52 DAS KUNSTGEWERBE AUF DER KUNSTAUSSTELLUNG IN BERLIN UND MÜNCHEN 1898
und von Heibig & Haiger entworfene Pianino mit
seinem figürlichen Fries aus. „Als der Grossvater
die Grossmutter nahm«, zu Anfang unseres Jahr-
hunderts, da mochten sie wohl einen solchen Raum
mitbekommen haben, wenn sie vorsichtig in der Wahl
ihrer Eltern waren. Denn das Zimmer war bei aller
Einfachheit der Formgebung kostbar. In seiner be-
merkenswerten künstlerischen Erscheinung führte es
uns vor Augen, wie schnell wir leben und wie sehr
die Biedermeierzeit für uns bereits beginnt, eine
historische Zeit in des Wortes überkommener Be-
deutung und ihr Stil ein historischer Stil zu sein.
Weiter auf den interessanten Raum einzugehen würde
erfordern, die diesem übersichtlichen Berichte gesteckten
Grenzen zu überschreiten.
Durchaus einheitlich trotz mancher Leihgaben war
auch der schon zu Ein-
gang des Berichtes er-
wähnte Raum, welchen
H. E. von Berlepsch
in München entwarf
und in der Durch-
führung überwachte.
Seine Mitarbeiter wa-
ren Giobbc und Rappa
in München für die
Stuckarbeiten derDek-
ke, C. Fischer's Wwe.
für die reliefierten
Wandpanneaux, den
Bogenfries und die
Thürumrahmungen,
Malle & Bier seh in
München für die Ge-
wölbedekoration, die
Pilasterfüllungen u. s.
w., und Buyten & Söhne
in Düsseldorf, welche
unter Verwendung des
von ihnen erfundenen
neuen Verfahrens zur
dekorativen Behand-
lungdesHolzes(Xylek-
typom) die Möbel an-
fertigten. Was durch
diese Firmen nach den
Entwürfen Berlepsch's
geschaffen wurde, ver-
dient die grösste Be-
achtung. Ein merk-
würdiger Reifeprozess
ist in dem Künstler
vor sich gegangen. Als
Architekt, der er von
Hause aus ist und
Notenständer, in Holz geschnitzt
Philipp Andreas
welche Kunst er lange Jahre übte, hat er es in
seiner späteren Beschäftigung als Maler verstanden,
die starre architektonische Tradition abzustreifen und
sich freier zu bewegen. Und in dieser doppelten
Eigenschaft eines Künstlers, dem sein architektonisches
Gefühl eine feste Grundlage für organischen Sinn
und struktives Empfinden verleiht, den aber die
freie Beschäftigung mit der Malerei von den Fesseln der
Tradition befreite und mit freiem, malerischen Denken
bereicherte, tritt er in das ein, was wir bisher Kunst-
gewerbe zu nennen pflegten, und schafft hier unter
dem befruchtenden Einfluss jener Doppeleigenschaft
einer freien Gebundenheit Werke von hoher Be-
achtung. Die Auffassung des Pflanzenornamentes ent-
springt dem gewissenhaftesten Naturstudium; allent-
halben ist der architektonische Aufbau der Pflanze
beobachtet und wieder-
gegeben. An die Stelle
künstlerischer Gewalt,
mit welcher das Pflan-
zenelement von den so-
genannten „Führern"
unserer modernen
kunstgewerblichen Be-
wegung mit über-
legenem Originalitäts-
gefühl traktiert wird,
setzt Berlepsch die ehr-
furchtsvolle Achtung
vor dem Willen und
demWalten der schö-
nen Natur. In dieser
Pietät, welche durch
die zur Ausstellung
gebrachten, sorgsam
beobachteten Natur-
studien belegt und er-
härtet wird, liegt, glau-
be ich, bei aller indivi-
duellen künstlerischen
Freiheit jenes Impon-
derabile, welches uns
den schönen Raum
liebgewinnen lässt. Ich
habe unter den Neue-
rern, welche uns nur
allzu laut als führende
Geister angepriesen
werden,wenige kennen
gelernt, welche so viel
Selbstzucht, so viel
künstlerisches Gewis-
sen und so viel starkes
Empfinden in sich ver-
einigten, wie H. E. von
und polychromiert von Bildhauer
Eberts, Leipzig.
und von Heibig & Haiger entworfene Pianino mit
seinem figürlichen Fries aus. „Als der Grossvater
die Grossmutter nahm«, zu Anfang unseres Jahr-
hunderts, da mochten sie wohl einen solchen Raum
mitbekommen haben, wenn sie vorsichtig in der Wahl
ihrer Eltern waren. Denn das Zimmer war bei aller
Einfachheit der Formgebung kostbar. In seiner be-
merkenswerten künstlerischen Erscheinung führte es
uns vor Augen, wie schnell wir leben und wie sehr
die Biedermeierzeit für uns bereits beginnt, eine
historische Zeit in des Wortes überkommener Be-
deutung und ihr Stil ein historischer Stil zu sein.
Weiter auf den interessanten Raum einzugehen würde
erfordern, die diesem übersichtlichen Berichte gesteckten
Grenzen zu überschreiten.
Durchaus einheitlich trotz mancher Leihgaben war
auch der schon zu Ein-
gang des Berichtes er-
wähnte Raum, welchen
H. E. von Berlepsch
in München entwarf
und in der Durch-
führung überwachte.
Seine Mitarbeiter wa-
ren Giobbc und Rappa
in München für die
Stuckarbeiten derDek-
ke, C. Fischer's Wwe.
für die reliefierten
Wandpanneaux, den
Bogenfries und die
Thürumrahmungen,
Malle & Bier seh in
München für die Ge-
wölbedekoration, die
Pilasterfüllungen u. s.
w., und Buyten & Söhne
in Düsseldorf, welche
unter Verwendung des
von ihnen erfundenen
neuen Verfahrens zur
dekorativen Behand-
lungdesHolzes(Xylek-
typom) die Möbel an-
fertigten. Was durch
diese Firmen nach den
Entwürfen Berlepsch's
geschaffen wurde, ver-
dient die grösste Be-
achtung. Ein merk-
würdiger Reifeprozess
ist in dem Künstler
vor sich gegangen. Als
Architekt, der er von
Hause aus ist und
Notenständer, in Holz geschnitzt
Philipp Andreas
welche Kunst er lange Jahre übte, hat er es in
seiner späteren Beschäftigung als Maler verstanden,
die starre architektonische Tradition abzustreifen und
sich freier zu bewegen. Und in dieser doppelten
Eigenschaft eines Künstlers, dem sein architektonisches
Gefühl eine feste Grundlage für organischen Sinn
und struktives Empfinden verleiht, den aber die
freie Beschäftigung mit der Malerei von den Fesseln der
Tradition befreite und mit freiem, malerischen Denken
bereicherte, tritt er in das ein, was wir bisher Kunst-
gewerbe zu nennen pflegten, und schafft hier unter
dem befruchtenden Einfluss jener Doppeleigenschaft
einer freien Gebundenheit Werke von hoher Be-
achtung. Die Auffassung des Pflanzenornamentes ent-
springt dem gewissenhaftesten Naturstudium; allent-
halben ist der architektonische Aufbau der Pflanze
beobachtet und wieder-
gegeben. An die Stelle
künstlerischer Gewalt,
mit welcher das Pflan-
zenelement von den so-
genannten „Führern"
unserer modernen
kunstgewerblichen Be-
wegung mit über-
legenem Originalitäts-
gefühl traktiert wird,
setzt Berlepsch die ehr-
furchtsvolle Achtung
vor dem Willen und
demWalten der schö-
nen Natur. In dieser
Pietät, welche durch
die zur Ausstellung
gebrachten, sorgsam
beobachteten Natur-
studien belegt und er-
härtet wird, liegt, glau-
be ich, bei aller indivi-
duellen künstlerischen
Freiheit jenes Impon-
derabile, welches uns
den schönen Raum
liebgewinnen lässt. Ich
habe unter den Neue-
rern, welche uns nur
allzu laut als führende
Geister angepriesen
werden,wenige kennen
gelernt, welche so viel
Selbstzucht, so viel
künstlerisches Gewis-
sen und so viel starkes
Empfinden in sich ver-
einigten, wie H. E. von
und polychromiert von Bildhauer
Eberts, Leipzig.