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II. Geschichtlicher Umriß

de Montfaucon (1655—1741), vor allem aber Claude Philippe Comte de Caijlus
(1692—1765), der sich in größerem Umfang mit den altenVölkern und ihrer Kunst
heschäftigte, und 1752 ein recueil d’antiquites herausgab, und Marc Antoine
Laugier (1713—69), jener kunsteifrige Jesuit, der die Ideen üher die Antike ge-
setzmäßig ordnen und „reinigen“ wollte — diese Männer alle sogen geradezu die
englischen Anregungen begierig in sich auf und waren schnell imstande, durch
eigenes Aufmessen und Forschen der Archäologie ebenso große Dienste zu leisten,
als etwa die Stuart, Revett oder Dalton 4) — ohne jedoch so libereifrig wie die
englischen Nachbarn sich zu bemühen, die gefundenen Werte im Heimatlande in
die Praxis umzusetzen.

In Frankreich ging das große Umarbeiten des antiken Materials in die
eigentliche „Kulturschöpfung“ nur langsam vor sich. Langsam nur brach sich
das Verständnis für die Verwertung der klassischen Architekturmittel zu modernen
Zwecken Bahn. Servandonis St. Sulpice (1730) ist nicht das Werk eines Fran-
zosen, sondern eines Italieners, der seit je und je in römischer Antike „gearheitet“
hatte. Aher daß dieses Werk von der Rokokozeit hegeistert betrachtet wurde,
darf uns genügen zur Kenntnis der damaligen großen Strömung zur Antike. Man
nannte sie den grand goüt, in einem Triumphgefühl über das witzelnde Rokoko.
Es mag aber auch viel Liebe zur Abwechselung, viel Überdruß am alten süß-
lichen Regiment an dieser Begeisterung schuld sein, die eine Pompadour mit
dem Volke teilte.

Es galt nun, mit den großen, antiken Formen Kulturfragen zu beantworten.
Die Kirche war unstreitig (noch) eine große Kulturfrage. — St. Sulpice zeigte,
daß die neue Aufgabe wahrhaft groß gemeistert worden war, zunächst freilich
in der Fassade. Servandoni war kein Raumschöpfer. Er hatte seinen Ruf der
genialen Kraft zu verdanken, mit der er die Welt des Theaters zur Wirklichkeit
umzuschasfen wußte, in Kulissen und Sosfitten. So steht aueh die Front von
St. Sulpice da. Servandoni schuf, sagt Gurlitt, den Gestalten Voltaires den klassi-
schen Hintergrund, setzte das Architekturbild in seinen einfachen Linien in Deko-
ration um und endlich die Dekoration in den Monumentalbau. Etwas vom Ber-
ninigeist steckt in seinen Schöpfungen, die aber durcli die Härte ihrer Silhouette
alles Barocke vermeiden.

Solche Härte, solche Größe, solch eine Auffassung des grand goüt war den
Parisern ein Hauch frischer Luft!

Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts wendet sich die Gesellschaft vom
Rokoko ah, nicht bloß im Gebiete der Kunst, sondern auch der Moral, ja der
Politik Frankreichs. * 2) „Die Wahrnehmung der sinkenden Macht des Staates
nach außen ließ nicht allein den höfischen Bacchus- und Venuskult frivol er-
scheinen, der Einblick in den gesteigerten Notstand des Landes weckte nicht
nur den Zornmut gegen das sybaritische Leben der feinenWelt: zu ethischen
Bedenken gesellten sich gleichzeitig auch ästhetische Zweifel am Rechte des
Rokoko.“ 3 4)

Cliarles Nic. Cochin (1715—90) wandte sich schon sieben Jahre nach der
Erbauung von St. Sulpice gegen den Mißbrauch mit den Formen, die das Rokoko
trieb. Schon 1754 hatte er im Mercure 4) eine Bittschrift an die Goldschmiede
gerichtet, sie möchten sich doch zuweilen bei ihrer Arbeit an die Bestimmung
der Gegenstände erinnern. Der Bruder der Pompadour, Marquis de Vaudrieres,

0 S. u. England.

2) Siebenjähriger Ivrieg, Erhfolgekrieg, Verlust Ivanadas.

3) Springer.

4) Springer.
 
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