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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 30.1931

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Heft 3
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Göpel, Erhard: Nationale und internationale Werte des Graphikmarktes
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https://doi.org/10.11588/diglit.7612#0118

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(Edinburgh 60 £, Loch Lomond 52 £), Birket Foster (Sommer-
zeit 78 £), aber auch für uns gänzlich unbekannte Namen
hohe Preise gezahlt werden. Es zeigt sich somit, daß inner-
halb Englands die aus nationalen Gründen geschätzte Kunst
in einer Krisenzeit am sichersten ihren Markt behält.

Auf dem Gebiete der Handzeichnungen arbeitet den
fallenden Preisen eine immer stärker werdende Vorliebe der
Sammler für dieses Gebiet entgegen. Im Mai hatte es in
London den Preis von 31 000 Mark für eine feine Watteau-
skizze gegeben, dem auf der Versteigerung vom 10. Juni
erstaunlich niedrige Preise folgten, Preise, die weit unter
den Bewertungen der deutschen Herbstversteigerungen lagen
und vielleicht einen absoluten Tiefpunkt bezeichnen (Ostade,
Raucher 30 Mark, Savery, Reiter 50 Mark, etwas besser be-
zahlt: Ingres nach Holbein 165 £, Tiepolö, Juno 58 £). Am
5. Juli kam eine gute Rembrandtzeichnung — sechs stehende
Figuren — vor, die für 75 £ nach Amsterdam ging. Es muß
für die Lage des englischen Marktes als charakteristisch
angesehen werden, daß die beiden teuersten genannten
Stücke, der Watteau nach Frankreich und der Hercules
Seghers an einen holländischen Rembrandtsammler weiter-
ging, ihre hohe Bewertung also aus anderen als nationalen
Quellen heraus zu verstehen ist.

Daß der französische Markt die nationalen Werte des
achtzehnten Jahrhunderts am besten hält, hatte schon der
Verkauf der französischen Zeichnungen aus Rußland bei
Boerner im Mai deutlich gemacht; die Beschränkung auf
diesen Kreis bewies das Nichterscheinen der Pariser Händler
zu den deutschen Herbstversteigerungen.

In Dänemark gab die Gemäldesammlung Moltke ein Bei-
spiel dafür, daß auch lange im Lande befindliche Kunst-
werke die Kaufwilligkeit eines Volkes aus nationalen Grün-
den hervorrufen können. Die gleichzeitig in Kopenhagen
stattfindenden Versteigerungen alter Graphik hatten einen
ähnlichen Erfolg, namentlich für die schönen Rcmbrandt-
radierungen (Clement de Jonge, I. Zustand 2700 Kronen, Tri-
umph des Mardochai 2450 Kronen, Kreuzabnahme bei Fackel-
schein 5900 Kronen, die Häuser am Kanal (B. 228) 2000 Kro-
nen, Der Prediger Anslo 2100 Kronen).

Den stärksten Einfluß auf die Bewertung seiner eigenen Kunst
unter den kleinen Ländern übt Holland aus. Belgien hat zwar
einen guten inneren Markt für seine neue und neueste Graphik,
kommt aber für seine großen Meister des siebzehnten Jahr-
hunderts nur selten als ernsthafter Mitbewerber in Betracht.
Die hohe Bewertung der holländischen Graphik und Hand-
zeichnung ist einer kleinen Gruppe begeisterter Kunstfreunde
in Holland zu danken, die auf den deutschen Herbstver-
steigerungen eine große Rolle spielten. In Deutschland traf
die holländische Gruppe auf einen wahrscheinlich nicht er-
warteten Wettbewerb, nämlich auf eine deutliche Investie-
rungswelle, die, wenn auch nicht in den Ausmaßen der Infla-
tionszeit, eine Belebung des deutschen Marktes herbeiführte.
Da diese Anlage auf Sicherheit zielt, akzentuiert sie die
ausländischen Werte. Aus dem Zusammentreffen einer
deutschen Investierungswelle, der holländischen Stützung
nationaler Kunst und der allgemeinen Schätzung des Namens
Hofstede de Groot erklärt sich der große Erfolg der Ver-
steigerung von dessen nachgelassenen Zeichnungen bei
C. G. Boerner. Das Gesamtergebnis von etwa 160000 Mark
blieb nur etwas hinter derTaxe zurück und enthielt Preise von
10500 Mark für Rembrandts Zeichnung der Witwer, von
6000 Mark für die Dorflandschaft von Cuyp (beide nach
Kopenhagen [I]), von 3000 Mark für den Finkenfang des
Buyteweeh (Museum Rotterdam) und von 4600 Mark für die
Ansicht von Doomer, Amsterdam (an Mensing), die meisten
und die besten Stücke gingen nach Holland.

Die Betonung der nationalen Werte in England (Amerika),
Frankreich, Holland — oder der im eigenen Lande auf den
Markt kommenden Werte wie in Dänemark — hatte die
großen deutschen Versteigerungshäuser zu vorsichtig schmalen
Katalogen alter deutscher Graphik veranlaßt. Soweit über-
haupt verkauft wurde, erwarben die besten Stücke zu
mäßigen Preisen die deutsche Schweiz — Händler und

Sammler. Daß sich der englische Handel auf diesem Ge-
biete zurückhielt, erscheint nach der oben geschilderten Lage
in England nicht mehr verwunderlich, obwohl die alte
deutsche Graphik ihre hohe allgemeine Wertung dem ver-
wandten angelsächsischen Geschmack dankt. In die Schweiz
ging die Hirschvogellandschaft für 2200 Mark, die Land-
schaft mit der Kapelle von Lautensack für 580 Mark, Rem-
brandts Landschaft mit dem Turm für 2500 Mark und Christus
den Jüngern erscheinend für 3200 Mark, Schongauers Geiße-
lung für 2900 Mark und die Darstellung Christi für 4100 Mark.

Da das Ausland bei dem Verkauf der Sammlung Carl
Sachs-Breslau durch C. G. Boerner für dessen neuere aus-
ländische Graphik nur über die Schweizer Händler in Wett-
bewerb trat, wurde die Wertung stärker durch den deutschen
Geschmack bestimmt als zu anderer Zeit. So blieben die
englischen Radierer und französische Verlegergraphik wie
Legrand niedrig bewertet. Forain ging, bis zu 1000 Mark
bezahlt, nach Prag, Zorn wurde ebenfalls preismäßig abge-
lehnt, Daumier nur in fesselnden Darstellungen gut bezahlt,
Münch, wenn auch nicht allzuhoch bewertet, so doch heftig
umstritten (Selbstbildnis 510 Mark), Whistler auch in seinen
unbekannteren Stücken aufgenommen („Linie Venice" 2600
Mark), Toulouse-Lautrec entsprechend seinem künstlerischen
Rang in dauerndem Wettbewerb hoch eingeschätzt („Gelbe
Kutsche" 1350 Mark, „La Danse auMoulin-rouge" 1000 Mark,
Napoleon 500 Mark).

Auf dem Gebiet der modernen Graphik zeigen sich die
Umrisse der augenblicklichen Lage noch deutlicher. Die
Kunst jeden Landes hat nur einen kleinen Binnenmarkt, der
fast nirgends — den französischen Kreis ausgenommen —
internationale Werte hat hervorbringen können. Hier wird
die vermittelnde Aufgabe, die der Kunsthandel als seine
vornehmste Pflicht ansehen sollte, am klarsten. Die in den
einzelnen Ländern in ehrlicher Bemühung gefundenen Wer-
tungen in übernationale Werte zu verwandeln ist die Auf-
gabe. Scheinbar eine sehr schwere Aufgabe, da es dem Handel
in der Krisenzeit nicht gelungen ist, das Auseinanderfallen
der alten internationalen Werte in nationale Bewertungen
zu verhindern. Nach einem sicheren internationalen graphi-
schen Wert fragen, heißt heute nach einer allseitig beliebten
nationalen Kunst fragen und nach der Zahlungsfähigkeit ihrer
Liebhaber. Die holländische Kunst wird den Preis erhalten.

Es zeigt sich, daß die sogenannten internationalen Werte
nur Werte zwischen den Nationen waren, nicht über den
Nationen. Um die gültigen allgemeinen Wertungen, die die
Kunstgeschichte gefunden glaubt, kümmern sich die Na-
tionen wenig, sie bezahlen sie jedenfalls nicht.

MÜNCHNER AUKTIONEN

Das erste größere Auktionsereignis dieses Herbstes war
die Versteigerung der Bestände der 1907 gegründeten
Kunsthandlung Jakob Doppler-München durch Hugo Helbing.
Den Hauptteil bildeten kunstgewerbliche Objekte, insbeson-
dere Möbel des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts,
für die im allgemeinen zwar nicht hohe, aber angemessene
Preise gezahlt wurden. Unter den Gemälden waren die bei-
den früher Nemes gehörenden Bilder van Dycks und Tinto-
rettos (Venezianerin) die bedeutendsten; für van Dycks Bild-
nis eines jungen Mannes (Nr. 22) wurden 16800RM. bezahlt.
Das große Relief mit Darstellung der Kaselverleihung an
den heiligen Ildephons (Nr. 69), von A. L. Mayer der Valla-
dolider Schule des frühen siebzehnten Jahrhunderts zuge-
schrieben, kam auf 1460 RM.

Die vom 5. bis 7. November ebenfalls unter der Leituug
von Hugo Helbing verauktionierte Sammlung August Wolff-
Heidelberg ergab verhältnismäßig gute Preise für kunstge-
werbliche Objekte, Das Büstenaquamanile des dreizehnten
Jahrhunderts (Nr. 73), wohl das interessanteste Stück der
Sammlung, kam auf 8500 RM. Von den Geräten für das
jüdische Ritual wurde der hervorragend schöne große Leuchter
aus dem deutschen Ostseegebiet, datiert 1689, mit 1850 RM.
bewertet. H. E.

DREISSIGSTER JAHRGANG, DRITTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 20. NOVEMBER, AUSGABE AM 1. DEZEMBER NEUN-
ZEHNHUNDERTEINUNDDREISSIG. FÜR DIE REDAKTION VERANTWORTLICH: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON
BRUNO CASSIRER, BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER G.M.B.H., LEIPZIG
 
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