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Krause-Schmidt, Heike
"... ihr Brodt mit kleiner Silber-Arbeit erwerben": die Geschichte des Gmünder Goldschmiedegewerbes von den Anfängen bis zum Beginn der Industrialisierung, unter besonderer Berücksichtigung der Filigranproduktion — Schwäbisch Gmünd: Einhorn-Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52957#0122
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und die Entfernung der Reiseziele betraf. Auffallend dabei ist jedoch, daß Roell die meisten
Orte nur als Durchgangsstation benutzt hatte oder um kurzfristig seine Reisekasse aufzubes-
sern und mehr Zeit auf Reisen als bei der Arbeit war. Längere Aufenthalte kann man nur in
Wien (sieben Monate), Preßburg (über ein Jahr), Schwäbisch Gmünd (über zwei Jahre),
Lichtensteig (sieben Monate und fast zwei Jahre), und Rom (sieben Monate) festmachen.
Die Regel wird vermutlich eher gewesen sein, daß ein Geselle die vorgeschriebenen drei
Jahre absolvierte, um anschließend sich auf schnellstem Wege als Meister im Handwerk
eintragen zu lassen.
Exkurs: Die „Zeichnungsschule“
Wie aus den beiden vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, herrschte in Gmünd vor al-
lem im 18. Jahrhundert handwerkliche Inzucht; den Lehrjungen und vor allem den Gesellen
fehlte jegliche Motivation, ihre Heimatstadt zu verlassen, um neue Arbeitsweisen und neue
Stile kennenzulernen, das Mittel verhinderte durch seine reaktionäre Engstirnigkeit jegliches
Eindringen von Innovationen, und der Rat förderte diese Tendenzen durch eine rigorose
(Nicht-)Zuzugspolitik. Das Goldschmiedehandwerk war nicht mehr imstande, neue Impulse
zu entwickeln, besonders seit die Goldschmiede den Absatz ihrer Ware nicht mehr selbst ab-
wickelten, sondern sich dies zunehmend von den Handelsleuten aus den Händen nehmen
ließen. Fehlte ihnen schon durch die geringe Wahrnehmung der Wanderschaft in der Gesel-
lenzeit der Kontakt nach außen, so verschärfte sich dies durch die Absatzpolitik noch mehr.
Man kochte in Gmünd sozusagen „im eigenen Saft“, was das Goldschmiedehandwerk be-
traf; weder technische noch schöpferische Novitäten fanden, beziehungsweise ließ man den
Zugang zur Stadt finden. Somit fällt die Gründung der Zeichnungsschule in Gmünd in eine
Zeit des Tiefpunktes innerhalb des Gewerbes. Beispielgebend für die Gründung mag die so-
genannte „Zeichenakademie“ in Hanau gewesen sein, die 1772 durch den Landesherrn zur
Förderung des dort ansässigen Goldschmiedegewerbes errichtet worden war (vgl. S. 134).
Ob es für die Gmünder Gründung einen aktuellen oder konkreten Anlaß gab, darüber
schweigen die Archivalien; auf jeden Fall arbeiteten der Stadtsyndikus Beißwinger, der
Stättmeister Frankenstein, der Kassierer Baitz und der Senator Schedel einen Entwurf zur
Errichtung einer Zeichnungsschule aus, der am 7. Mai 1776 in Pleno verlesen (. . .) und gut
geheißen wurde.598 Auslösender Gedanke hierfür sei, daß man die Jugend durch eine solche
Schule sich zu der zu ergreifenden Profession geschikter, und seiner Zeit zu Gewinnung
der Nahrung fähiger machen könne und daß durch diese nüzliche Beschäftigung manche
Stunde, die sonst müssig zugebracht oder der Ausschweifigkeit (. . .) gewidmet würde, so-
wohl in Ansehung der Sittlichkeit, als des Nahrungsstands wohl angewendet werden dürfte.
Aus diesem Grunde solle die Zeichnungsschule für jedermann, d. h. für Angehörige sämtli-
cher Handwerksgruppen, zugänglich sein. Bereits am 25. April 1776 hatte man sich im Wai-
senhaus getroffen, um Grundsätzliches abzuklären. Als Ort, wo der Unterricht stattfinden
sollte, wurde zuerst die Wohnung des Zeichenlehrers in Erwägung gezogen; da die Schule
aber öffentlich und für jedermanns Zutritt offenstehend sein sollte, kam man überein, daß
die Wohnung zu klein sein könnte. Deshalb stellte man im oberen Stockwerk des Waisen-
hauses599 ein Zimmer bereit. Sollte sich die Zahl der Lehrjungen in einem Maße vermehren,
daß diese nicht mehr in dem Raum Platz finden, so wollte man einen Nebenraum zusätzlich
nutzbar machen. Die Ausstattung des Raumes plante man für zwanzig bis dreißig Personen:

598 (Sta LB) Bestand 178 Bü 140 (S. 1003), 7. Mai 1776.
599 Erbaut in den Jahren 1768 und 1769. Im Waisenhaus war zusätzlich die „Deutsche Schule“ untergebracht.

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