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ſitzend, in großer und ruhiger Auffaſſung. Weitere Bildniſſe mit der Jahres-
zahl 1645 ſind die Halbfigur eines alten Rabbiners, im Kaifer-Friedrich⸗Mufeum
zu Berlin, und das Knieſtück eines jüdiſchen Mannes, anſcheinend eines wohl-
habenden Kaufmanns, in der Ermitage zu St. Petersburg. Dazu kommt ein Bild
von ganz anderer Art: ein kleines Mädchen, das mit aufgeſtützten Ellenbogen
über die Fenſterbank ſchaut, ein lichtes Kinderporträt von reizend kindlichem
Ausdruck (in der Kollegiumsgalerie zu Dulwich). An dieſes Mädchen erinnert
eine Zeichnung (im Britiſchen Muſeum zu London), die einen Höhepunkt in der
Sicherheit des Erfaſſens bedeutet Wie das Kind ſich einmal in eine Ecke
gekauert hatte und eingeſchlafen war, hat Rembrandt es mit ein paar Strichen
des Tuſchpinſels abgezeichnet, in ſchmäleren und breiteren Zügen, mit Heinen
Abwandelungen der Tonſtärke; durch einen kräftig einſetzenden und ſchnell aus-
klingenden gewaſchenen Ton als Hintergrund hat er das Figürchen zu körper-
hafter Wirkung herausgebracht Abb. 109). Sich ſelbſt malte Reinbrandt mehr-
mals in der Zeit von 1643 bis 1646, beſonders ſchön und in ausgeſprochener
Porträtauffaſſung in einem Bruſtbilde, das ſich im Buckingham-Palaſt befindet
(Abb. 113).

Wenn wir die Bildniſſe dieſer Zeit, zu denen Studienköpfe nach Juden und
anderen Modellen kommen, mit früheren vergleichen, ſo gewahren wir ein Wachſen
des Könnens. Das gleiche Maß von Vollendung, das ſonſt durch fleißige Sorg-
falt der Behandlung erzielt wurde, wird jetzt mit einer kühnen Sicherheit des
Farbenauftrags ſcheinbar ganz mühelos erreicht. Auch in Gemälden mit kleineren
Figuren wußte Rembrandt jetzt in noch geſteigertem Maße dem ſchweren Stoff
der Olfarbe Wunderkräfte zu entlocken. In den vierziger Jahren beginnt, un-
gefähr gleichzeitig mit dem Auftreten der eigentümlich goldigen Beleuchtung, in
Vembrandts Malexei die freie, auch im kleinen breite Vortragsweiſe, die das
Staunen und die Bewunderung aller iſt, welche die Gemälde des großen Meiſters
mit Handwerksintereſſe betrachten.

Das Kaiſer⸗Friedrich⸗Muſeum beſitzt zwei kleine Bildchen, nur Skizzen, von
1645. Das eine ſtellt die Frau des Tobias dar, wie ſie die Ziege heimbringt,
die ihr Mann nicht annehmen will wegen des Verdachtes, daß ſie geſtohlen fei
Abb. 110). Das andere verbildlicht mit großem Farbenreiz und poetiſcher Licht-
wirkung den Traum des heiligen Joſeph, wie ihm, während Maria und das Kind
ruhig ſchlafen, ein Engel erſcheint, um ihm die Flucht nach Ägypten zu befehlen.

Ein in halber Lebensgröße ausgeführtes Bild desſelben Jahres, in der
Ermitage zu St. Petersburg, enthält den Verſuch, bei einer Darſtellung der heiligen
Familie in ſtiller Häuslichkeit das Überirdiſche, das hier wohnt, durch ein äußeres
Mittel ſichtbar zu machen. Wieder zeigt uns der Künſtler eine ärmliche Hand-
werkerfamilie, und die Zugehörigkeit zum Judenvolke hebt er namentlich in dem
Kopf der Jungfrau hervor. In der dämmerigen Tiefe des engen Raumes ſehen
wir Joſeph bei der Zimmermannsarbeit. Vorn ſitzt Maria mit der Bibel auf
dem Schoße neben der Wiege; ſie unterbricht das Leſen und beugt ſich vor, um
das ſchlafende Kind durch Vorziehen eines Tuches vor dem hellen Licht zu
ſchützen, das in goldener Klarheit hereinflutet. Aber das iſt nicht das Alltags-
licht der Erdenſonne; mit ihm ſchwebt eine Schar von Englein aus der Hoͤhe
herab (Abb. 111).

Faſt macht es den Eindruck, als ob dem Meiſter dieſe Art, das Heilige zu
veranſchaulichen, wie ein Zugeſtändnis an das Faſſungsvermögen der Beſchauer,
die nicht in die Tiefe ſeiner künſtleriſchen Abſichten eindringen, vorgekommen
wäre. Im folgenden Jahre bearbeitete er die nämliche Aufgabe noch einmal;
und dieſes kleine Gemälde, das koſtbarſte Kleinod der Kaſſeler Galerie, iſt gleich-
ſam Rembrandts letztes Wort in der Verbildlichung der heiligen Familie. Eine
unergründliche Fülle von heimlicher häuslicher Poeſie hat der Künſtler in das
ſcheinbare Alltagsbild, wie eine Frau ihr Kind ſchlafen legt, hineingearbeitet.

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