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Koch, Günther
Kunstwerke und Bücher am Markte: Auktion, Fälschungen, Preise und was sie lehren; mit Anführung wichtiger Literatur über Kunstgewerbe, Malerei, graphische Künste, Bildnerei, Münz- und Medaillenkunde, Bücher und Handschriften alter und neuer Zeit; ein Buch für Kunst- und Bücherfreunde, Sammler und Händler — Eßlingen a.N.: Neff, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.52382#0514
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Was die Preise lehren.

und des Ausländischen. Wirtschaftlichen Motiven ist der ganze Protest entsprungen, ideale
Forderungen erklangen als untergeordnete Nebentöne nur leise mit.
Von vornherein waren die Protestler sich bewußt, welche merkwürdige Position sie ein-
nehmen und verteidigen mußten. So wies Karl Vinnen den zu erwartenden Vorwurf zurück,
daß er ein „Chinesentum“ anstrebe: er meinte natürlich die der Geschichte angehörenden alten
Chinesen, die sich durch eine dicke Mauer gegen die Außenwelt absperrten, nicht die Chinesen
von heute, die es weiter gebracht haben als das alte Europa, indem sie radikal alle Zöpfe sich
abgeschnitten haben. Auch mußte man sich von vornherein gegen chauvinistische Tendenzen
verwahren. Tatsächlich ging der Protest gleich in die Breite, wuchs sich zu einer Art Hydra
aus. Fritz Erler meinte ungefähr: Heute zieht man gegen die Franzosen vom Leder, morgen
aber schon dürfte man Grund haben, sich gegen den fernen Osten zu wenden, und übermorgen
müsse gegen „die wiedererwachende frühe Antike und das Primitive der sterbenden Natur-
völker“ zu Felde gezogen werden. Zudem konnte man an der heute so üppig wuchernden Kunst-
kritik und Kunstschriftstellerei nicht blind vorbeigehen; man mußte auch hier einige wuchtige
Hiebe austeilen. Aber schließlich konnte man gerade hier nur mit der flachen Klinge hauen.
So sehr ein rücksichtsloses Draufgehen gewünscht wurde, mußte man sich doch an die eigene
Brust schlagen und mußte überschlagen, wie wacker die Künstlerschaft auf dem Gebiete des
Schwatzens über Kunst und Kultur mittut. Diese kleine Einkehr ließ dann auch etwas Ein-
sicht dämmern. Man überlegte, daß Meier-Gräfe, der große Teufel, der schon durch die Kon-
struktion des „Fall Böcklin“ erbarmungslose Vernichtung verdient hatte — tatsächlich gar
nicht so gefährlich ist. Was hatte denn „Der Fall Wagner“ dem großen Richard geschadet?
All diese Rücksichten und Einsichten minderten die Stoßkraft des Protestes. Er wollte
ein Ausfallen nach allen Seiten und war doch nur ein zaghaftes, mit allerlei Entschuldigungen
verquicktes Gerede.
Aber ganz abgesehen von der verklausulierten Art des Auftretens focht man teilweise
mit stumpfen Waffen. Otto Greiner schrieb z.B.: „WTir standen einst so stolz da. Böcklin, Leibi,
Klinger, wirklich, es waren Türme in der Schlacht, und solche Leute, jeder bis in die letzte
Faser seines Wesens ein treues Abbild der guten Qualitäten der Deutschen, werden an die Wand
gedrückt wegen der Kapriolen jüngster Franzosen. Es ist zum Lachen, wenn es nicht so tief-
traurig wäre.“
Worauf zu fragen ist, wer Böcklin, Leibi, Klinger denn an die VZand drückt. Werden
heute nicht a le drei mit außergewöhnlichen Preisen und darüber hinaus mit höchster Ver-
ehrung gewürdigt? Jede Beschäftigung mit Preisen von Gemälden moderner deutscher Meister
widerlegt das An-die-Wand-Drücken, glaube ich, beredt genug.
Durchaus zu verurteilen ist auch die Meinung, eine Nationalgalerie müsse eine
Galerie inländischer Kunst sein. Ich kann mich nicht erinnern, ob dieser Standpunkt
in Vinnens Broschüre in die Erscheinung getreten ist; ich habe ihn aber in Gesprächen
über Tschudis Berliner Schöpfung sehr oft gehört. Eine Nationalgalerie ist ein Museum,
das der Nation gehört. Die Nationalgalerie in London umfaßt Gemälde aller Schulen,
das Britische Museum ist nicht ein Kabinett für Raritäten, die lediglich auf Great Britain
oder Greater Britain Bezug haben; das Victoria and Albert Museum ist weit davon entfernt, in
seinen Beständen die Victorianische Epoche zu illustrieren, die Bibliotheque Nationale in Paris
oder in Brüssel sind in ihren Beständen durchaus international usw. Ganz verkehrt ist daher
auch die Äußerung des Direktors des Leipziger Museums, Geheimrat Prof. Schreiber, die das
ihm unterstellte Museum „geradezu als abschreckendes Beispiel anführt, weil dessen Gründer
in Paris lebte und sammelte und seiner Gründung dadurch von vornherein einen undeutschen
Zug auf prägte“. Das hat man in Leipzig doch offenbar gewußt, als man die Schenkung an-
nahm. Wo sollte man denn hinkommen, wenn man selbst bei Schenkungen mit aßdeutschen
Allüren rechnen müßte.
Der erste Posaunenstoß des Protestes verwarf quasi die französische Malerei als solche
an und für sich. Hier setzte denn auch der Gegenprotest ein.
 
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