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I. Name und Begriff des Klassizismus

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anderen Aufgaben nicht gefehlt haben; auch im Zeitalter der Revolutionen sind
Schlösser gebaut, Kirchen errichtet worden — aber für die Zeit klassisch — das
können wir aus dem vorstehenden schon schließen — konnten diese Lösungen
nicht sein, denn sie lagen nicht im Bereiche der damaligen Kulturbewegungen.
Sie mochten wohl für einen Herrscher in Deutschland, für einen Fürsten in Italien
oder Österreich nötig, ftir eine Gemeinde von Nutzen sein — sie waren aber doch
nur Verkörperung überkommener, ehemals klassisch empfundener Gedanken und
Riten, also an sich eben nichts Eigenes und damit nichts Klassisches.

Es ist nun nicht gesagt, daß, wenn dem Baumeister eine zeiteigene, eine
Kulturaufgabe gestellt wird, er diese auch aus sich heraus klassisch emp-
funden lösen sollte; daß er, ganz abgesehen von der Möglichkeit der Erfindung
neuer Bauformen, die tiberkommenen Formen so umzugießen verstehen sollte, so
daß sie (die alten) doch einen ganz neuen Gedanken verkörpern! Zunächst wenig-
stens — und das trifft beim Klassizismus zu — wird stets nur schwer ein Los-
reißen vom Althergebrachten möglich sein; erst nach und nach wird die alte
Form auf ihren Inhalt und ihre architektonische Fähigkeit gleichsam „zurück-
erkannt“, und dann erst wird es möglich sein, sie im rechten Sinne verständig
der neuen Aufgabe zur Verfügung zu stellen.

Aus alledem können wir aber schließen, daß es dem Stil des Klassizismus,
d. h. der Zeit von etwa 1750—1850 (in Frankreich eher, in Deutschland später)
durchaus nicht unmöglich zu sein braucht, gewisse klassische Werke
zu schaffen.

Wenn dem aber so wäre — und ich hoffe, diese Frage zu bejahen —,
müssen wir nicht den Namen Klassizismus als etwas Widersinniges empfinden?
— als einen Widerspruch, den eine kritische Kunstgeschichte aus ihrem Wort-
schatz verbannen müßte?

So unscharf und fast widersinnig nach alledem aber der Name Klassizismus
sich darstellt, so mächtig die Zeit, die diesen Namen trägt, auch sein mag, so
allgemein die Stilbewegung sich über Europa gebreitet hat, und so frucfitbar sie
in ihren letzten Ausläufern, die bis nach Amerika (Golonial Style) reichen, sich
erwiesen haben mag, einen andern Sammelnamen hat die Forschung. und Wissen-
schaft für den Klassizismus nicht zu setzen vermocht. Immerhin ist aber diesem
Namen der Wert eines großen Sammelvermögens nicht abzustreiten, das einen
Teil des Rokoko, das Empire, die Dorik und den Biedermeier-Stil in einem Ring
zu fassen imstande ist. 1)

a) Folgende drei Teilungen dürften das Wort Klassizismus m. E. ersetzen können:
Hellenismus, Latinismus, Itenaissaneismus. Diese Begriffe sind die hauptsächlichsten Teile
des Klassizismus, die aucli nur dasWesen desselben angehen, also nicht, wie Empire oder
Biedermeier, nationalen Beigeschmack hahen.
 
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