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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 30.1931

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Heft 2
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Behrendt, Walter Curt: Le Corbusier
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https://doi.org/10.11588/diglit.7612#0064

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angepaßt." Sein Lebenswerk ist der Aufgabe ge-
widmet, für diese Anpassung der Kunst an die
veränderte Umwelt zu wirken.

Corbusiers Formel ist von treffsicherer Schlag-
kraft. Man kann einen komplexen Zustand begriff-
lich kaum knapper zusammenfassen und präziser
ausdeuten. Der Wandel unserer Umwelt ist in die-
ser knappen Formel in seinen Ursachen so gut
wie in seinen Wirkungen umschrieben. Sie kenn-
zeichnet den Wandel der Wirtschaftsform, die da-
durch bedingten Strukturveränderungen des sozialen
Gefüges, sie deutet auf den Wandel des Wohn-
anspruchs und erhellt zugleich den Gestaltwandel
des baulichen Organismus: die Strukturverände-
rungen des Gefüges, den Wandel der Arbeitsweise,
den Übergang zu industriellen und maschinellen
Techniken, die Herrschaft des Standards und der
standardisierten Bauelemente. Mit der Schlagkraft
ihrer Präzisierung hat Corbusiers Formel eine nach-
haltige Wirkung geübt und mit ihrer Aggresivität
nicht wenig zur Bewußtseinserhellung und zur
Auflockerung des modernen Baugeistes beigetragen.
Sie hat ebenso auch zu groben Mißdeutungen
Anlaß gegeben. Das mag mit ein Grund dafür
sein, daß Corbusier sie später widerrufen hat. Er
korrigiert sich selbst und kritisiert zugleich seine
Nachahmer, wenn er es als ein eitles Beginnen
bezeichnet, „ein System zu formulieren, das das
Herz zu überwinden versucht, das sein Gleichge-
wicht nicht an der menschlichen Seele mißt". „Wo
beginnt die Architektur?" fragt er, und seine Ant-
wort lautet: „Sie beginnt dort, wo die Maschine
aufhört." Corbusier ist Künstler, und darum ist
er selbst der geistreichen, aber kunstfeindlichen
Formel, die er in die Welt gesetzt hat, niemals ge-
folgt. Er hat sie mit seinen architektonischen Schöp-
fungen von Werk zu Werk widerlegt. Keines der
Häuser, das er gebaut hat, ist als reine Form des
Gebrauchs zu werten, weder im Gestaltbegriff der
Maschine, noch in der objektiven Erfüllung des
Wohnzwecks; aber jedes dieser Häuser ist ein höchst
persönliches, sehr phantasievolles und von stärkstem
Ausdrucksgehalt erfülltes Kunstwerk.

Der Architekt Corbusier ist die Verwandlung des
Malers Jeanneret. Auch in dieser Gestalt bewahrt
er seine glühende Verehrung für die moderne Ma-
lerei, von der er behauptet, daß sie heute allen
anderen Künsten vorausgeschritten sei, weil sie zu-

erst, und zwar mit dem Kubismus, den völligen
Kontakt mit ihrer Umwelt erreicht habe. Und er
folgt dem kubistischen Programm, wenn er als
Architekt den Stil in der Baukunst sucht. In der
ersten Nummer des „Esprit nouveau", der füh-
renden Zeitschrift des französischen Kubismus, be-
ginnt er jene Folge von Aufsätzen, die später zu-
sammengefaßt unter dem Titel „Vers une Architec-
ture" als Buch erschienen sind. Er eröffnet seine
kritischen Untersuchungen mit einem Angriff auf
das Stilproblem der Baukunst und spricht im Sinne
der kubistischen Lehre zuerst von den Urelemen-
ten, in die sich jede plastische Form zerlegen läßt.
Wir finden eine Tafel mit den Abbildungen der
einfachsten geometrischen Figuren und Körper, in
denen jene Urelemente vorgestellt werden. Und wir
lesen dazu die Erklärung, daß die „Baukunst auch
in ihrem Bereich wieder zum Ausgangspunkt zu-
rückkehren und sich jener Elemente bedienen muß,
die befähigt sind, auf unsere Sinne zu wirken und
die Wünsche unserer Augen zu erfüllen... Diese
Elemente sind Elemente bildenden Gestaltens, Form-
elemente, die unser Auge in Klarheit sieht, die unser
Geist mißt. Diese Formen, primär oder verfeinert,
voll Zartheit oder voll brutaler Kraft (Kugel, Wür-
fel, Zylinder, Wagerechte, Senkrechte, Schräge
usw.) wirken physiologisch auf unsere Sinne und
ziehen sie in ihre Bewegung mit hinein".

Von der Stilidee geht die Kunst Corbusiers aus.
Und diese Idee beruft sich zu ihrer Rechtfertigung
und Begründung auf den neuen Geist, auf den
Geist der Konstruktion und Synthese, wie er in
den Werken der Ingenieure und in der allgemei-
nen Produktion dieser Zeit lebendig ist. Die moto-
rischen Kräfte der Zeit sind es, die ihren Stil be-
stimmen. Corbusier sieht sie in der Technik, und
ihm blieb es vorbehalten, die Stilidee des Kubismus
in der Maschine zu entdecken. Der Technik ent-
nimmt er die Elemente seines Stils. Die standardi-
sierten Bauelemente der modernen Konstruktion
macht er zu Urelementen seiner plastischen Form.
Und die künstlerische Freiheit, die ihm der kon-
struktive Fortschritt gewährt, benutzt er zur Reali-
sierung seiner kubistischen Architekturvisionen.

*

Man hat von den Bauten Corbusiers gesagt, sie
seien lyrische Gedichte aus Glas und Eisen. Seine
Häuser scheinen jeder Erdenschwere enthoben.
Luftkuben durchdringen ihr allseitig aufgelockertes

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