Sucher, dem gelehrten Theoretiker (denn
diese Elemente treffen in Matisse zusammen) blieb es den-
noch versagt, eine Kunst hervorzubringen, die diesem Auf-
wand entspricht. Seiner überragenden Stellung als Lehrer ver-
dankt er seine Berühmtheit; und doch hat er nicht die Hand
des großen Meisters. Sein korrekter und genauer Strich, seine
wunderbar geschmeidigen Konturen überzeugen nicht, es
fehlt ihnen die Vornehmheit und das Spontane. Seine De-
formationen sind lange studiert und überlegt, ohne daß der
Reflex oder gar das Hervorsprudeln von Geist oder Instinkt
darin offenbar wird.

Aber so armselig, im Grunde genommen, Matisse als
Zeichner ist, so entfaltet er als Maler eine Pracht, die blen-
den kann. Wenn der Plastiker sich abmüht und berechnet,
kann der Kolorist von hervorragender Begabung, von äußerst
empfindlichem Blick, sein Brio aufflammen lassen. Ein
sicheres Können, ein vollendeter Geschmack gestatten ihm,

seine Farben ohne eine falsche Note in den reichsten Tö-
nungen zu orchestrieren.

Matisse sieht in einem Bilde nur das reizende Schillern
einer farbigen Oberfläche, den reichen orientalischen, zur
Augenweide bestimmten Teppich. Der StafFeleimaler ist hier
zugleich Dekorateur, der sich an seiner eigenen Phantasie
berauscht. Dieser Zauberer umkleidet das Reale mit dem
ganzen Nimbus seiner magischen Palette. Die Sonne des
mittelländischen Meeres flutet in jene „Interieurs", deren
glückselige Üppigkeit an die Trilogie eines Baudelaire er-
innert: Luxus, Ruhe und Wollust.

Die Geschöpfe, die in dieser Umgebung vor sich hin
träumen, atmen, wie Blumen, eine Art pflanzenhaften Glücks.
Es ist die Malerei einer künstlichen Atmosphäre, in der der
Geist, so lange der Zauber eines köstlichen, edelstein-
funkelnden Kolorits seine berauschende Wirkung ausübt,
dem feinen Spiel, dem geschmeidigen Rhythmus einer viel-
deutigen Arabeske verfällt.

UNSTAUSSTELLUNGEN

MÜNCHNER
AUSSTELLUNGEN

Der Neubau des Studiengebäudes des
Deutschen Museums, der in diesem Som-
mer im Rohbau fertiggestellt wurde, hat
die Ersatzausstellung für die durch den
Glaspalastbrand vernichtete Jahresschau aufgenommen. Sämt-
liche Münchner Künstlerverbände von der Künstlergenossen-
schaft bis zur Neuen Secession und den Juryfreien sind
vertreten. Die geretteten Werke, auch die aus dem Brand-
schutt geborgenen Bronzen, die durch die im Feuer empfangene
Patina teilweise besondere Reize erhalten haben, sind mit
ausgestellt. Man wird an diese eilig geschaffene Ausstellung
nicht allzu strenge Maßstäbe anlegen wollen und auch nicht
tadeln können, daß nicht von neuem auswärtige Gäste ge-
laden wurden. Was von Werken der Gäsre aus dem Brand
gerettet wurde, ist vollzählig versammelt und vereinzelte
Bilder auswärtiger Künstler, die sich bei der alten Secession
neu darunter mischen wie zum Beispiel ein schönes Garten-
bild von Liebermann, ein Bauernbildnis von Faistauer, Ko-
koschkas Leninporträt begrüßt man um so freudiger.

Bei den Juryfreien hängt eine Parklandschaft mit dem
Nymphenburger Schloß von dem Arbeirermaler Karl Seidl,
der den Berufskünstlern gewiß im Hinblick auf die Dar-
stellungsmittel unterlegen ist; doch hat dieser alte Eisen-
dreher, der vor vier Jahren — als Fünfziger — zum ersten-
mal in seinen Feierstunden Pinsel und Farben in die Hand
nahm, vor den meisten, den Jungen zumal, die Bestimmt-
heit und Kraft der Antriebe voraus. Auch Scharls Über-
legenheit liegt in der Sicherheit und Unmittelbarkeit des
Zugriffs; er hat allerdings in seinem neuen gesellschafts-
kritischen Bilde nicht mehr die Höhe des vor vier Jahren
entstandenen „Panoptikunis" erreicht, obwohl er jetzt die
Darstellungsmittel viel besser beherrscht als damals, was auch
seine neueren Versuche in der Landschaftsmalerei zeigen.

Die neue Secession, deren Sommerausstellung von dem
Brandunglück nicht betroffen wurde, zeigt umfangreichere
Kollektionen von Dix und Schlemmer, die beide zum ersten-
mal in München gezeigt werden. Da bei Dix die Motive
nicht mehr allzu erregend sind, wird man den Fall mit etwas
mehr Ruhe diskutieren können. Seine Kleinmalerei hatte
gewiß früher hin und wieder eine Intensität, die zu Er-
wartungen berechtigte. Aber man wird kaum behaupten
können, daß er sich inzwischen selbst übertroffen habe. Einige
der ausgestellten Bilder dürften ein Stockwerk tiefer hängen,
zwischen die Bilder der Künstlergenossenschaft verstreut —
sie erwiesen wohl ihre Überlegenheit über ihre Nachbarn,
paßten sich aber den Irrtümern, die dort über Wesen und
Aufgabe der Kunst herrschen, gar nicht übel an. Ob man's
auf sächsisch oder münchnerisch macht, ob man sich die
Requisiten aus der antiken Mythologie oder aus den prole-
tarischen Höhlen zusammensucht, ob man die Gartenlaube
im Herrschaftspark oder im Schrebergarten erblühen läßt,
ist nur eine Geschmacksfrage, die die Frage der künstleri-
schen Qualität nicht berührt. Dieser aber ist die gesteigerte
Absichtlichkeit der technischen Ausführung, die kolportage-
hafte Aufmachung keineswegs günstig. Auf keinen Fall wäre
trotz der aktuellen Motive Dix ein Gegenbeweis der Be-
hauptung, daß die „Kunst außerhalb von heute steht". —
Unter den Gästen trifft man außerdem Ahlers-Hestermann,
wie immer sehr kultivierr, diesmal sich der Art von Xaver
Fuhr zuwendend, Amiet, Ernst Fritsch, Otto Herbig, der in
der Ölmalerei sich selten von seiner besten Seite zeigt, Max
Kaus mit einem wie ein bunter Theaterprospekt wirkenden
Straßenbild und einer sehr schönen „Frau mit Katze", Kersch-
baumer, Gerhard Mareks, E. W. Nay, Radziwill. Unter den
Münchnern wären hervorzuheben Caspar mit dem Bild Johannis-
feuer, dessen fein ausgewogener koloristischer Gehalt um
vieles überzeugender wirkt als seine auch diesmal wiederver-
tretenen religiösen Darstellungen, weiter Oskar Coester, der
in den Themen immer phantasievoll und in der farbigen

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