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DER APOLLOTEMPEL IN METAPONT

war in Relief mit Anthemien — abwechselnd Blüten und Pal-
metten von freierer, fortgeschrittenerer Zeichnung als die an dem
Säulenhals des Tempels in Locri — verziert und trug an der Trauf-
seite als Wasserspeier einen grofsen, schönen Löwenkopf, etwa
im Stile der Löwenköpfe des Zeustempels in Olympia; an der
Giebelsima fehlten natürlich die Wasserspeier. Von der Längs-
sima giebt es mehrere Varietäten, hauptsächlich zwei (de Petra
Taf. 1 und Luynes Taf. VII), auch rohe Stücke von einer späten
Restauration. Das Auflager der einzelnen an der Langseite 0.62
breiten Werkstücke ist niemals ganz erhalten. Von den Dach-
ziegeln finden sich an Ort und Stelle auch mehrere Varietäten,
die uns in Neapel nicht vollzählig vertreten zu sein schienen;
es sind Flachziegel von nur 52 cm Breite mit rundlichem
Rand und kantige, sehr breite Deckziegel (28 cm). Luynes hat
auch ein Fragment eines bemalten Deckziegels abgebildet:
davon gab es kein Exemplar in Neapel. Uebrigens hat Lacava
bei dem Tempel auch Reste von Löwenköpfen aus parischem
Marmor gefunden.

Während über das eigentliche Dach und die Sima des
Apollotempels kein Zweifel aulkommen kann, sind die sog.
Kästen, dreiseitige für einen Kern 0.09 tief sorgfältig recht-
winklig geschnittene Verkleidungsstücke, die aufser der
Vorderseite auch unten Ansiehtsfläche, oben aber keine auf An-
sicht berechnete Fläche haben und in der Vorderseite von
Nagellöchern durchbohrt sind, verschieden beurteilt worden.
Es giebt nach de Petra zwei Sorten von Kästen, die eine, wie
es uns schien, ältere, mit gemaltem Mäander auf der Vorder-
flache, die andere in Zeichnung, Farbe und Form wenig ab-
weichend, aber in den inneren Mafsen übereinstimmend, mit einem
reliefierten Mäander zwischen den Kymatien. Von einer dritten
altertümlicheren Sorte --de Petra erwähnt sie nicht — schienen
uns einige Eierstabfragmente mit breiten, flachen und flach
umränderten Blättern herzurühren (das Kyma der Länge nach
durchbohrt); die Vorder- sowie die Unterfläche war dazu nicht
vorhanden.

Diese Kästen hatte de Luynes wohl als Verkleidungen er-
kannt, aber genau ihren Platz am Tempelgebälk, etwa im
Pteron, nicht bestimmen können, Hittorff sie dagegen auf die
hölzernen Deckbalken im Innern gesetzt. Nach Analogie der
olympischen und sicilischen Funde hat dann aber Dörpfeld
(a. o. S. 15 a. 0. S. 11) die Kästen ohne Bedenken für OeisonVer-
kleidungen erklärt und sich darin auch nicht durch das auf der
Ruine noch vorhandene Geison des Tempels beirren lassen, indem
er darüber einen zweiten zur Aufnahme der Bekleidung
dienenden Stein, wie ihn der Tempel C in Seimus hat, er-
gänzte. Das ist jedoch aufserordentlich unwahrscheinlich,
eigentlich ganz undenkbar. Denn der von Dörpfeld ergänzte Ter-
racottaträger müsste ja vorn, anders als an C in Seimus, über
dem Geison (um ca. 15 cm) vorkragen und mit dem Geison des
Geloerschatzhauses verglichen den Absatz, den unten bereits
die Scotia bildet, oben tautologisch wiederholen. Verkleidungen
des Geison mit Terracotten sind zwar sicher in Metapont üblich
gewesen: ein derartiges Fragment hat Dörpfeld Taf. IV 11 mitge-
teilt, ein anderes von einem altertümlichen Traiifziegel, an dem
oben eine durchbrochene Palmettensima, unten die Geisonveiklei-
dung safs, und ein gleichartiges aber jüngeres Fragment, an dem
die Verkleidungsplatte einen Löwenkopf hatte, befinden sich in
der metapontischen Sammlung zu Neapel, aber bei der Clücsa di
Sausone sind die Kästen unmöglich mit dem Geison zu ver-
einigen.

Für die Entscheidung der Frage, wohin denn sonst die
Kästen gehören, hat de Petra kein neues Material beigebracht.
Schon früher hatte Durm (Die Baustile I"2 129) gesagt: „Die
Art der Befestigung dieser Bekleidungen - — auf Holzwerk
ist durch die Stücke in Metapont klar gelegt worden. Die in
grofser Anzahl dort vorhandenen, reliefierten und bemalten,
33 Va cm hohen Thonkästen zeigen seitlich viereckige Löcher,
durch welche Kupfer- (nicht Bronce-) Nägel in das zu beklei-
dende Holzwerk getrieben wurden. Krumm gebogene Kupfer-
nägel stecken z. T. noch in den Löchern. Eine gröfsere An-
zahl von solchen, welche genau in die Oeffhungen passen, sind
in den Glaskästen des sog. Museums in Metapont verwahrt; sie
messen durchweg 13 cm in der Länge, sind vierkantig und
haben einen viereckigen Kopf. Metall, Form und Gröfse der
Nägel lassen die ehemalige Befestigung im Holze aufser allem
Zweifel; eben so lässt der Umstand, dass die Terracotten auf
der Rückseite nirgends Mörtelspuren, sondern die ganz reine
Thonfläche zeigen, darauf schliefsen, dass dieselben nur gegen
Holz verwendet wurden." Auf S. 130 hat Durm veranschau-
licht, wie er sich einen Holzbalken auf den Seiten mit den
Kästen vom Apollotempel und auf der Unterseite mit einer
einfachen glatten Platte veiddeidet vorstellt.

Allerdings wird man, wie es auch de Petra verlangt, vor
einer endgültigen Entscheidung eine weitere Untersuchung der
Ruine sowie der Terracotten abwarten müssen, aber einstweilen
ist es auch unsere Ueberzeugung, dass die Kästen, von der Ver-
kleidung der Tragbalken der Pterondecke herrühren. Man darf
doch die so häufig gefundenen Terracottaverkleidungen nicht,
wie Dörpfeld und seine Genossen gethan haben, ausschliefslich
in ein und dasselbe Register schieben, und die sicheren Geison-
verkleidüngen beschränken sich auf die hocharchaische Zeit des
dorischen Stiles. Wir sehen z. B., dass in Selinus schon bei dem
Tempel D der Terracottaschmuck vom Geison ausgeschlossen
wurde, und dann sind die Denkmäler, wo ihr Nichtvorhanden-
sein am Geison nachweisbar ist wie F und G in Selinus u. a.,
aufserordentlich zahlreich; an einem Tempel neuen Stiles kann
von diesen archaischen Decorationsversuchen gar keine Rede
mehr sein. Andererseits: was hat denn eigentlich eine Thon-
verkleidung bei den Pterondecken besonders Auffallendes'?
Man muss sich doch die Frage vorlegen, wie die steinernen
Pterondecken zu ihrer reich mit Kymatien verzierten Cassetten-
form gekommen seien. Für die Aufsendecoration ist ja die Ent-
stehung der steinernen Simen von F, des sog. Herculestempels
in' Akragas u. a. aus der Terracottaverkleidung sicher nach-
weisbar und zu dieser Umwandlung der Corona würde die
thönerne Cassettendecke als Vorläufer der steinernen Pteron-
decke eine genaue Parallele bilden. Aufserdem glauben wir
die thönerne Cassette bei den Tavole gefunden zu haben, so
dass es nur darauf ankommen würde, in jedem einzelnen Falle
die Zugehörigkeit etwaiger Terracottakästen zum Gesims oder
zur Pterondecke festzustellen. Ein für alle mal jedes Verklei-
dungsfragment, namentlich aber die jüngeren Stiles ausschliefs-
lich auf eine Geisonverkleidung beziehen zu wollen, würde die
Untersuchung eher verwirren als klären. In Metapont dürfen
wir vielleicht mit de Petra hoffen, dass eine neue gründliche
Untersuchung der Ruine, die für den ganzen Oberbau höchst
wünschenswert ist, auch an Terracotten weitere beweiskräftige
und entscheidende Stücke zu Tage fördere.

Die Datierung des Apollotempels wird nicht ganz und
gar von der Sima und den Terracottakästen abhängig gemacht
 
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