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Abb. 84. Elieſer und Rebekka. Angetuſchte Federzeichnung. In der Albertina zu Wien.
Photographie von Braun & Eie. in Dornach i. E. (gu Seite 70.)

noch weit mehr als das große Gemälde von 1631 ſeine innerliche Bedeutung
hinter einer ſchlicht menſchlichen Auffaſſung verbirgt und, das deswegen auch
cinfach „Die Familie des Tiſchlers“ genannt wird. Wir blicken in das dürftige
Heim eines Handwerkers, Werkſtatt und Wohnraum zugleich. Am Kamin hängen
ärmliche Vorräte, ein paar Holzſcheite liegen bereit, um Feuer unter dem Suppen-
topf anzuzünden. Am offenen Fenſter ſteht der fleißige Arbeiter und glättet ein
Hoͤlzſtück. Durch ein anderes Feyſter, das wir nicht fehen, ſcheint die ſich neigende.
Sonne in den Raum; ihr Strahl ruht auf der Gruppe von Mutter und Kind.
Die junge Mutter, auf einem niedrigen Sitz, hat dem Kinde die Bruſt gereicht,
bevor ſie es in die Wiege legt. Das warme Licht hüllt das Körperchen des
Aindes ein, daß dieſes ſelbſt zu leuchten ſcheint, und beſtrahlt mit voller Kraft,
was mit dem Kinde in Berührung kommt, Bruſt und Hände der Mutter; und
es umwebt mit goldigem Widerſchein, das glückbeſeelte, liebliche Mutterantlitz
und die derben Züge der alten Frau, die das Abendgebet vorgeleſen hat und die
jetzt noch einen Blick grohmütterlicher Zärtlichkeit auf das Geſicht des eingeſchlum-
merten Kindes richtet. Das iſt alles ganz einfach und natürlich; auch das Licht
iſt kein überirdiſches, ſondern ein echter goldener Sonnenſtrahl, der einen Teil
des Fenſters auf die Flieſen des Fußbodens malt. Und doch liegt in der heiligen
Vertiefung, mit der der Künſtlex das Natürliche aufgefaßt hat, eine ſolche un-
endliche Poeſie, ein ſo hohes, feierliches Hinausheben über die Alltäglichkeit, daß
wir, wenn wir auf die Abſichten des Malers eingehen, keinen Augenblick darüber
im Zweifel ſein können, daß der Darſtellung eine Bedeutung des Übernatür-
lichen innewoͤhnt; wir erkennen, daß dieſe Handwerkerfamilie Göttliches um-
ſchließt Abb. 87). Was die Italiener der Renaiſſancezeit an Verklärung des
Menfchlichen erreichten durch die höchſte ſinnliche Schönheit, das erreicht Rem-
brandt ebenſo vollkommen durch die höchſte Poeſie des Lichtes.

Vom Jahre 1640 an kommen Landſchaften öfter vor unter Rembrandts
Radierungen. Die meiſten dieſer Blätter unterſcheiden ſich weſentlich von den
gemalten Landſchaftskompoſitionen des Meiſters und avch von den Landſchafts-
blicken, die e&r auf manchen ſeiner Darſtellungen als dichteriſch erſonnene, ſtim-
mungsvolle Hintergründe anbrachte. Er hat in ihnen Stückchen ſeines Heimat-

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