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Frankreich

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des Volksgeistes entflossen. Das Sclmörkelwerk der Meissonier (1G93—1750) und
Oppenord (1672—1742), die mit ttirkischen und chinesischen Elementen vermischten
Zierate der Schloß-Innenräume entsprachen keineswegs den äußeren Schauseiten
der Gebäude. Diese blieben, mit wenig (minderwertigen) Ausnahmen im Blondel-
akademischen Geschmack. Die große Architektur ließ sich nicht von den leichten
Wellen forttragen, die ein galanter Wind von Versailles her auf der Oberfläche
der französischen Kunst zauberte, ihre Entwicklung ging den stillen, unhemm-
baren Gang im Gefolge einer inneren Kultur, deren Führer die Rousseau,
Montesquieu, Voltaire und ihre Lehrer, die Engländer, mit Shaftesbury an der
Spitze, waren.

Solches Wachsen großen Fühlens war aber dem scharfen Auge der damaligen
Zeit doch nicht unbekannt. Auch die Herren und Damen, die nach und nach
von Versailles, das mit dem alternden König fast allein zurückblieb, nach Paris
in die „petites maisons“ gezogen waren, erkannten sehr wohl den Umschwung,
die Reaktion auf das liederlich-seichte und frömmelnde gewissenlose Treiben des
fünfzehnten Ludwig. Nur ließen sie sich’s nicht ansehen. „Man band sich eine
Maske vor, um unerkannt Freuden genießen zu können, welche die fürstliche
Würde und das monarchische Ansehen eigentlich verbot, man bewahrte sich aber
die Möglichkeit, die Maske abzunehmen“. 1)

Die Architekten der Rokokozeit, die Pioniere des Klassizismus waren vor
allen: Eobert de Cotte (1656—1735), als Nachfolger Hardouin Mansarts seit 1708
„erster Baumeister des Königs usw.“, J. Germain Bossrand (1667—1754) und
St. Etienne Briseux (1680 — 1754).

Ihr Schaffen steht ganz im Banne des Blondelschen Geistes. Das Besondere
aber, das ihnen am besten an ihren Bauschöpfungen gelingt, ist das Schlößchen,
ist die „maison de campagne“ eine wtirdige Form, die dem fein bewegten Grundriß
entwächst — aber nicht diktiert von höfischer Glanzsucht, sondern von einer ans
Bürgerliche grenzenden Neigung ftir die commodite und bienseance. Vieles von
diesen Werken jener „Rokokoklassiker“ r) ist papieren. Aber um so leichter wohl
geht das hinaus in die Welt. Darin ist Briseux groß. Er schreiht „Tarchitecture
moderne ou l’art de bien bätir (1728), l’art de bätir des maisons de campagne“
(1743), „traite du beau essentiel dans les arts applique plus particulierement ä
l’architecture“ (1752). 1737 erscheint, wie erwähnt, Jacques Fr. Blondels Werk

„de la distribution des maisons de Plaisance et de la decoration d’edifices en
general“; es schließt sich eng an die Arbeiten Brieseux’ an. Commodite und
Bienseance und eine Dosis grand goüt finden feinste Berücksichtigung. Nie wieder
ist dem Hausbewohner eine so scharfe Diagnose gestellt worden als von Blondel
und Briseux, nie wieder so gesunde Rezepte geschrieben worden, als von diesen
beiden „Haus-Ärzten“. Hier ist die alte palladianische Schule wahrhaft Leben
geworden, Natur geworden, und der Ruf des Philosophen von Genf findet hier
einen schönen steinernen Widerhall. Doch nicht bloß steinern. Auch die wahre,
grüne Natur rings ums Haus kommt endlich zu ersehntem Rechte. Die Garten-
anlagen, die Blondels „Distribution“ bietet, hringen den sogenannten „englischen“
Garten, dessen Natur freilich immer noch hier und da ein wenig korrigiert werden
muß („ä lui donner toutes les beautez par lesquelles l’Art peut supleer aux defauts
de la Nature“).

Und dies alles zur Rokokozeit!

Zu alledem kam nun von England her die große Anregung zu archäologi-
schen Studien. Begeistert schloß sich Frankreich an. Jacques Spon (1647—85),
der zuerst genauere Kunde von Athen gab, Jean Mabillon (1632—1717), Bernard

i) Vgl. Springer II, Seite 223; Schumann, Barock und Rokoko; Gurlitt, Barock.
 
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