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§. 9. Wenigstens einmal im Jahre werden an einem näher ;u be-
stimmenden Tage sämmtliche Mitglieder des Vereins zu einer Gene-
ral-Vers«mmlung berufen, worin die Rcchnungßlage des vergangenen
Jahres Slatt findel und dem Vereine von dem Wirken und Fort-
schreiten desselben Kenntniß gegeben wird.

Z. 10. Jn diesen General-Vecsammlungen müssen auch alle Anord-
nungen und Vorschläge berathen werden, welche Abänderung der Sta-
tuten oder organischen Einrichtungen bezwecken, weßhalb auch nöthi-
qen Falls der Vorstand die Vereins-Mitgliedcr zu außergewöhnlichen
Versammlungen berufen kann.

h. 11. Bei den Berathungen des Vorstandes sowohl als der Ge-
neral-VersammIungen entscheidet cinfache Stimmen-Mebrheit, und bei
Stimmen-Gleichheit gibt die des Vorsitzenden dcn Ausschlag.

tz. 12. Dec nach h. 6 zu erwählende Vorsitzende de« Verwaltungs-
Ausschusses führt auch in den General-Dersammlungen den Vorsitz.

tvie die chrittlichtn Völkertthatten des Mitielaltrrs
Kirchen bauten.

Bon Prisac.

Wenn wir die vielen und großartigen kicchlichen Bauwcrke aus
dem Mittelalter erblickcn, womit so manche, zuweilen nicht einmal be-
deutende, Skädle geschmückt sind, und crwägcn, wie die Aufführung
von jenen gegenwärtig die Schatze von Königreichen in Anspruch neh-
men würden, so ist die Frage wohl eine ganz natürliche: Woher hat
eine Aeit, die doch so mancher Handgriffe entbehcte, die Hülfsmittel
und Forlschnlte nicht kannte, wodurch die Gegenwart hervorragt und
so gewalrig «ingreift inS Leben, die Mittel hergcnommen zu so mäch-
tigen Schöpfungen, die wir meistens nur anstaunen können und zu
deren Erhalkung wir das Mitgefühl der Völker anrufen? Die allge-
ineine Antwort ist: Die Begeisterung der Aeit hat sie geschaffen. Da-
mik ist Alles und zugleich auch — nichts gesagt. Alles, weil sie daS
belebende Princip seinem ganzen Umfange nach bestimmt, nichts, wcil
wir die geheimen und offenbaren Tricbfedern, das ganze Rädcrwerk,
welches zur Erreichung jenes erhabewen ZwcckeS in Bewegung gesetzt
wurde, noch gar nicht kennen. Wic wollen cS versuchen, der Beanl-
wortuug jener Frage zugleich eine praklische Bedeutung abzugrwinnen
und die Lösung derselben nach unsern schwachen Kräften, aber nicht
ohne die Vordereitung cines langjährigen, ernsten Studiums derVöl-
ker und ihrer Hinterlassenschaften in den Erzeugnissen dcr Kunst und
Wiffenschaft, theils nach unmiltelbarec Anschauung, theils aus zuver-
läsflgen Qucllen zu beginnen.

Die neuere Aeit, welche uns mit so mannigfachen Zweigen der
Wissenschaft bereicherte, durch deren Hülfe eS uns möglich wird, ticfer
einzudringcn in die Geheimnisse der Nalur, scheint auch für die Ge-
schicbte der Kunst neue Wege zu bahnen. Sie will die Denkmale durch
Denkmale erklären. Herr Mertens, dessen Vsrlräge über Monumen-
tal-Geschichle ich nur vom Hörcnsagcn kenne, scheint in dcr Kunstge-
schichte den Weg einzuschlagen, den uns bie vergleichende Anatomie,
Osteologie in den Naturwissenschaften geöffnet. Es ist der einzige
Weg, auch mit der Chronologie der Kunstwerke aufs Reine zu kom-
men. Freilich ist dieses Studium sehr mühselig und kostspielig, denn
es laßt sich nicht aus Büchern trciben, sondern nur durch unmittel-
bare Anschanung, durch Reisen, mit Geld und Zeitaufwand. Die
Werke der Baukunst haben ihre eigene Physiologie; wer sie nicht
kennr, mit dem ist schwer darüber zu sprechen, und wer ohne Kunde
derselben schreibt, bringt nur Vcrwiriung in die Sache. Doch zu un-
serm Zwccke.

Fragen wir nach den Mitkeln, welche den christlichen Bölkerschaften
des Mittelalters zur Ausführung ihrer grandi'vsen Kirchengebäud« zu
Geboke stanven, so müssen sie im Ällgemeinen in solgenden Puncten
gesunden werden:

Jene Aeit hatte:

1) ein sehr ticfes und lebendiges Gefühl für Religion;

2) ein Bedürfniß zu genossenschaftlichem Verbande, worin sie nicht
nur Großes, sondern auch in seinrr Art VoüendeteS erreichte;

3) viel Poesie;

4) ein gemeinschaftlicheS Band, das alle Völker vereinte, wenn cs
einen allgemeinen Zweck galt, und dei den großartigsten Unterneh-
men keinen Unterschied machle zwischen Dcnlschen, Franzosen,
Engländern, am wenigsten aber zwischen Süd- und Norddeutsch-
land.

Es bleibt unS nun sowohl für die Wahrheit dieser Behauptungen,
als ihr Verhältniß zum christlichen Kirchenbau der Beweis. Also »a

1) Das Mittelalter hatte ein tiefes Gefühl für Reli'gion, und daß nur
dieses Kirchen gründen kann, hängt so ziemlich nahe zusammen. Denn
das Bedürfniß baut und sorgt für die Mittel. So gründet Ueppigkcit
und Wvhlleben Paläste, die Nothwendigkeit 'oes Krieges Eascrnen, die
Uebertrekung der öffentlichen Sicherheit Zuchthäuser, ünd dloß die Re-
ligion — Kirchen. Das Gefühl für Religion im Miltelalter offendarte
sich in seinen gcsammten Einrichtungen. NichtS ward begonnen, nichts
fortgesctzt, nichls geendet ohne die Weih« der Religion. Für sie kannt«

man keine Opfer. Das Theuerste, was man hatte, sein ganzeS Vermö-
gen, fich selbst, W-ib und Kind, gab man für sie hin. Die Gründung
einer Kirche hielt man an und für sich für ein gutes Werk. Man
betrachlele sie wie ein Almosen, das Sündcn vergebe, alS eine Hand-
lung der Goltesverehrung, womit man den Himmel verdiene, als ein
Werk der Dankbarkeit sür Erretkung aus großen Gefahren oder für
gewährte Wohlthaten. Kinderlose Eltern gaben nicht selten ihr gan-
zes Vermögen zum Neubau einer Kirche und verbrachtcn den Rest
ihrer Tage in dem von ihnen gcbauten Kloster. Angesehene Ritter
(mllites, wie die gleichzeitigen Uckunden sie nennen) und mächtige
Herren opferten beträchtliche Thcile von ihren Besitzthümern, reiche
Kaufleute und städtische Genossenschasten Summen, die, nach jetzigem
Geldwerthe geschätzt, ins Enorme gehen würden.

Aber nicht bloß dec Zwcck war auf jene W-ise geheiligt, sondern
auch die Art unb Weise, wie man ihn ins Weck zu setzcn suchte.
Man gab nicht nur von seinem Vermögcn, was man hatte, sondern
legte auch selbst khätig Hand ans Werk. Da sah man Krieger, bei deren
Namen die Saracenen geziltert, als gemeine Handlanger Karren schie-
ben und Steine wälzcn. Die Volkssage nennt uns namentlich bei dem
Baue dcs alten Domes zu Köln einen der ausgezeichnetsten Helden
seiner Zeit, dcn Rcinold, cines der vier Haimonskinder, als gemeinen
Arbeiter. Die Normannen, denen einstens kein Mcer zu stürmisch,
keine Veste zu steil, kein Wagniß zu kühn, die in ihren wilden Stür-
men in dcn Jahren 881, W2 *) u. s. w. so manchen christlichen
Tempel mit einer besondcrn Wuth zerstört, wurden endlich durch die
christliche Lehre bezwungen und die eifrigsten Gründer und Vertheidi-
ger der Kirchen**).

Der fromme Sinn dcs Mittelalters galt aber nicht bloß dem Baue
von Kirchen, zu dessen Zwecke sich Brüderschaften bildeten, son'oern
auch dem Baue von sonstigen, die allgemeine Wohlfahrt fördernden
Werken. Es gab sogar einen eigenen religiösen Orden für den Brücken-
bau, povtiSes« ***) genannt.

Für den Kirchenbau abcr spendete man nicht bloß das Letzte, waS
man hatte, sondern auch angcsehene Leute, Lente von köni'glichem Ge-
blüte, standen nicht an, von Thür zu Thür zu wandern und die
christliche Mildlhäkigkeit persönlich in Anspruch zu nehmen. Dcnn
man arbeitete nicht für die Zeit, sondern für die Ewigkeit, nicht füc
die Erde, sondern für den Himmel und für den Schöpfer desselben.
Diese Jdee zeigte stch im Slyle wie in dec Ausführung der Bau-
werke. Bei allen stand die Kirche an dcr Spitze. Sie gab die Weihe,
den Segen und öffnete den Schatz der Verdienste Christi. Aber man
war sich so Vielcs bewußt, man hatte den Hciland beleidigt, man
beichtete, man communicirte, man hatte etwas wider und mit dcm
Nachsten, und so versöhnte man st'ch mit ihm. Frauen brachten ihren
Schmuck, Ritler hängten ihre siegreichen Waffcn auf, die Kaufleute
schlossen ihre Läden, und so ging man hcilig an daS heilige Werk.
Jch will statt zghlloser Beispiele nur Eines erwähnen. Der h. Franz
von Assisi, wegen seiner gefa'lligen, gci'strcichen Unterhaltung und fei-
nen Sitten, die er in Frankreich erlernt, Signor Francese genannt
(denn cr hieß ursprünqlich Johannes), erkannte die Eitelkei't seines
TreibenS. AlS er einstcns inbrünstig in einer Kirche betete, hörtr
oder glaubte er zu hören: „Geh hin, Franz, bessere mein HauS, wel-
cheS, wie du siehst, ganz zu verfallen droht." Franz folgte dem Rufe;
er gab nicht nur, was er bcsaß, und verwendete es züm Kirchenbau,
sondern er verkaufte auch noch einige Stücke Tuch, übergab das Geld
dem Pri'ester und bat, bei ihm zu bleiben. Ungeachtet der Vorstellun-
gcn und Gewaltthätiqkeiten seines Vater« blieb Franz hier, sammelte
allerwärts Almosen für den Wiederaufbau jener verfallenen Kirche,
wozu cr Kalk, Hol; und Steine selbst hinschlepple-f). Jn einer ähn-
lichen Weise gründete die h. Brigitta in Schweden, aus königlichem
Geblüte entsprvsscn, die Kirche zu Wadstena. Daß man sich in der
Absicht, am Kirchenbaue mil thätig zu sein, dem Kloster als soontr
oder odi->ii ganz hingab mit Leib und Leben, war häufig.

2) Die gcnosscnschaftlichen Verhältnisse des Mittelalters, das Städte-
wescn mit seinec selbstständigen Vcrfassung, das Aunflwesen mit sei-
nen auSgebildeten Einrichtungen, die geistlichen Orben lcisteten dem
Kirchenbaue einen Vorschub, der uns entwcder ganz oder zum Theile
mangelt. Zencr Vorscimb bestand aber erstlich darm, daß die Ge-
nossenschaft, die ein Kirchcnwerk unternahm, auch ibre Ehre darein
setzte, etwaS GroßeS zu beginnen. An Geld wurde gar nicht gedacht.
Die Engherzigkeit cines noch gcgenwärtig in den mcisten Fällen so
gut wie unnützen Kostenanschlages kannte man gar nicht. Das Bau-

^) ^nnsIesSeiilenses, bei Pertz: Lkrovicon Keginonis krum. m dcr SüMM»
lung script. ker. xeim., bei Pistorius.

**) Die Normandie, die von tincm sehr geistvollen Schriftsteller unserer
Tage das Land der Kirchen genannt wird und von allen Provinzen
des schönen Frankreichs am längsten und kräftchsteil das germanische
Element bewahrt hat, enchält auch eine Claffe von Kirchen, wodurch
sich die Rheinlande besonders auszeichnen und die in manchen Ländern
sast ganz verschwunden oder doch seltcn find, nämlich jene des Ueber-
gangSstyles.

^*)DieMönchs-, Nonnen- und geistlichen Ritterorden nach ihren verschiedenen
Ordcnsregeln und Schicksalen auSführlich dargestellt von C. Schmid.

f-) Schmid a. a. O.
 
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