Das Bild mit dem Evangelisten Matthäus im Ada-
Evangeliar ist über ein Jahrzehnt jünger als die ge-
genüberstehende Initialligatur. Hofskriptorium
Karls des Großen, Anfang 9.Jahrhundert. Trier,
StB, Cod. 22, fol. 15v - 16r (36,6 x 24,5 cm).
men übernehmen. Offensichtlich gibt es hier ein
Bemühen, von außen kommende Kräfte zumindest
summarisch in einen Hofstil zu integrieren und ein
einheitliches Erscheinungsbild der Handschriften
zu sichern. Man kann das als ein typisches Phäno-
men einer Hofkunst bezeichnen, der es ja einerseits
darum gehen musste, die besten Kräfte - vielleicht
auch nur zeitweise - anzuziehen, und andererseits
ein disparates Erscheinungsbild zu verhindern.
Auch namentlich bekannte Schreiber und - ver-
mutlich - Maler aus dem Hofskriptorium haben
wahrscheinlich später in anderen Skriptorien gear-
beitet, vielleicht denselben, in denen sie eine erste
Ausbildung erhalten hatten und in die sie zurück-
gekehrt waren. So ist Godescalc mit großer Wahr-
scheinlichkeit für 787 als Diakon in Lüttich belegt.
Dass die Hofwerkstatt, die man spätestens ab
795 in der Winterresidenz Aachen vermuten darf,
ein Ort war, an dem diese auswärtigen Künstler
noch einmal geformt, sozusagen „weitergebildet"
wurden, wird etwa für den Fuldaer Malermönch
Brun Candidus durch Quellen belegt. In ihr wur-
den die Maler im Besonderen mit den wiederent-
deckten antiken Prinzipien des Raumes und der
Körperlichkeit der menschlichen Figur konfron-
tiert, die in der Kunst nördlich der Alpen seit min-
destens zweieinhalb Jahrhunderten völlig außer
Gebrauch geraten waren. Der Hof als Bildungsstät-
te und Vorbild mit römisch-imperialem Anspruch
war lange der wesentliche Träger dieser Renais-
sance. Doch mitten in dieser Antikenrezeption ha-
ben sicli spezifisch frühmittelalterliche Elemente
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der Zeiten
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