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DIE TEMPEL VON SELINUS

Die Tochterstadt von Megara Hyblaea, Selinus, ist unter
| dorn Bei stände ihrer Mutterstadt — man hatte den Oi-
kisten Tammilos (oder Pamillos) aus dem nisäischen
Megara geholt — 628 v. Chr. an der Südküste Siciliens weit im
Westen gegründet worden. Schon 409 v. Chr. von den Karthagern
zerstört, hat es in einer kurzen Blütezeit von 220 Jahren auf
einem vorgeschobenen Posten gegenüber den Elymäern und
Phönikiern die hellenische Kunst und Kultur würdig und ruhm-
voll vertreten: aufser dem Schatzhause in Olympia zeugen
noch heutzutage, wenn auch nur in Ruinen mehr oder minder
gut erhalten, sieben grofse, meist sogar kolossale Peripteral-
tcnipel und eine höchst ansehnliche Cella, sämtlich Bauten
ersten Ranges und von gröfstem Werte für die Kunstge-
schichte, von einei- erstaunlichen Bauthätigkeit auf sacralem
Gebiet, und dazu lassen versprengte Reste noch auf andere,
ebenso bedeutende, aber verschwundene Bauten alter Zeit
schliefsen, ohne dass uns bekannt wäre, was die eigentliche,
innere Stadt an Heiligtümern enthalten habe.

Nach 409 v. Chr. hatten die Karthager der Stadt wieder
eine klägliche Existenz vergönnt; sie vollbringt trotzdem noch
einmal eine hervorragende architektonische Leistung, aber auf
fortifieatorischein Gebiet — es ist die grandiose Befestigung
an der Nordfront der Akropolis, von Hermokrates z. T. mit
Werkstücken zerstörter Bauten aufgeführt. Für die Götter
scheint sie nichts Ansehnliches mehr vermocht zu haben. Nur
das Propylon zu der genannten Cella wird erst in dieser zweiten
Epoche der Stadt errichtet worden sein; aber von einem
kleinen Prostylos (B) ist es ungewiss, ob er nicht vielmehr schon
der Zeit nach 249 v. Chr., wo Selinus von seinen karthagischen
Herren abermals vernichtet wurde, zugeschrieben werden muss.

Die erhaltenen Tempel sind auf drei Bezirke des selinunti-
schen Stadtgebietes verteilt: fünf, nach der seit Hittorff üblichen
und so lange sie nicht sicher benannt werden können sehr be-
quemen Buchstabenzählung O, A, B, C und D, liegen inner-
halb des kleinen Abschnittes der Stadt, den man nach seiner
Gestalt und nach seiner Lage am Meere, wenn auch nicht nach
seinem Höhen Verhältnis als die Akropolis von Selinus betrachten
muss. Die anderen vier sind aufserhalb der Stadt angelegt
worden, und zwar drei (von Serradifalco, dem man heute zu
folgen pflegt, E d. i. ein Heraion, P und G d. i. ein Apollonion,
von Hittorff R, S und T gezählt) im östlich auf der Höhe über dem
kurzen aber breiten Tliale des.Gorgo di Cottone, die erst neuer-
dings entdeckte Cella endlich, ein Megaron der Demeter, das
Salinas T beziffert hat, im Westen jenseits des Flusses Selinus
(Modtone) am Rande der Dünen, worauf sich die Nekropole
von Manicalunga befindet, bei Gäggera.

Was sich auf die Geschichte der Stadt, auf die Topographie
sowie auf die Ruinen und deren Untersuchung bezieht, ist von
0. Benndorf, Die Metopen von Selinunt, Berlin 1873 (vergl.
Schubring in der Arch. Zeitung XXXI, 1873, 71) sorgfältig zu-
sammengefasst worden. lieber die Ausgrabungen an den
Tempeln berichtet er bis zum Jahre 1872. Wir verweisen hier
den Leser darauf und recapitulieren, auch über 1872 hinaus,
nur das, was für unsere Darstellung der Tempel von Belang
gewesen ist. Zum ersten Male hatten die beiden englischen
Architekten Angell undHarris 1822/23 die selinuntischcn Ruinen
auch mit Hülfe von Ausgrabungen untersucht, wobei sie die
berühmten zuletzt von Benndorf herausgegebenen Metopen
der Tempel C, E und F entdeckten. Diesen Erfolg büfste
Harris mit dem Tode (s. Sculptured Metopes discovered amongst
the ruiiis o/ the iemples oj the ancient city of Selinus in Sicily by
William Harris and Samuel Angeü in Ihe year 1823, described by
Samuel Angell, and Thomas Evans, airhilecls. London 1820. foh).
Im Winter 1824/25 hatte dann Hittorff mit seinem Schüler
Zanth und mit dem Architekten W. A. Stier die Ruinen auf-
genommen und studiert, aber doch die Tempel in manchen
wichtigen Einzelheiten nicht so dargestellt, wie sie sind, son-
dern wie sie nach seiner Auffassung hätten sein sollen. Wir
citieren nicht die erste textlose Ausgabe seines Werkes von
1827, sondern die zweite: Architecture antique de la Sicile.
Recueil des Monuments de Segeste el de Se'linou/e mesures et
dessine's par J.-I. Hittorff et f. Zanth, suhi de recheirhes sur
l'origine et le developpemeni de l'architecture religieuse chez les
Grecs par J.-I. Hittorff. Paris i8yo. Endlich ist Selinus in
gröfserem Mafsstabe, aber meistens nicht gründlich genug von
Serradifalco im II. Bande seiner Antichita della Sicilia, Palermo
1834, behandelt worden; die Aufnahme an Ort und Stelle hatte
1831 hauptsächlich F. Saverio Cavallari gemacht, damals
20 Jahre alt und sich vielfach an Hittorff anlehnend, aber in
seiner leider nur sehr kargen Berichterstattung zuver-
lässiger.

Höchst verdienstlich ist es, dass die italienische Regierung
in neuerer Zeit unausgesetzt die Untersuchung und Ausgrabung
der Ruinen von Selinus betrieben hat. Zunächst war seit dem
April 18G4 Cavallari als Direttore delle antichita di Sicilia dazu
berufen worden (vergl. die Schilderung seiner Persönlichkeit von
A. Hohn in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung, München 189G
No. 245) und er ist in Selinus bis zum Frühjahr 1883 eifrigst thätig
gewesen, bisweilen von seinem Sohne, dem Ingenieur Christoforo
Cavallari unterstützt. Ueber seine Ausgrabungen pflegte er in dem
etwas seltenen Bulleltino della Commissione di antichita e belle arti di
Sicilia, Palermo 18G4—1875 (citiert als Bull, sie.) zusammenfassend

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