Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
für ein wirkliches Porträt die Tracht des hier abgebildeten Mannes ſehr befremd-
tich, da ſie mehr an Rembrandts Koſtümgarderobe als an die damals gebräuch—⸗
liche Herrenkleidung erinnert. Der Steuereinnehmer iſt in ſeinex amtlichen Tätig-
keit dargeſtellt. Er ſitzt in einem Gemach, dem, obſchon es der dienſtliche Arbeits-
raum ift, ein gewiſſer Aufwand der Ausſtattung nicht fehlt. Auf dem Arbeits-
tiſch ſtehen Geldſäckchen; die Wage hängt von einem über dem Tiſche angebrachten
Aktengeftell herab. Der Beamte reicht eines der Säckchen, deſſen Inhalt eben
feſtgeftellt worden iſt, dem mit der Verpackung der gezählten und gewogenen
Summen betrauten Diener. Im Hintergrunde blickt man durch eine Art Schalter
in einen Vorraum, wo mehrere Perſonen auf ihre Abfertigung warten. Augen-
ſcheinlich hat Rembrandt bei dieſem Blatt faſt die ganze Ausführung dem Fleiß
eines Gehilfen überlaſſen. Für eigenhändige Arbeit hHat er ſich nicht viel mehr
als den Kopf des Goldwägers vorbehalten.

Sein eigenes Bildnis hat uns Rembrandt in dieſem Jahre in der herrlichen
Radierung gegeben, die wohl das am meiſten bekannte von al ſeinen Selbſt-
bildniſſen iſt: Rembrandt mit dem aufgeſtützten Arm?. Dex Meiſter ſteht oder
ſitzt hinter einer am unteren Rande der Platte angegebenen Brüſtung, aufgelehnt
auf den linken Arm, um den der beſtickte Schultermantel maleriſch herumgenommen
iſt; den Kopf, den ein keck auf das rechte Ohr geſchobenes Barett bedeckt, wendet
er über die linke Achſel dem Beſchauer zu. Die nachdenkliche Stirn iſt ſchon
furchig geworden, und die Gewohnheit prüfenden Sehens hat die Haut über
den Augenlidern herabgeſenkt; aber trotz ſolcher Zeichen ſcheidender Jugend ſpricht
die höchſte Friſche des Geiſtes und des Körpers aus dieſem Geſicht, das die noch
unverminderte Lockenfülle in üppiger Länge einrahmt und das neben dem Schnurr-
bart ein ſpitzer Kinnbart ziert.

Dies ift das Geſicht, das den meiſten neuzeitlichen Darſtellungen von
Rembrandts Perſon zugruͤnde liegt. Auch zu dem Standbild, das dem Meiſter
im Jahre 1852 zu ÄAmſterdam errichtet worden iſt, hat es gedient. Der heute
nach Rembrandt genannte Platz, auf dem das Standbild ſteht, iſt nicht weit vom
Judenviertel entfernt. An der Hauptſtraße des Judenviertels, der Jodenbree-
firaat, ſteht noch das Haus, das Rembrandt ſich im Jahre 1639 für einen
anſehnlichen Preis kaufte.

Ein ſehr fremdartiger Gegenſtand kommt unter den Radierungen des Jahres
1639 vor. „Die Jugend vom Tode überraſcht“ heißt das Blatt. Vor einem
jungen Herrn und einer jungen Dame in gewählter Modetracht taucht plötzlich
der'Tod als Gerippe mit Senſe und emporgehobener Sanduhr aus einem Gruft-
gewölbe auf. Sicherlich iſt Rembrandt durch die Betrachtung der Totentanz-
bilder Holbeins, dẽſſen Holzſchnitte einen Beſtandteil ſeiner ſehr umfangreichen
Kunſtſammlung bildeten, zu dieſer Phantaſie angeregt worden. Zas Blatt iſt
auch wegen ſeiner Herſtellungsart bemerkenswert. Es iſt keine Radierung im
eigentlichen Sinne, fondern eine Kaltnadelarbeit. Das heißt, der Künſtler hat
nicht in einen auf die Kupferplatte aufgetragenen Grund gezeichnet und dann
durch Atzung der bloßgelegien Stellen feinen Strich in das Kupfer eingetieft;
fondern er hat mit der ſohenannten kalten Nadel feinen Strich unmittelbar in
die Kupferplatte geriſſen. Rembrandt wendete das Verfahren ſeit 1639 öfter an.
Bei dem Selbſtbildnis von dieſem Jahre hat er an mehreren Stellen mit der
kalten Nadel in die geätzte Platte hineingearbeitet. Auch das Werkzeug des
eigentlichen Kupferſtechers, den einſchneidenden Grabſtichel, deſſen Gebrauch er
bis dahin lieber ſeinen Schülern überließ, hat er hier mit zu Hilfe genommen.
— Später hat er öfters die verſchiedenen Verfahren zuſammen angewendet, und
die Vorteile, die ihm jedes bot, verwertet.

Das eindruckvollſte Werk des Jahres 1636 iſt die große Nadiexung „Der
Tod Marias“, eine großartige Schöpfung und wundervolle Arbeit. Maria liegt
in einem Himmelbett! Zu ihrer Rechten ſteht ein Prieſter, den ein ſtabtragender

80
 
Annotationen