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feſtzuhalten oder auch aus dem Gedächtnis wiederzugeben. Indem er ſolche
Nadelzeichnungen durch Ätzung druckfertig machte und vervielfältigte, brachte er
Blätter von einer ſo unmittelbaren künſtleriſchen Friſche an die Offentlichkeit,
wie ſie vor ihm niemand geſchaffen hatte. Ganz beſonders reizten ihn die Er-
ſcheinungen aus den niederen Volksſchichten, die ihren Charakter am unverhüllteſten
zur Schau trugen und deren zerlumpte Kleidung ebenſo wie ihre Häßlichkeit ihm
eine eigentümliche Anregung boten, eben weil ſie ſich ſo charakteriſtiſch darſtellen
ließen. Es war der natürliche Widerwille gegen die kalt und leer und dadurch
abſtoßend gewordene äußerliche Schönheitsſucherei der den Italienern nachtreten-
den Kunſt, der ſich in dieſer Weiſe — bei Rembrandt nicht zuerſt, aber bei ihm
vielleicht am kräftigſten — äußerte. Da fielen ihm die verſchmitzten Augen eines
alten Bettlers mit lächerlich hoher Mütze auf, oder ein Bauer, der ſeine Ver-
ſchlagenheit hinter einer unglaublich dummen Miene verbarg, oder ein auf der
Straße in langatmigem Geſpräch ſich unterhaltendes Bettlerpaar und ähnliche
lumpige Geſtalten, und er bannte ſie auf die Kupferplatte; oder es reizte ihn,
die rührende Erſcheinung eines von ſeinem Hündchen geführten blinden Geigen-
ſpielers feſtzuhalten Abb. 8 und 10).

Aber auch zur Niederſchrift von Außerungen der ſchaffenden Phantaſie wurde
die Radiernadel benutzt. Die erſte datierte bildmäßige Kompoſition unter Rem-
brandts Radierungen, von 1630, behandelt die Darſtellung Jeſu im Tempel.
Man fühlt bei der Betrachtung des kleinen figurenreichen Blattes, wie der Künſtler
darauf ausgegangen iſt, nach der Erzählung des Evangeliſten ſich den Vorgang
wie ein wirkliches Erlebnis zu vergegenwärtigen. Aus der lebendigen Wahr-
haftigkeit der Vorſtellung heraus hat er, im vollbewußten Gegenſatz gegen die
herkömmliche Form, die heiligen Perſonen in die Geſtalt von Leuten gekleidet,
denen man auch in der Wirklichkeit begegnen könnte. Die Kupferſtichſammler
geben dieſem Blatt, zur Unterſcheidung von ſpäteren Radierungen gleichen In-
haltes, die Zuſatzbezeichnung „mit dem Engel“, nach einem an der Seite der
Seherin Hanna erſcheinenden Engel; oder ſie nennen es nach den Maßen „Die
kleine Darſtellung im Tempel“. In ähnlichem Format und in ähnlicher Art der

Kompoſition hat Rembrandt zu derſelben
Zeit zwei Bildchen radiert, die die Be-
ſchneidung Chriſti und den Jeſusknaben
uunter den Schriftgelehrten darſtellen.

Rembrandt hatte ſchon in den erſten
Jahren ſeiner ſelbſtändigen künſtleriſchen
Tätigkeit Schüler. Die alten Verzeichniſſe
von Rembrandts gedrucktem Werk führen
viele Blätter mit auf, die von der Forſchung
nicht mehr als ſeine Arbeit anerkannt, ſon-
dern Schülern zugeſchrieben werden. Dazu
gehören namentlich mehrere Ausdrucksſtudien
und andere Blätter mit der Jahreszahl 1631.
Es ſcheint, daß der junge Meiſter ſehr nach-
ſichtig ſein konnte in der Beurteilung der
Arbeit und ſehr ſorglos gegenüber der
Offentlichkeit. Einige recht minderwertige
Radierungen ſind mit der Bezeichnung durch
ſein aus den Buchſtaben RHL (Rembrandt
Harmenſz aus Leiden) gebildeten Mono-
gramm, und dadurch als ſein geiſtiges
Eigentum anerkannt, in die Welt gegangen.

Der ſicherſte Broterwerb eines Malers
 
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