ſondern in einem, wenn auch etwas unklar gehaltenen Gebäude, das einen weiten
Ausblick auf eine Stadt offen läßt, ſo iſt die Deutung auf David und Abſalom
richtiger, für die auch die reiche Tracht der beiden beſſer paßt. „Und er betete
an auf ſeinem Antlitz zur Erde vor dem Könige, und der König küßte Abſalom.“
Es liegt eine ſeltſame Stimmung über dem Bilde. Dunkle Woͤlken bedecken den
Himmel, ſie widerſtreben einer Helligkeit, die ſie zerteilen will; in einem un-
beſtimmten matten Licht ſchimmern die Gebäude von Jeruſalem und das Mauer-
werk des Raumes, der die beiden Männer umgibt. Dieſe ſelbſt aber ſind hell-
beleuchtet, daß der reiche Schmuck an ihren Kleidern und an Abſaloms Kriegs-
ſchwert glänzt und blitzt. Niemand könnte ſagen, woher bei einer ſolchen Dunkel-
heit ein ſolches Licht kommt; es iſt der künſtleriſche Ausdruck einer Empfindung,
das Licht des Friedens, das wie ein plötzlicher Himmelsſtrahl in die Nacht des
feindſeligen Haders hereinbricht (Abb. 100).
Das Wirken eines geheimnisvollen Lichts, für das es keine natürliche Er-
klärung gibt, deſſen Quelle nur eine künſtleriſche Einbildungskraft iſt, die an die
Stelle alles deſſen, was auf der Erde Licht ſpenden kann, eine ſelbſtgeſchaffene
Sonne ſetzt, beherrſcht von nun an Rembrandts Kompoſitionen. Mit einem
ſeltſam zauberiſchen Goldton beginnt es die natürlichen Eigenfarben der Dinge
aufzuzehren.
Nirgends tritt dieſes Licht ſo ſtark, nirgends aber auch ſo befremdlich in die
Erſcheinung, wie in dem größten und berühmteſten Gemälde des Meiſters, das
er in dem nämlichen Jahre 1642 vollendete. Das iſt das unter dem unzutreffenden
Namen „Die Nachtwache“ (oder „Die Scharwache“) bekannte Schützenbild im
Reichsmuſeum zu Amſterdam (Abb. 103). Wie Rembrandt zehn Jahre früher
die Mitglieder der Chirurgengilde und den Profeſſor Tulp in einem gemeinſchaft-
lichen Bilde abgemalt hatte, ſo wurde ihm jetzt die Aufgabe geſtellt, den Amſter-
damer Schützenhauptmann Frans Banning Cocq mit ſeinem Leutnant Willem
van Nuytenburg und ſeiner Korporalſchaft in einem großen Gemälde zu ver-
ewigen, das für den Saal ihres Gildehauſes beſtimmt war. Aber hier war eine
ungleich größere Zahl von Perſonen zu vereinigen, als in dem Chirurgenbild.
Rembrandts Vorgänger hatten derartige Aufgaben ſo gut es ging gelöſt und ſich
bemüht, einem jeden der Beitragzahler ſein Recht zukommen zu laſſen, daß er
ebenſo deutlich geſehen und erkannt würde wie die übrigen; die Vereinigung
der Perſonen bei einem Feſtmahl war die beliebteſte Art und Weiſe, Leben in
die Nebeneinanderſtellung der vielen gleichmäßig beleuchteten Bildnisköpfe zu
bringen. Rembrandt geſtaltete ein Bild bewegten Lebens, indem er den Augen-
blick wählte, wie die Korporalſchaft, im Begriffe aufzumarſchieren, aus dem Ver-
ſammlungshaus ins Freie tritt. Und über dieſen bewegten Vorgang goß er ſein
Zauberlicht aus, mit deſſen Hilfe er aus dem Genoſſenſchaftsbild der Amſter-
damer Schützen ein in ſeiner Art ganz einzig daſtehendes, jeden Beſchauer mit
einer ſeltſamen Macht ergreifendes Kunſtwerk ſchuf. Den Mittelpunkt der ge-
waltigen Licht⸗ und Farbenkompoſition bilden die beiden Offiziere. Wie ſie an der
Spitze der Korporalſchaft ſchreiten, ſind ſie ganz vorn im Bilde, nahe dem Be-
ſchauer. Der Hauptmann iſt dunkel gekleidet, der Leutnant in Gelb und Weiß.
Ein voller Lichtſtrahl trifft den Hauptmann am Oberkörper und hüllt den Leut-
nant in eine faſt blendende Helligkeit ein. Die im Geſpräch erhobene Hand des
Hauptmanns wirft einen ſtarken Schlagſchatten auf das treſſenbeſetzte Lederkoller.
Der Hauptmann führt als Würdezeichen einen Stab, der Leutnant trägt die
Partiſane in der Hand. Hinter den beiden Offizieren drängen ſich die mannig-
faltig gekleideten und ausgerüſteten Schützen mit Arkebuſen und Spießen; Ser-
geanten mit Hellebarden ſtellen ſich zum Ordnen des Zuges auf, und der Tam-
bour rührt ſeine Trommel. Der Fahnenträger mit einigen anderen iſt noch auf
den Stufen des Hauseinganges. Neben einem der Schützen, der eben beſchäftigt
iſt, im Gehen ſein Gewehr zu laden, läuft ein Knabe, der ſich eine Sturmhaube
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Ausblick auf eine Stadt offen läßt, ſo iſt die Deutung auf David und Abſalom
richtiger, für die auch die reiche Tracht der beiden beſſer paßt. „Und er betete
an auf ſeinem Antlitz zur Erde vor dem Könige, und der König küßte Abſalom.“
Es liegt eine ſeltſame Stimmung über dem Bilde. Dunkle Woͤlken bedecken den
Himmel, ſie widerſtreben einer Helligkeit, die ſie zerteilen will; in einem un-
beſtimmten matten Licht ſchimmern die Gebäude von Jeruſalem und das Mauer-
werk des Raumes, der die beiden Männer umgibt. Dieſe ſelbſt aber ſind hell-
beleuchtet, daß der reiche Schmuck an ihren Kleidern und an Abſaloms Kriegs-
ſchwert glänzt und blitzt. Niemand könnte ſagen, woher bei einer ſolchen Dunkel-
heit ein ſolches Licht kommt; es iſt der künſtleriſche Ausdruck einer Empfindung,
das Licht des Friedens, das wie ein plötzlicher Himmelsſtrahl in die Nacht des
feindſeligen Haders hereinbricht (Abb. 100).
Das Wirken eines geheimnisvollen Lichts, für das es keine natürliche Er-
klärung gibt, deſſen Quelle nur eine künſtleriſche Einbildungskraft iſt, die an die
Stelle alles deſſen, was auf der Erde Licht ſpenden kann, eine ſelbſtgeſchaffene
Sonne ſetzt, beherrſcht von nun an Rembrandts Kompoſitionen. Mit einem
ſeltſam zauberiſchen Goldton beginnt es die natürlichen Eigenfarben der Dinge
aufzuzehren.
Nirgends tritt dieſes Licht ſo ſtark, nirgends aber auch ſo befremdlich in die
Erſcheinung, wie in dem größten und berühmteſten Gemälde des Meiſters, das
er in dem nämlichen Jahre 1642 vollendete. Das iſt das unter dem unzutreffenden
Namen „Die Nachtwache“ (oder „Die Scharwache“) bekannte Schützenbild im
Reichsmuſeum zu Amſterdam (Abb. 103). Wie Rembrandt zehn Jahre früher
die Mitglieder der Chirurgengilde und den Profeſſor Tulp in einem gemeinſchaft-
lichen Bilde abgemalt hatte, ſo wurde ihm jetzt die Aufgabe geſtellt, den Amſter-
damer Schützenhauptmann Frans Banning Cocq mit ſeinem Leutnant Willem
van Nuytenburg und ſeiner Korporalſchaft in einem großen Gemälde zu ver-
ewigen, das für den Saal ihres Gildehauſes beſtimmt war. Aber hier war eine
ungleich größere Zahl von Perſonen zu vereinigen, als in dem Chirurgenbild.
Rembrandts Vorgänger hatten derartige Aufgaben ſo gut es ging gelöſt und ſich
bemüht, einem jeden der Beitragzahler ſein Recht zukommen zu laſſen, daß er
ebenſo deutlich geſehen und erkannt würde wie die übrigen; die Vereinigung
der Perſonen bei einem Feſtmahl war die beliebteſte Art und Weiſe, Leben in
die Nebeneinanderſtellung der vielen gleichmäßig beleuchteten Bildnisköpfe zu
bringen. Rembrandt geſtaltete ein Bild bewegten Lebens, indem er den Augen-
blick wählte, wie die Korporalſchaft, im Begriffe aufzumarſchieren, aus dem Ver-
ſammlungshaus ins Freie tritt. Und über dieſen bewegten Vorgang goß er ſein
Zauberlicht aus, mit deſſen Hilfe er aus dem Genoſſenſchaftsbild der Amſter-
damer Schützen ein in ſeiner Art ganz einzig daſtehendes, jeden Beſchauer mit
einer ſeltſamen Macht ergreifendes Kunſtwerk ſchuf. Den Mittelpunkt der ge-
waltigen Licht⸗ und Farbenkompoſition bilden die beiden Offiziere. Wie ſie an der
Spitze der Korporalſchaft ſchreiten, ſind ſie ganz vorn im Bilde, nahe dem Be-
ſchauer. Der Hauptmann iſt dunkel gekleidet, der Leutnant in Gelb und Weiß.
Ein voller Lichtſtrahl trifft den Hauptmann am Oberkörper und hüllt den Leut-
nant in eine faſt blendende Helligkeit ein. Die im Geſpräch erhobene Hand des
Hauptmanns wirft einen ſtarken Schlagſchatten auf das treſſenbeſetzte Lederkoller.
Der Hauptmann führt als Würdezeichen einen Stab, der Leutnant trägt die
Partiſane in der Hand. Hinter den beiden Offizieren drängen ſich die mannig-
faltig gekleideten und ausgerüſteten Schützen mit Arkebuſen und Spießen; Ser-
geanten mit Hellebarden ſtellen ſich zum Ordnen des Zuges auf, und der Tam-
bour rührt ſeine Trommel. Der Fahnenträger mit einigen anderen iſt noch auf
den Stufen des Hauseinganges. Neben einem der Schützen, der eben beſchäftigt
iſt, im Gehen ſein Gewehr zu laden, läuft ein Knabe, der ſich eine Sturmhaube
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