„Die drei Orientalen“
Abb. 93).
Gang vereinzelt ſteht eine
Radierung dieſes Jahres
da, in der Rembrandt den
irdiſchen Boden vollſtändig
verlaſſen hat: „Die heilige
Jungfrau mit dem Jeſus-
kind in Wolken“. Weder
die Jungfrau noch das
Kind iſt ſchön, und die.
ſtarke Betonung der jü-
diſchen Stammeseigentüm-
lichkeit und der Zugehörig-
keit zu den niederen Stän-
den berührt uns gar fremd-
artig; und dennoch liegt
eine unbeſchreibliche Er-
habenheit in dem gott-
ergeben nach oben gewen-
deten Antlitz der Mutter,
die kniend und mit gefal-
teten Händen den Sohn
in ihren Armen hält. Dem
Erdendunkel, das wir unter
Abb. 94. Der 244 2— 8 1641. Erſter Platten *— Schatten der Wolten
ahnen, ſind die beiden ent-
rückt; Licht aus der Höhe umfließt ſie, und Licht ſtrahlt von ihren Häuptern
aus. Es iſt bemerkenswert, daß Rembrandt für den ſtärkeren Strahlenſchein, der
den Kopf des Jeſuskindes umgibt, ſich die Art, wie Dürer ſolche Glorien zeichnete,
zum Vorbild genommen hat.
Unter den Gemälden von 1641 ſind wieder mehrere vorzügliche Bildniſſe.
Zu ihnen gehört das groß und ſchlicht aufgefaßte Porträt der Mutter von Rem-
brandts Freund Jan Six, das ſich noch im Beſitz der Familie Six zu Amſterdam
befindet. Ferner das entzückende Bildnis einer jungen Frau vornehmen Standes,
mit dem Fächer in der Hand, im Buckinghampalaſt. Dann das großartige Bild
des Mennonitenpredigers Anslo mit ſeiner Frau, im Kaiſer-Friedrich-Muſeum,
das den geiſtlichen Herrn, in ähnlicher Auffaſſung wie in der gleichzeitigen
Radierung, ſprechend darſtellt; er ſpendet Zuſpruch und die Frau lauſcht dem
Worte (Abb. 98). Ein ſehr reizvolles Bild der Dresdener Galerie zeigt uns
Frau Saskia in der blühenden Fülle ihrer achtundzwanzig Jahre. Sie reicht
mit freundlichen Blicken dem Beſchauer eine Nelke dar, und die an die Bruſt
gelegte linke Hand, die an ihren Fingergelenken niedliche Grübchen bewundern
läßt, ſcheint zu ſagen, daß die kleine Blumengabe herzlich gemeint ſei (Abb. 96).
Die Dresdener Galerie beſitzt auch ein in Lebensgröße ausgeführtes bibliſches
Gemälde von 1641: „Das Opfer des Manoah“. Mit der großartigen Wirkung
durch die Feierlichkeit der Farbe und durch die Einfachheit der Kompoſition ver-
bindet das Bild wieder eine merkwürdige Kraft des Ausdruckes. Die beiden
alten Leute, denen die Geburt des Simſon verheißen worden iſt, knien in frommer
Demut vor dem Opferaltar. In ruhiger Zuverſicht betet das Weib; nicht minder
gläubig, aber erſchüttert durch den Anblick des in der Lohe emporfahrenden Engels,
der Mann. Wunderbar iſt es zur Anſchauung gebracht, wie die Erſcheinung
des Engels ſich verflüchtigt — im nächſten Augenblick wird er unſichtbar ſein,
wie im Rauch zerfloſſen (Abb. 99).
94
Abb. 93).
Gang vereinzelt ſteht eine
Radierung dieſes Jahres
da, in der Rembrandt den
irdiſchen Boden vollſtändig
verlaſſen hat: „Die heilige
Jungfrau mit dem Jeſus-
kind in Wolken“. Weder
die Jungfrau noch das
Kind iſt ſchön, und die.
ſtarke Betonung der jü-
diſchen Stammeseigentüm-
lichkeit und der Zugehörig-
keit zu den niederen Stän-
den berührt uns gar fremd-
artig; und dennoch liegt
eine unbeſchreibliche Er-
habenheit in dem gott-
ergeben nach oben gewen-
deten Antlitz der Mutter,
die kniend und mit gefal-
teten Händen den Sohn
in ihren Armen hält. Dem
Erdendunkel, das wir unter
Abb. 94. Der 244 2— 8 1641. Erſter Platten *— Schatten der Wolten
ahnen, ſind die beiden ent-
rückt; Licht aus der Höhe umfließt ſie, und Licht ſtrahlt von ihren Häuptern
aus. Es iſt bemerkenswert, daß Rembrandt für den ſtärkeren Strahlenſchein, der
den Kopf des Jeſuskindes umgibt, ſich die Art, wie Dürer ſolche Glorien zeichnete,
zum Vorbild genommen hat.
Unter den Gemälden von 1641 ſind wieder mehrere vorzügliche Bildniſſe.
Zu ihnen gehört das groß und ſchlicht aufgefaßte Porträt der Mutter von Rem-
brandts Freund Jan Six, das ſich noch im Beſitz der Familie Six zu Amſterdam
befindet. Ferner das entzückende Bildnis einer jungen Frau vornehmen Standes,
mit dem Fächer in der Hand, im Buckinghampalaſt. Dann das großartige Bild
des Mennonitenpredigers Anslo mit ſeiner Frau, im Kaiſer-Friedrich-Muſeum,
das den geiſtlichen Herrn, in ähnlicher Auffaſſung wie in der gleichzeitigen
Radierung, ſprechend darſtellt; er ſpendet Zuſpruch und die Frau lauſcht dem
Worte (Abb. 98). Ein ſehr reizvolles Bild der Dresdener Galerie zeigt uns
Frau Saskia in der blühenden Fülle ihrer achtundzwanzig Jahre. Sie reicht
mit freundlichen Blicken dem Beſchauer eine Nelke dar, und die an die Bruſt
gelegte linke Hand, die an ihren Fingergelenken niedliche Grübchen bewundern
läßt, ſcheint zu ſagen, daß die kleine Blumengabe herzlich gemeint ſei (Abb. 96).
Die Dresdener Galerie beſitzt auch ein in Lebensgröße ausgeführtes bibliſches
Gemälde von 1641: „Das Opfer des Manoah“. Mit der großartigen Wirkung
durch die Feierlichkeit der Farbe und durch die Einfachheit der Kompoſition ver-
bindet das Bild wieder eine merkwürdige Kraft des Ausdruckes. Die beiden
alten Leute, denen die Geburt des Simſon verheißen worden iſt, knien in frommer
Demut vor dem Opferaltar. In ruhiger Zuverſicht betet das Weib; nicht minder
gläubig, aber erſchüttert durch den Anblick des in der Lohe emporfahrenden Engels,
der Mann. Wunderbar iſt es zur Anſchauung gebracht, wie die Erſcheinung
des Engels ſich verflüchtigt — im nächſten Augenblick wird er unſichtbar ſein,
wie im Rauch zerfloſſen (Abb. 99).
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